Das Wetter am Morgen - strahlend blauer Himmel und schon richtig warm - ist nicht gerade dazu geeignet, uns die Abreise von Kalá Nerá zu erleichtern. Herr Agelis, der Hotelbesitzer, kann uns natürlich nicht gehen lassen, ohne uns mit Kaffee, Kakao und sechs riesigen, selbstgebackenen Osterplätzchen zu versorgen. Wir verabschieden uns, kaufen ein bisschen Proviant für den Tag und genießen die angenehme Morgensonne auf einer Bank am Strand. Nach einem kurzen Spaziergang entlang der Promenade geht die Reise ihrem letzten Abschnitt entgegen.
Die Fahrt durch Vólos ist chaotisch wie immer, aber kein schlimmer Stau hält uns lange auf, und so kommen wir rasch voran, lassen Lárissa links liegen und erreichen kurz nach elf Uhr das Témpi-Tal, wo wir einen ersten Zwischenstopp einlegen. Die kleine Kirche Agía Paraskeví, die in die Felswand des schon in der Antike als heilig geltenden Tals gebaut ist, stellt für viele Durchreisende eine willkommene Gelegenheit für eine Pause dar. Entsprechend hoch ist die Anzahl der Verkaufsstände, die den einzigen Zugang zur Kirche säumen und die komplette übliche Souvenirpalette von nachgemachten Ikonen und Apollo-Statuen bis zu billigstem Fernost-Plastikspielzeug anbieten. Ein furchtbarer Kontrast zu dem eigentlich idyllischen, üppig bewaldeten engen Tal. Auf einer Bank am schattigen Flussufer sitzend verzehren wir unseren mitgebrachten Proviant und fahren dann ein paar Kilometer weiter bis Platamónas.
Auf der Suche nach dem Zufahrtsweg zur Burg geraten wir mitten in den Ort - ein Badeort der übelsten Art. An der Hauptstraße wechseln sich Hotels, Lokale und Diskotheken mit Souvenirläden ab und bieten alles, was der Standard-Tourist benötigt, um den Aufenthalt an dem miesen Strand des Ortes zu ertragen. Etwas weiter nördlich vom Ortszentrum werden wir dann fündig und entdecken den Eingang zur alten Kreuzritterburg. Die Anlage aus dem frühen 13. Jahrhundert ist eine stilreine Frankenburg, deren gut erhaltene Außenmauern bis heute von trotziger Wehrhaftigkeit zeugen. Im Inneren der großen Anlage hat, abgesehen vom Burgfried, nicht vieles die Ereignisse der Geschichte überlebt, aber die blumenüberwachsenen Fundamente und die schöne Aussicht lohnen den Aufstieg, der in der zunehmend schwülen Luft einige Schweißtropfen Tribut gefordert hat. Nach Norden, Osten und Süden ließ sich von hier aus das Meer und weite Teile der Küste überwachen (vor allem der strategisch wichtige Zugang zum Témpi-Tal) und im Westen erhebt sich der heute wolkenverhangene Gipfel des Olymp.
Bedecke deine Himmel Zeus
Mit Wolkendunst!
Und übe dem Knaben gleich
Der Disteln köpft
An Eichen dich und Bergeshöhn!
(Johann W. von Goethe)
Ein Spaziergang, der um die Außenmauer der Burganlage herum führt, schließt die Besichtigung ab und wir setzen unsere Fahrt fort. Die letzte Etappe führt durch die langweilig flachen Mündungsdeltas der beiden großen Flüsse Aliákmonas und Axiós und dann geradlinig mitten hinein ins Zentrum von Thessaloníki, wo ich den Weg zum Hotel finde, ohne mich nennenswert zu verfahren. Wir laden rasch unser Gepäck aus und bringen dann das Auto zum Mietwagenbüro zurück, eine Aktion, die infolge der hoffnungslos überfüllten Straßen der Großstadt und nicht vorhandener Parkplätze nicht so trivial ist, wie es sich anhört. Als wir diese Hürde gemeistert haben, belohnen wir uns mit einem überteuerten Kafé frappé und Kakao in einem der zahlreichen schicken Cafes auf dem Aristoteles-Platz.
Wir saßen in einem der schicken Cafés am Aristotelous-Platz in Thessaloniki. [...] Vater
hatte sich wieder in seinen Ledersessel zurückgelehnt und schaute aufs Meer. Der Aristotelous-Platz liegt genau
an der Promenade von Thessaloniki.
(Alexandros Stefanidis)
Gut ausgeruht begeben wir uns auf den Rückweg zum Hotel. Dabei bummeln wir im Zickzack-Kurs durch die Straßen, in denen Kirchen und Geschäfte in friedlichem Nebeneinander existieren und vernaschen nebenbei eine Portion Lukoumádes. Angesichts dieser Kalorienbombe fällt das Abendessen etwas schlichter aus und wir begnügen uns mit einer klassischen Gyros-Pita. Den Rückweg zum Hotel dehnen wir zu einem kleinen Gang um ein paar Häuserblocks aus, dabei fällt auf, dass aus jeder Kirche (d.h. an jeder Straßenecke und manchmal auch dazwischen) orthodoxe Gesänge klingen und sich mit dem pulsierenden Leben der abendlichen Stadt zu einem einzigartigen Klangaroma vermischen. Da unser Hotel in unmittelbarer Nachbarschaft der Ágios Dimítrios liegt, können wir hautnah miterleben, wie sich die orthodoxen Christen auf das anstehende Osterfest vorbereiten. Die große fünfschiffige Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt und für alle, die nicht kommen können, überträgt ein Fernsehteam live. Jetzt wissen wir auch, welcher Gottesdienst es war, den wir vorhin im TV der Gyros-Bude verfolgen konnten. Später sitze ich noch lange auf dem kleinen Balkon unseres Zimmers, blicke auf die römische Agora und lausche den Geräuschen der niemals schlafenden Stadt: Mopeds und Müllabfuhren, liturgische Gesänge und von fern und nah klingen die Glocken.
Wie weit kann eine Stimme reichen? Bis wohin gelangt ein Lied?
(Mikis Theodorakis)