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Am Morgen strahlt die Sonne in einer Klarheit, als hätte es auf Erden nie eine Wolke gegeben. Das ist ein Wetter für einen Strandtag! Zuerst spazieren wir die Promenade entlang, denn der Anblick der Bucht von Kalá Nerá in der frühen Sonne ist ein wahrer Augenschmeichler. Die wenigen Menschen, die um diese Zeit schon auf den Beinen sind, begrüßen uns freundlich und widmen sich dann wieder ihren Beschäftigungen, die vor allem damit zu tun haben, die Häuser und Gärten, Terrassen, Markisen und Boote und alles, was im Sommer ordentlich aussehen und funktionieren soll, für die Hauptsaison fit zu machen. Das Beobachten der Menschen lehrt mich den Unterschied zwischen Geschäftigkeit und Hektik.

"Nun, ich hab' die erste Hälfte der ersten Platte fertig.
Ich verschnauf' ein wenig, dann feg' ich die zweite Hälfte der ersten...
Ich verschnauf' ein wenig, dann kommt die erste Hälfte der zweiten..."
(René Goscinny, Albert Uderzo)

Die Fahrt nach Tsangaráda macht bei diesem Licht noch mehr Spaß, als am Tage zuvor. Die eher sanften Hügel der Westküste geben immer wieder herrliche Aussichten auf den pagasitischen Golf frei, dann weichen sie bald den schrofferen Hängen der Ostküste und wir nähern uns unserem ersten Tagesziel. Mit der relativ frischen Erinnerung von 2003 und einer detaillierten 1:50.000-Karte des Pílion ist es ein Leichtes, den Weg nach Fakístra zu finden. Auf dem letzten Stück des Weges kann ich Jana kaum folgen, so neugierig ist sie, die Bucht endlich mit eigenen Augen zu erblicken und tatsächlich dauert es nicht lange, bis ihre Erwartungen erfüllt werden. Noch liegt der größte Teil der Bucht im Schatten, aber bis wir die letzten Meter des blumenüberwachsenen Gerölls hinter uns gebracht haben, erobert die Sonne rasch Meter um Meter.

Es ist mal wirklich herrlich hier. Der frische Wind ist zwar noch kühl, aber zwischen den rundgeschliffenen weißen Marmorfelsen finden sich reichlich geschützte Plätze, an denen sich die ganze Kraft der Sonne bereits zeigt, Gut, dass wir vorher noch Sun-Blocker gekauft haben! Zum Baden ist uns das Wasser noch zu kalt, aber das schmälert das Vergnügen an diesem Ort in keiner Weise. Hier stimmt wirklich alles: Das sanfte Donnern der Brandung vor uns, das Rauschen des Wasserfalls im Rücken, die Möwen, die die Thermik der Bucht in langen Kreisen nutzen, die warme Sonne, der erfrischende Wind: Das gibt zehn von zehn möglichen Punkten. Dazu kommt die absolute Klarheit des Lichts, die fast unwirklich reinen Farben, die fließende Versorgung mit eiskaltem, bestem Süßwasser und die totale Einsamkeit - mir gefällt es hier fast noch besser als im Mai 2003 (soweit das überhaupt möglich ist).

Auch in anderen Ländern gibt es freilich solche Erde und solche Steine und Licht. Aber hier in Griechenland erfüllt dieser Anblick nicht nur das Auge mit Freude, nicht nur das Herz, sondern auch tief den Geist.
(Nikos Kazantzakis)

Erschreckend, wie schnell die Zeit an einem so phantastischen Ort vergeht. Gegen Mittag packen wir unsere Sachen zusammen und verlassen Fakístra, die zu den schönsten Stellen gehört, die ich auf diesem Planeten kenne. Auf dem Rückweg ist der Pfad den Hang hinauf schon deutlich heißer als am Morgen, aber der letzte Blick auf die Bucht entschädigt dafür. Auch von der Stelle, wo die asphaltierte Straße wieder beginnt, lässt sich ein Rückblick erhaschen, der das Herz erfreut.

Wenn man bei der der Streusiedlung Tsangaráda überhaupt von so etwas, wie einem Ortszentrum sprechen kann, dann ist es der Platz an der Kirche Agía Paraskeví mit der berühmten 1000-jährigen Platane. Dort finden wir sogar eine Taverne, die geöffnet hat und nehmen einen leichten Mittagsimbiss, bestehend aus Bauernsalat und Melitsanosaláta (Auberginenpüree) ein. Als Nachtisch passt abschließend ein mittelgroßes Eis darauf.

