Halleluja! Heute Morgen ist es richtig sonnig - aber auch richtig kalt. Bei 8°C tun eine warme Spanakópita und ein heißer Kaffee in einem der großen Cafés am See, die zu dieser Stunde schon geöffnet haben, richtig gut.
Die Tagestour beginne ich wie gestern, auf der E90 in Richtung Norden, zweige jedoch schon bald auf die Nebenstrecke ab, die der Wegweiser lapidar als "Central Zagória" ausgibt. Zuerst führt die Straße stetig bergauf und lässt einen auf die tiefer liegende Landschaft zurückblicken. Anschließend durchquert man eine idyllische Hochebene und betritt alsbald die Bergwelt der Zagória. Herrlich - ich hatte fast vergessen, wie atemberaubend die Landschaft hier ist. Weiße Wölkchen verzieren das tiefe Blau des Himmels, die Wälder stehen in vollem Saft. Hier hat Gott die Farben Blau und Grün erschaffen.
Wohl nirgends in Griechenland hatte ich soviel grünendes, duftendes Holz auf einmal gesehen.
(Erhart Kästner)
Die Straße führt kontinuierlich höher, zuerst noch moderat. An der photogenen Steinbrücke Ágios Mínas, die den Bagiótiko überspannt, mache ich eine kurze Pause. Dann wird die Strecke zunehmend alpiner, Serpentinen sind jetzt eher die Regel als die Ausnahme. Wenn man, wie ich, Vradéto zum Ziel hat, muss man sich kurz hinter Kapésovo entscheiden: Folgt man der Straße, hat man weitere neun Kilometer Serpentinen vor sich, wählt man den direkten Weg, ist es ein Fußweg von gut einem Kilometer. Der einzige Haken daran ist, dass der Fußweg erst in eine Schlucht hinunter führt, um dann die gegenüberliegende Steilwand mittels einer langen Treppe zu erklimmen, die legendären "Stufen von Vradéto". Wer J.R.R. Tolkiens "Der Herr der Ringe" gelesen hat, wird unwillkürlich an die "Treppe von Cirith Ungol" denken. Ich wähle die Straße.
In Vradéto angekommen stelle ich den Wagen ab, denn die letzten beiden Kilometer zum Belói-Felsen lassen sich nur auf Schusters Rappen zurücklegen. Zu meiner Überraschung bin ich nicht der Einzige hier: Ein deutsches Paar mit zwei kleinen Kindern hat es mit ihrem Wohnmobil ebenfalls hierher geschafft. Auf den Hochwiesen zwischen den markanten Flyschsandstein-Formationen gedeiht eine Blumenvielfalt, die ihresgleichen sucht. Bei jedem zweiten Schritt entdeckt man eine neue Blüte. Der Pfad ist markiert und gut begehbar und bald lassen sich die Steilwände der Víkos-Schlucht erkennen. Dann ein letzter Felsendurchgang und ich habe es geschafft.
Der Aussichtspunkt ist grandios! Alle meine hohen Erwartungen sind erfüllt. Vor mir liegt die Víkos-Schlucht in ihrer ganzen Großartigkeit. Der Blick geht nicht nur ins Auge, er erfüllt Kopf und Herz - ein Gänsehaut-Erlebnis! Von hier aus lässt sich der komplette Hauptabschnitt der Schlucht einsehen. Und zur Rechten gähnt der Abgrund einer namenlosen kleinen Nebenschlucht, nicht mehr, als ein Spalt in den Felsen, steil und tief. Der Höhepunkt des Urlaubs - ich mache eine lange Pause.
Er stand fast eine Ewigkeit da, obwohl es in Wirklichkeit höchstens halb so lange dauerte.
(Alan Dean Foster)
Während meines Aufenthalts ziehen zunehmend Wolken auf, die sich langsam verdichten. Ich gehe zum Wagen zurück und da der Mittag weit fortgeschritten ist, fahre ich nach Tsepélovo, das nächste etwas größere Dorf. Während viele der kleinen Zagória-Dörfer fast ausgestorben waren und erst in den letzten Jahren wieder aufgebaut werden, wirkt Tsepélovo so, als wäre es durchgehend bewohnt gewesen. Nichts wirkt richtig neu, und nur wenig ist verfallen. Der sehr schöne Dorfplatz ist zu dieser Tageszeit natürlich ziemlich ruhig, erinnert mich aber sofort - wie auch der Rest des Dorfes - an Vizítsa im Pílion. Nur die typische Architektur der Häuser unterscheidet sich, hier ist alles aus den Steinen der Umgebung gebaut. Während ich schaue, werde ich von einer sehr schmusebedürftigen Katze zum Opfer erkoren - aggressiv wirbt sie um Zuwendung.
