Ganz ohne antike Kultur soll der Aufenthalt in Náfplion nicht enden. Heute wollen wir Mykéne einen Besuch abstatten.
Welch anderer Name, welch anderer Ort hat eine solche Geschichte!
(Dennis Freischlad)
Wie ich seit meinem ersten Besuch in beinahe traumatischer Erinnerung weiß, liegt die archäologische Stätte vollkommen schattenlos unter der prallen Sonne. Man sollte also bei sommerlichem Wetter nicht allzu spät dort eintreffen. Außerdem ist der Besucherandrang am Morgen erfahrungsgemäß überschaubar.
Da unser Hotel das Frühstück erst ab 8 Uhr anbietet, verzichten wir heute darauf und treffen um diese Uhrzeit bereits als eine der Ersten an der weltbekannten Ausgrabungsstätte ein. Das berühmteste Artefakt findet sich direkt am Eingang: Das Löwentor. Das aus vier monumentalen Steinen errichtete Tor ist der Hauptzugang zum Palastbereich und neben zwei kleinen Pforten auf der Rückseite der Anlage der einzige Zugang zur stark befestigten Burg. Seit über drei Jahrtausenden steht es aufrecht - nie zerstört und niemals eingestürzt.
Seine größte Blütezeit erlebte Mykéne - namengebend für die "Mykenische Kultur" - in der
späten Bronzezeit. Die von einer zyklopischen Mauer umgebene Stadt kontrollierte den Landweg zwischen südlicher
Pelopónnes und dem Isthmus von Korinth und war Sitz mächtiger Herrscher, wie zahlreiche wertvolle Grabbeigaben
belegen. Am bekanntesten ist die von Heinrich Schliemann hier entdeckte "Goldmaske des Agamemnon".
Neben dem ikonischen Löwentor, dessen Türsturz alleine 12 Tonnen wiegt, sind mehrere unterirdische Tholosbauten
besonders sehenswert, da sie, wie das Tor, unzerstört erhalten blieben. Das Löwenrelief gilt als älteste
Monumentalplastik Europas. Vom eigentlichen Palastbereich zeugen dagegen fast nur Grundmauern, was sie für einen
archäologischen Laien schwerer erschließbar macht.
Die gesamte Anlage ist über einen Rundweg gut zu besichtigen. Unmittelbar hinter dem Eingang finden sich Gräberfelder, in denen wertvolle goldene Grabbeigaben und hochwertige Bronzewaffen gefunden wurden. Von hier aus lässt sich die damals strategisch wichtige Lage gut nachvollziehen, da man die gesamte Argolische Ebene bis zum Meer überblicken kann. Heute ist sie grün von abertausenden Orangenbäumen.
Die Burg hat eine raubnestartige Anlage: in Hügeln versteckt und von höheren felsigen Bergen gedeckt,
übersah sie das ganze rossenährende Argos.
(Gerhart Hauptmann)
Wir lassen uns Zeit, alle interessanten Orte zu erkunden. In einer Zisterne fühlen sich inzwischen Kaulquappen wohl. Eine zweite und früher deutlich wichtigere befindet sich tief unter den Mauern und wurde von einer unterirdischen Quelle gespeist. Natürlich übersehen wir dabei nicht die blühenden Farbtupfer zwischen den Steinen. Entlang der Wallmauer und des kleineren Nordtors schließt sich die Runde.
Ich stehe jetzt in Mykenä und versuche zu begreifen, was hier vor Jahrhunderten geschehen ist.
(Henry Miller)
Unterhalb der Burg befindet sich das neue Museum mit Fundstücken der Ausgrabungen und interessanten Erklärungen. Leider sind die spektakulärsten Artefakte jedoch nur im Archäologischen Nationalmuseum in Athen zu sehen.
Zuletzt sind die unterirdischen Tholosbauten an der Reihe. Die beiden größten sind das "Grab der Klytaimnestra" sowie das "Schatzhaus des Atreus". Wie man aufgrund der unterschiedlichen Bezeichnungen schon erkennen kann, ist die tatsächliche Funktion der beeindruckenden Bauwerke bis heute nicht einwandfrei geklärt. Die fast mannshohen, bis zu acht Meter langen Monolithen, die in der Basis des Eingangsbereichs verbaut wurden, sind dessen ungeachtet respekteinflößend. Der bienenkorbförmige Innenraum ist ein Pseudogewölbe aus abgeschrägten, immer weiter nach innen versetzten Steinen, und war bis zum Bau des Pantheons in Rom über 1300 Jahre lang die weltweit größte Kuppel.
In Mykenä wandelten einst die Götter auf Erden, das ist sicher. Und in Mykenä gebar die Fruchtbarkeit
dieser Götter ein Menschengeschlecht, das bis ins Merk künstlerisch war und zugleich ungeheuerlich in seinen
Leidenschaften. Die Bauten waren zyklopisch [...] wie in keiner andern Epoche.
(Henry Miller)
Letztendlich verbringen wir mehr als zwei Stunden mit der Besichtigung und sind gegen 11 Uhr zurück in Náfplion. Mangels Frühstück meldet sich nun der kleine Hunger. Da kommt es wie gerufen, dass am zentralen Verteilerkreisel das "Café Imiwro" unsere Blicke auf sich zieht. Eine große Markise spendet Schatten, durch die über Eck angeordneten Theken weht ein kühlendes Lüftchen und das Angebot lässt keine Wünsche offen: Bei einer Tiró- (Käse) bzw. Spanakópita (Spinat), gut gebrühtem Americano und frisch gepresstem Orangensaft sitzen wir so angenehm, dass wir letztendlich noch ein großes Stück Schokoladenkuchen nachlegen. Es ist schließlich Urlaub!
Wir holen ein paar Sachen aus dem Hotel und erreichen gegen 13:30 Uhr unsere bewährte Badebucht. Nachdem wir uns erfrischt und mit einem Mýthos der drohenden Dehydrierung vorgebeugt haben, machen wir einen Spaziergang zum Südkap der Bucht. Man weiß ja nie, was es zu entdecken gibt, aber viel ist es heute nicht. Auf den Hängen steht der wilde Thymian in voller Blüte. Dessen leuchtendes Violett wird gelegentlich vom Sonnengelb der Feigenkaktusblüten unterbrochen.
Überall duftet der Thymian. Er schmückt, strauchartig, die grauen Steinhalden, auch dort, wo die
wundervolle Aleppokiefer, der Baum des Pan, nicht zu wurzeln vermag.
(Gerhart Hauptmann)
Am Ende des Weges liegt ein einzelnes Haus mit ein paar Bootsanlegern und einer großen Veranda voll mit Tischen und Stühlen. Außer einem schönen Blick über die Bucht wird jedoch nichts geboten. Am späten Nachmittag entwickelt sich das Wetter wie gehabt: Über der gegenüberliegenden Küste verdichten sich Quellwolken zu einem Gewitter, wir bleiben verschont.
Zum Abendessen geben wir der "Restaurant-Gasse" eine Chance zur Rehabilitierung. Heute stehen Kolokithokeftédes (Zucchini-Puffer), Tsatsíki und Bekrí Mezé auf unserer Bestellung. Letzteres ist ein mit Rotwein und viel Paprika zubereitetes Schweinegulasch. Mit einer Kanne Wein und einem Stück Orangenkuchen zum Nachtisch ist die Ehre der Gasse wiederhergestellt.
Auf dem schönen zentralen Syntágma-Platz ist am Abend viel Leben. Die Gastronomie ist gut besucht, Kinder toben herum, fliegende Händler preisen ihren Kram an. Wir spazieren jedoch weiter bis zur Promenade, wo wir unseren letzten Abend in Náfplion mit Cocktails beim Blick auf die Boúrtzi-Festung zelebrieren.