Endlich ist der Frühling auch in Griechenland angekommen, es ist mild und sonnig. Auf dem Weg zu meiner letzten Station fahre ich zunächst südlich um den Orestiáda-See herum. Hier, etwas stadtauswärts, haben sich viele große und edle Pelzhäuser niedergelassen. Nachdem ich Kastoriá hinter mir gelassen habe, geht es rasch bergauf, da die Vérno-Berge überwunden werden müssen. Anschließend wird die Landschaft wieder flacher und die Hügel und Ebenen werden intensiv mit Feldern und Obstplantagen bewirtschaftet. Die Straße ist hier sehr gut ausgebaut, sodass ich zügig vorankomme. Gegen 11:00 Uhr erreiche ich Édessa.
Im Stadtzentrum angekommen, parke ich den Wagen an der erstbesten Möglichkeit. Ich befinde mich direkt am Timenídon-Platz, dem grünen Herz, von einem Bach begrenzt und von zwei Platanen in Schatten gehüllt. In einer Ecke ist ein Springbrunnen und die gesamte Fläche ist mit den Stühlen und Tischen eines Kafeníons bestückt - typisch griechisch und bilderbuchschön. Unmittelbar am Platz befindet sich das Hotel "Elena", in dem ich ein ordentliches und recht geräumiges Zimmer für 30 € bekomme.
Die Stadt kann nur eine einzige Sehenswürdigkeit vorweisen, aber die hat es in sich: Die Wasserfälle von Édessa sind in ganz Griechenland bekannt. Auf dem Weg dorthin finde ich einen weiteren, fast genauso reizvollen Platz, von dem aus sich das Donnern des hinabstürzenden Wassers bereits wahrnehmen lässt. Die angrenzende Ballung von Souvenirshops zeigt zusätzlich die unmittelbare Nähe an. Wenige Meter weiter bin ich am Ziel. Mit einer Höhe von knapp 30 Metern ist der Wasserfall kein besonderes Naturwunder, aber die Tatsache, sich nur wenige Meter vom Stadtzentrum entfernt zu befinden, quasi die Integration in den Stadtpark und die Möglichkeit, die Fälle nicht nur von oben und unten, sondern auch von hinten zu besichtigen, machen es schon zu einem Erlebnis. Richtig gelesen: Von hinten. Da der Bach an einer überstehenden Felskante herabfällt, kann man hinter den Wasserfall gehen. Nebenbei ist dort eine kleine Tropfsteinhöhle zu besichtigen, diese ist jedoch so unspektakulär, dass sie nicht mal den geringen Eintritt von 50 Cent wert ist. Der Gang hinter den Wasservorhang ist umso beeindruckender. Wenn man sich eng an die Felsen drückt, bleibt man sogar so gut wie trocken, während anderthalb Meter vor einem das Wasser ins Tal rauscht.
Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend.
(Johann W. von Goethe)
Etwas tiefer gibt es weitere, kleinere Fälle und etwas nördlich davon die sogenannten Zwillingsfälle. Insgesamt eine sehr schöne Szenerie, die durch die weite Aussicht über die makedonische Tiefebene zusätzlich bereichert wird. Auf der Aussichtsplattform sind nicht alle Bänke besetzt, so dass sich hier eine schöne Pause machen lässt - die Kombination von Mittagssonne und den kühlenden Sprühnebeln des Wasserfalls ist äußerst angenehm.
Nach der Pause spaziere ich quer durch die Stadt zur byzantinischen Brücke. Unmittelbar davor, in Sichtweite der Brücke, befindet sich in einer parkähnlichen Anlage unter riesigen Platanen ein ganz reizendes Gartenlokal, wo ich auf einen Oúzo-Mezédes einkehre. Dieser Entschluss erweist sich als wahrer Glücksgriff: Die Mezédes erweisen sich als mit die besten, die ich jemals bekommen habe. Aber der Reihe nach: Meine Bestellung kontert der Wirt mit einem griechischen Redeschwall, der mich erst einmal ratlos macht. Da er nicht des Englischen mächtig ist, greift er sich einen Gast und verpflichtet ihn als Dolmetscher. Jetzt wird mir langsam klar, dass ich verschiedene Auswahlmöglichkeiten habe, zum Beispiel die Größe der Platte, die Menge an Oúzo - Glas oder Flasche - sowie die Art der Platte: Fisch oder Fleisch. Ich wähle eine Platte für eine Person, ein Glas und Fleisch.