Die Höhenluft macht Appetit. In einer Taverne bestelle ich frittierten Féta und Tsípouro-Mezédes, letzteres besteht aus Tomatensalat, Pommes und Tsatsíki. Der Féta wird in einem Tonpfännchen brutzelnd heiß serviert, er ist mit Zwiebeln, Kräutern, Tomaten und Paprika überbacken, dazu wird frisch geröstetes, mit Kräuteröl getränktes Brot gereicht. Ich bin begeistert - so etwas habe ich in dieser Abgeschiedenheit nicht erwartet. Alles zusammen kann einen erwachsenen Mann durchaus satt machen und das Ganze kostet nicht einmal 6 €.
Nach einem weiteren Regenschauer scheint inzwischen wieder die Sonne und ich mache einen Abstecher zum verlassenen Kloster Rogovoú. Es liegt am Hang wie im Dornröschenschlaf, Apfelbäume und Stachelbeeren blühen in seinem verwilderten Garten, die Treppen und Mauern sind von Efeu überwachsen. Ich finde zwei Kerzen und ein paar Teelichter, die ich allesamt anzünde und das Kloster so für kurze Zeit zum Leben erwecke. Eidechsen wärmen sich auf den sonnenbeschienenen Steinen, Bienen summen laut um mich herum - ein Ort, wie geschaffen für eine stille Meditation.
Es ist wirklich nicht viel; nur ein schlummernder Zauber.
(Erhart Kästner)
Da die Zeit nicht allzu weit fortgeschritten ist, mache ich vor der Heimfahrt einen Abstecher nach Monodéndri, um noch einmal den Fluchtweg des Klosters Agía Paraskeví zu gehen, jene in den Fels gehauene Nut, die mich im Jahre 2005 so begeistert hat. Der Ort hat sich in den vergangenen sechs Jahren sichtlich weiterentwickelt, es wird unvermindert neu gebaut und der hier praktizierte naturnahe Tourismus scheint sich für die Dorfbewohner zu lohnen: Mindestens eine neue Taverne und zwei Souvenirläden fallen mir auf. Ich lasse den Wagen an der Hauptstraße stehen, gehe durchs Dorf hinab zum Kloster und durch dieses hindurch zur Felswand.
Auch hier spürt man den zunehmenden Fremdenverkehr. Eine Gruppe von drei jungen Griechen ist hier, außerdem zwei Englisch sprechende Touristen. Die wilden Schwertlilien zeigen sich von diesem Andrang unbeeindruckt. Der Felsenweg ist unvermindert faszinierend, seltsamerweise stellt sich der damals verspürte Nervenkitzel nicht ein. Und das, obwohl mir gerade wegen der Anwesenheit der anderen Gäste die Höhe und Steilheit des Weges besonders deutlich bewusst werden. Liegt das etwa nur am Reiz des Neuen? Während ich darüber nachsinne setzt schon wieder Regen ein, der mich jedoch nicht stört, da ich unter den überhängenden Felsen windgeschützt und trocken sitzen kann. Nach 20 Minuten ist der Schauer vorüber und die Sonne taucht die Berglandschaft in ein besonders intensives Licht.
Ich weiß nicht, ob es an der Reinheit der Luft nach dem Regen lag oder [...] an der
entrückten Einsamkeit dieses Grundes: Ich glitt in eine allmähliche Verzauberung ein.
(Erhart Kästner)
Zurück in Ioánnina gehe ich zum Abendessen ein drittes Mal ins "Ivi", wo mich die Auberginen besonders anlachen. Erst als ich sie serviert bekomme, erinnere ich mich daran, dass ich das gleiche Gericht bereits 2005 gekostet habe. Es tut dem Genuss keinen Abbruch, das mit Röstzwiebeln gefüllte Gemüse schmeckt ausgezeichnet. Mit Bratkartoffeln als Beilage und zwei Flaschen Mythos bin ich heute Abend mit bescheidenen 12 € dabei. Während des Essens zieht eine Studentendemo durch die Straßen der Stadt. Ich verstehe zwar nicht worum es geht, aber die anwesenden älteren Herren amüsieren sich sichtlich über die mantraartig wiederholten Sprechchöre der Teilnehmer.
Im Anschluss will ich durch die großen Einkaufsstraßen der Neustadt spazieren und dabei Postkarten in den "International Priority Mail" - Briefkasten an der Hauptpost einwerfen. Dabei gerate ich in einen regelrechten Wolkenbruch und bin froh, genügend Balkone und Markisen als Wetterschutz vorzufinden. Was war das heute für ein Aprilwetter!