Makedonien / Épirus 13.05.2011

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Heute ist Freitag, der 13., der erste Tag, der richtig schönes Wetter verspricht. Nach Auflösung des Nebels über dem See strahlt die Sonne von einem tadellos blauen Himmel. Um bei diesem Wetter nicht zu viel Zeit im Auto zu verbringen, fahre ich nicht - wie ursprünglich geplant - auf der nördlichen Route über Kónitsa zurück, sondern wähle die Variante über die Autobahn. Nach zügiger Fahrt erreiche ich Siátista und biege dort nach Norden mit Ziel Kastoriá ab. Ich bin überrascht, hier eine durchgehende Autobahn vorzufinden, auf meiner Karte ist nicht einmal eine Baustelle eingezeichnet. Es wird Zeit, mir mal wieder aktuelles Kartenmaterial zu organisieren.

Gegen 11:30 Uhr erreiche ich mein Ziel. Die Lage der Stadt auf einer lang gestreckten Halbinsel im Orestiáda-See ist wahrlich malerisch. Mit einiger Mühe finde ich einen Parkplatz am Ende der wunderschönen, platanengesäumten Promenade und spaziere in die Stadt hinein. Unglaublich, was hier los ist. Sämtliche Cafés am Seeufer sind brechend voll mit jungen Leuten im schulpflichtigen Alter, die sich bei frisch gepresstem Orangensaft und diversen Kaffeevariationen amüsieren. Heute ist doch kein Sonntag, woher nehmen die Zeit und Geld?

Nachdem ich im Hotel "Anesis" ein Zimmer gebucht habe, welches seinen Preis von 40 € unzweifelhaft wert ist, gönne ich mir einen kleinen Mittagsimbiss in Form einer Gyros-Pita, Tsatsíki und einem Heineken-Bier. Zum ersten Mal kann ich in diesem Urlaub im T-Shirt sitzend draußen essen, ohne dass ich Sorge haben muss, weggeweht oder fortgeschwemmt zu werden, geschweige denn, zu erfrieren.

Auf diese Weise gut gestärkt entscheide ich mich für einen Spaziergang zur Umrundung der gesamten Halbinsel. Diese wird nur zur Hälfte von der Stadt eingenommen, das weit in den See ragende Ende der Halbinsel ist ein Berg. Laut Karte sollte die Uferstrecke um den Berg herum nicht viel mehr als acht Kilometer betragen.

Ich folge einfach der Promenade. Zunächst erreiche ich den Stadtrand. Kastoriá ist eine wohlhabende Stadt, seit Jahrhunderten wird mit Kürschnerei und Pelzhandel viel Geld gemacht - bis heute ist Kastoriá Austragungsort einer jährlich stattfindenden internationalen Pelzausstellung. Das sieht man der Stadt durchaus an, wer Geld hat, braucht sich hier nicht zu verstecken. Die noblen Häuser mit unverbaubarem Seeblick, regelrechte Villen, lassen gelegentlich das Gefühl aufkommen, man befände sich in der Schweiz.

Die Strecke, immer am Ufer entlang, ist schön zu gehen. Am Strand liegen einige Boote der hier typischen Bauart: Klobige, unelegante Gebilde, die an kleine Landungsboote erinnern. Die ersten zwei Kilometer ist auf der Straße etwas Verkehr, da sie gleichzeitig die Zufahrt zum Krankenhaus ist, danach wird es jedoch richtig ruhig. Die Aussicht auf die umgebenden Berge und der Rückblick auf die Stadt sind einfach wunderbar.

Die ganze Wegstrecke spaziert man im Schatten von Bäumen unmittelbar am Wasser entlang. Wo die Sonne durchkommt, blüht es üppig, aus dem Schilf dringen die markanten Rufe von Vögeln, die unsichtbar werden, sobald sie sich nicht mehr bewegen. Wer diesen Gesang erkennt, kann mir gerne mitteilen, um welche Vogelart es sich handelt. Eine Schildkröte, sonst so scheu wie alle Reptilien, lässt sich von mir bei ihrer Mittagsmahlzeit nicht stören. Welch herrliche Natur so nahe der Stadt.