Hier, in des Zentauren Chiron Reich, wächst Asklepios heran, von weidenden Ziegen ernährt.
(Marie Luise Kaschnitz)

So gestärkt machen wir uns auf den Weg zur nächsten "Traumbucht", nach Milopótamos, nur wenige Kilometer südlich von Tsangaráda, die in manchem Reiseführer als optisch schönster Strand Griechenlands angepriesen wird. Wir werden sehen! Die Straße an den steilen Osthängen des Pílion hinunter führt durch duftende Apfelplantagen, in denen ungezählte Bienen für den bekannten Pílion-Honig sorgen und ist genauso kurvenreich, wie die nach Fakístra, allerdings deutlich besser ausgebaut. Nicht verwunderlich, schließlich wird Milopótamos in jedem halbwegs ernstzunehmenden Reiseführer erwähnt, während Fakístra bis heute eher als Geheimtipp gilt.

Am Ende der Straße findet sich ein bedrohlich großer Parkplatz, sogar Busstellplätze sind markiert. Mir graut es bei dem Gedanken, wie es hier in der Hauptsaison zugehen mag. Jetzt stehen nur wenige Autos hier und deren Besitzer halten sich wohl ausnahmslos in den naheliegenden Tavernen auf, denn der erste Blick in die überraschend kleine Bucht zeigt sie menschenleer. Zugegeben: Sie ist wirklich wunderschön gelegen und extrem fotogen. Vielleicht ist sie deshalb und nicht nur wegen ihrer deutlich einfacheren Erreichbarkeit so viel bekannter als ihre nahegelegene Schwester. Genau das ist nämlich das Problem (oder das Glück) von Fakístra: Wegen ihrer extrem eng umschließenden, hohen und fast senkrechten Klippen ist es fast unmöglich, ein prospektgeeignetes Foto zu schießen.

Und genau das fällt hier kinderleicht. Milopótamos ist im Vergleich zu Fakístra mit etwa 150 Meter Länge knapp doppelt so groß, und wird durch einen malerischen Steintorbogen von einer zweiten, kleineren Nebenbucht getrennt, in deren rückwärtiger Felswand sich eine große, offene Höhle befindet, offensichtlich sehr beliebt für abendliche Strandlagerfeuer. Trotzdem reicht ihre Atmosphäre - in meinen Augen - nicht an die von Fakístra heran.

Dezent an der hinteren Flanke der Hauptbucht befindet sich eine kleine Taverne, in der ein einsamer Mann geduldig auf den Beginn der Saison wartet. Während des Nachmittags "füllt" sich der Strand mit ungefähr einem Dutzend Menschen, von denen einige sich sogar schon in die kühlen Fluten stürzen. Diese Überwindung bringen wir nicht auf, sondern genießen lieber die angenehm warme Sonne, die mich in Kombination mit dem einschläfernden Rauschen der Brandung zu einem ungeplanten Nickerchen verführt.

Am späten Nachmittag fahren wir mit einem kleinen Abstecher über Áfissos nach Kalá Nerá zurück und kehren zum Abendessen in unser Stammlokal ein. Nach der Vorspeise und dem inzwischen obligatorischen Tsípouro nehmen wir gebratene Auberginenscheiben, überbackene Spaghetti und Gemistá, also gefüllte Tomaten und Paprika. Heute ist der Chef besonders gut drauf und spendiert uns zusätzlich noch eine Nachspeise: Mílo me méli, also Apfel mit Honig, die klassische Kombination der beiden landwirtschaftlichen Hauptprodukte der Region. Innerlich wette ich darauf, dass er einen weiteren Tsípouro einschenken wird, wenn ich erzähle, dass es heute unser letzter Abend hier ist. Ich probiere es aus und behalte Recht. Jámmas - Prost! Zusätzlich bekommt Jana als Andenken an die Taverne einen liebevoll handbemalten Stein geschenkt. Nach einem kurzen Verdauungsspaziergang durchs Dorf, bei dem man wieder den per Lautsprecher übertragenen Gottesdienst mitverfolgen kann, beende ich den herrlichen Tag mit einer Zigarre auf dem Hotelbalkon.

Ich gehe zur Ruhe, im Ohre feierlich summenden Meßgesang, der schwach aus dem Innern der Kirche dringt.
(Gerhart Hauptmann)

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