Was mir Minuten später serviert wird, zaubert einen Ausdruck der Begeisterung auf mein Gesicht, der sogar die benachbarten Gäste amüsiert. Das Glas Oúzo ist mehr als reichlich gefüllt, dazu gibt es eine Kanne Wasser und ein Eimerchen Eiswürfel, selbstverständlich einen Korb frisches Brot und schließlich den Teller mit dem Hauptgewinn. Zehn Zutaten finden auf ihm Platz: Kartoffel- und Möhrensalat, weiße Riesenbohnen, ein gefülltes Weinblatt, eine eingelegte Paprikaschote, Auberginenpüree, eine riesige Olive und jeweils mehrere Stücke zartes Rindergulasch, geschmortes Lammfleisch und würzige Bratwurst. Schlappe 7 € kostet die Kombination, die kein kleiner Imbiss war, sondern eine Hauptmahlzeit der Spitzenklasse!
Nach dem opulenten Mahl setze ich meinen Stadtrundgang fort, sehe das in makedonischen Städten unverzichtbare Standbild Alexanders des Großen und gelange zur alten Moschee im südlichen Stadtbezirk. Wegen der überschaubaren Ausdehnung der Innenstadt ist der Weg weniger lang, als ich dachte. Anschließend gehe ich zum Ausgangspunkt, dem Timenídon-Platz zurück, wo ich bei perfekten 25°C im Schatten der gigantischen Platanen eine lange Pause mit Kafé frappé einlege.
Wunderbar fühlte er in seiner Brust die Freude wallen. Woher denn, fragte er sein Herz, woher hast
du diese Fröhlichkeit?
(Hermann Hesse)
Was ich von der Stadt gesehen habe, gefällt mir außerordentlich gut. Überall wird sie von Wasserläufen durchzogen, kleine Brücken überspannen diese Lebensadern und es gibt soviel Grün, riesige Bäume und Parkanlagen, wie nirgendwo sonst in Griechenland. Selbst in der Mittagszeit kann man fast die gesamte Stadt im Schatten von Bäumen erkunden. Édessa wird mit Sicherheit einen Spitzenplatz in der Liste meiner Lieblingsstädte einnehmen.
Als am fortgeschrittenen Nachmittag die Stadt allmählich aus ihrer Mittagsruhe erwacht, fahre ich mit einem Spaziergang durch die Fußgängerzonen fort. Da man aber schon sehr langsam schlendern muss, um daraus eine abendfüllende Beschäftigung zu gestalten, gehe ich an der Hauptkirche Ágios Sképi vorbei erneut zum Wasserfall. Jetzt, im warmen Licht der Abendsonne, ist die Aussicht über die Ebene noch viel schöner als am Mittag.
Am Abend esse ich in der Taverne "Amethystos" in der Fußgängerzone. Diese wird, ähnlich dem "Kusina" in Véria, von einem jungen Team geführt und bietet mehr als das Standard-Programm. Ich nehme Domatokeftédes, das sind locker ausgebackene Tomaten-Féta-Puffer und anschließend Tigánia moustárda, also gebratene Hähnchenfilet-Stücke mit grünen Paprikastreifen in Senfsauce auf Reis. Dazu gibt's zur Feier des letzten Tages eine Flasche Malamatina-Retsína. Das Essen ist durchweg ausgezeichnet, damit wird die kulinarische Spitzenstellung dieses Urlaubs weiter ausgebaut! Heute gibt es mal wieder ein Dessert auf Kosten das Hauses: Ich bekomme drei Stücke eines Schokoladen-Keks-Kuchens nach Art "Kalter Hund", wahrlich kein leichter Abschluss. Nach zwei Stücken muss ich kapitulieren. Die Rechnung über lächerliche 11,50 € bestärkt meine positive Einstellung zu dieser Stadt.
Inzwischen hat sich die Haupteinkaufsstraße zur Promeniermeile gemausert, so dass ich den Abend hier gemütlich ausklingen lassen kann. Es ist viel Leben in den Straßen - na klar, es ist Samstagabend, Wochenende.