Im flachen Wasser nebenan hört man
zum zweiten, zum dritten Mal den Sprung eines Fisches.
Ekstatisches, großes Verwaistsein - Freiheit.
(Jannis Ritsos)

Ein landestypischer Gebetsstock darf natürlich hier nicht fehlen. Außerdem befindet sich am stadtfernsten Zipfel der Halbinsel das auf byzantinischen Ursprung zurückgehende Kloster Panagía Mavriótissa mit der Kirche Ágios Ioánnis Theológos, die sowohl von außen wie von innen mit sehr gut im Original erhaltenen alten Fresken geschmückt ist. Nach knapp zwei Stunden erreiche ich den kleinen Hafen am gegenüberliegenden Stadtrand, wo deutlich mehr Vögel als Boote auf dem ruhigen Wasser dümpeln.

Wo heute Vormittag die Jugend die Cafés besetzt hatte ist es inzwischen ruhiger geworden. Mit einem Kafé frappé gleiche ich den Flüssigkeitsverlust der vergangenen Stunden wieder aus und plane eine Route durch die Altstadt, die mich an möglichst vielen Sehenswürdigkeiten vorbeiführen soll. Die Befolgung dieser Route erweist sich jedoch als schwieriger als erwartet. Das liegt nur zum Teil an den extrem steilen Gassen und Treppenaufgängen, sondern vielmehr daran, dass der Grundriss der Altstadt völlig chaotisch, willkürlich und unsystematisch angelegt ist. Dazu kommt, dass die winzigen Gassen und Treppen entweder auf meinem Stadtplan aus Platzgründen nicht beschriftet sind, oder - wenn doch - keine Straßenschilder existieren. Wie auch immer - die Navigation durch die Altstadt von Kastoriá ist eine Herausforderung, die ich in vergleichbarer Weise lediglich in der Altstadt von Thessaloníki erlebt habe.

In den engen Straßen gibt es vorwiegend Wohnhäuser, dazwischen kleine Geschäfte des täglichen Bedarfs und einige Kürschner-Werkstätten, wie die Spannbretter, auf denen Pelzproben zum Trocknen aufgespannt werden, verraten. Die Besonderheit der Altstadt sind 72 byzantinische Kirchen, die Kirchendichte ist damit höher, als in jeder anderen mir bekannten Stadt. Die meisten davon sind Ruinen, nur bei wenigen reichte bisher das Geld zur Restaurierung. Gute Beispiele dafür sind die Ágios Stéphanos oder die Agía Anárgiri, die dazu mit einer besonders schönen Aussicht punktet. Etwas tiefer gelegen wartet die Ruine der ehemaligen osmanischen Koranschule seit vielen Jahren auf ihre Restaurierung (wie das Schild mit der Angabe 67.000.000 Drachmen beweist).

Trotz des vielen Geldes, das in Kastoriá umgesetzt wird, ist die Stadt weder schicker noch teurer als andere Städte. Typisch ist zum Beispiel die Ouzéri in der Nähe meines Hotels: Obwohl das Haus fast eine Ruine ist und die oberen Stockwerke bereits verfallen, wird das Erdgeschoss weiter genutzt. Warum renovieren, solange es noch geht?

Zum Essen kann ich heute draußen sitzen, direkt am See. Ich bestelle Bougiourdi, das sind mit Féta gratinierte Tomaten, mit Chili pikant gewürzt. Als Hauptgericht darf es heute zur Abwechslung mal wieder Fleisch sein: Ein Souvláki vom Hähnchen, dazu Reis und Pommes. Mit dem unverzichtbaren Mythos zahle ich heute 16 €. Am Abend wird die Uferpromenade zur klassischen Flaniermeile - hier bei milden Temperaturen den Tag ausklingen zu lassen, das ist Urlaub!

Kastoriá:


Internationale Pelzmesse:


Kastoriá: