Eine Bäckerei etwas außerhalb der Ortsmitte hat ein paar Stühle und Tische auf ihrer Loggia stehen. Ich habe hier in den vergangenen Tagen mehrfach Einheimische in Arbeitskleidung sitzen sehen, was ich für ein gutes Zeichen erachte. Für mein Frühstück erwerbe ich einen Spanakópita sowie einen Americano und lasse mich dort nieder. Das Ambiente auf der Terrasse ist zwar nicht so fein wie am Hafen, aber dafür absolut authentisch: Traktoren, Lieferwagen und sogar die örtliche Müllabfuhr (sonntags!) machen die Runde und der Kaffee kostet nur die Hälfte.
Der Morgenhimmel ist klarer als an den vergangenen Tagen. Während bisher in den ersten Stunden des Tages leichte Schleierwolken und Dunst darauf warteten, von der steigenden Sonne verdampft zu werden, ist er heute schon seit Sonnenaufgang strahlend blau. Dafür ist es kühler geworden: Als Tageshöchsttemperatur sind nur 24°C prophezeit.
Da ich die von Adámas zu Fuß zu erreichenden Ziele gestern und vorgestern besucht habe, benötige ich für die nächsten beiden Tage einen fahrbaren Untersatz. Bei den zahlreichen örtlichen Vermietern steht eine breite Palette zur Auswahl: Vom Mountainbike über Mopeds, Roller, Quads, Buggies oder Kleinwagen bis hin zum Jeep ist alles zu haben. Ich entscheide mich für ein Quad. Das Kymco 1.70 ist in meiner Erinnerung das gleiche Modell, das ich vor sechs Jahren auf Skiáthos bereits gefahren habe.
Meine erste Tour führt nach Apollónia. Der kleine Ort am Nordostkap der Insel bietet alles, was der Besucher sich von einem Kykladendorf wünscht: Einen breiten, flach abfallenden Sandstrand mit vielen schattenspendenden Tamarisken, Tavernen unmittelbar am Wasser, manche sogar mit Tischen direkt auf dem Strand, einen kleinen Hafen und natürlich eine gepflegte Kirche. Alles ist sauber und wirkt wie frisch geweißt. Es gibt viel Blau, viel Weiß und viel Licht. Der gesamte Ortskern strahlt zum Erblinden hell in der klaren, gleißenden Sonne.
Das griechische Licht ist, wie jeder sagt, etwas, das man sich nicht vorstellen kann, bis man es erlebt
hat. In England wird die Hälfte des Lichts sozusagen vom Objekt absorbiert, aber in Griechenland scheint das Objekt
Licht abzugeben, als ob es von innen heraus erleuchtet würde.
(Henry Moore)
Der sonntägliche Gottesdienst ist offensichtlich bereits zu Ende. Entgegenkommende Passanten riechen nach Weihrauch und der Pope, soeben noch in der Kirche gesehen, gesellt sich zum Rentnertisch und beteiligt sich an der dortigen lebhaften Diskussion. Ein perfekter Ort für einen frisch gepressten Orangensaft, bevor ich mit der weiteren Erkundung der Gegend fortfahre.
Apollónia ist seit dem Aufblühen des Tourismus stark gewachsen. Auf der dem alten Dorfkern gegenüberliegenden Seite der Bucht hat sich in den letzten Jahren ein vollständig neuer Ortsteil entwickelt. Zum Glück wurde das klassische, kykladisch-kubische Architekturprinzip mit nur einem Obergeschoss konsequent eingehalten, weswegen das Wachstum nicht unangenehm auffällt. Auch eine eigene neue Kirche für den Pelekoúda genannten Ortsteil darf natürlich nicht fehlen. Sie besetzt die prädestinierte Lage am äußersten Landende. Hinter ihr gibt es nur noch ein Leuchtfeuer, das auf dem von Grotten unterhöhlten Kap steht. Lediglich einen Kilometer entfernt liegt die Nachbarinsel Kímolos.
Wer sich ein wenig für Geologie interessiert, kann hier einiges entdecken. Am felsigen Küstenabschnitt gegenüber der Kirche wird die eruptive Vergangenheit der Insel besonders deutlich: Auf dem Grundfels befinden sich eine fünf Meter mächtige Bimsschicht und obenauf ein weiterer Meter vulkanischer Schuttablagerungen. An einer Stelle haben sich Lavabomben in den Bims gebohrt. Während Wind und Wetter den weichen Stein fort erodiert haben, wirkte das harte Vulkangestein darüber wie ein Schutzschirm. So hat sich ein skurriles, fast zwei Meter hohes Gebilde geformt, das die Bezeichnung "Gravity Rock" trägt und die Landspitze wie eine Skulptur schmückt.
Bei meiner Rückkehr in den alten Ortskern hat die Sonne bereits den Zenit überschritten. Es wird Zeit für eine Stärkung. In meiner Lieblingslage, direkt am Wasser, bekomme ich eine gegrillte Aubergine, die auf einem Bett von Wildkräutern zusammen mit sahnigem Frischkäse und Tomaten serviert wird. Da ich anschließend weiterfahren möchte, begnüge ich mich mit einem Alpha-Bier, der einzigen Marke, die es hier in alkoholfreier Variante gibt.
Auf der Rückfahrt mache ich einen Halt an den Papáfragas-Grotten. In der Umgebung des winzigen Strandes gibt es mehrere Höhlen und Grotten, die teilweise unterirdisch miteinander verbunden oder durch Felsenbrücken getrennt sind. Obwohl keine starke Brandung herrscht, verursachen die Wellen in den zahlreichen Hohlräumen eine beeindruckende Geräuschkulisse. Nach einem kurzen Aufenthalt setze ich mich wieder auf mein Quad und steuere das letzte Ziel des Tages an.
Unter allen Inseln der Kykladen nimmt Mílos eine Sonderstellung ein, da sie wirtschaftlich nicht alleine vom Tourismus abhängig ist. Dieser macht lediglich Platz zwei der lokalen Wertschöpfung aus. Infolge der besonderen geologischen Voraussetzungen besitzt Mílos eine Vielzahl von abbauwürdigen Bodenschätzen, die teilweise seit Jahrtausenden ausgebeutet werden. Während in der Antike vor allem Obsidian und Schwefel abgebaut wurden, sind es heutzutage Bentonit, Perlit, Kaolin und Bimsstein. Für 40% der Bevölkerung ist der Bergbau bis heute die Lebensgrundlage.
Von besonderer Bedeutung für Mílos ist die "Aggeria Bentonit Mine", welche die Insel zu einem der weltweit größten Produzenten des Gesteins macht. Der Betreiberkonzern hat für Besucher eine Aussichtsplattform errichtet. An der Einfahrt zum Tagebaugelände begrüßen mich zunächst eine Reihe von Warnungs- und Verbotsschildern. Den Hinweis "Only industrial vehicles allowed" nehme ich mir durchaus zu Herzen, schon vor allem aus Eigeninteresse. Über die recht schmalen und kurvigen Schotterpisten donnern nämlich alle paar Minuten mit zig Tonnen Bentonit beladene Trucks herab und ich zweifele daran, dass sie auf eine Begegnung mit einem entgegenkommenden winzigen Quad vorbereitet sind. Ich lasse mein Fahrzeug also stehen und gehe besser zu Fuß.
Das nächste Schild "No admittance to unauthorized persons" muss ich leider missachten. Erstens fühle ich mich als Vertreter der Öffentlichkeit durchaus autorisiert, und zweitens ergibt eine Aussichtsplattform keinen Sinn, wenn man nicht zu ihr gelangen dürfte. Bis dorthin sind es kaum mehr als 20 Minuten Fußmarsch. Von Sonntagsruhe ist nichts zu spüren. Neben den schweren Kipplastern sind auch Tankwagen und große Schaufelbagger unterwegs, deren Fahrer allesamt freundlich grüßen. Soviel zum Thema "Kein Zutritt für Unbefugte".
Für jemanden, der im Rheinischen Braunkohlenrevier gelebt hat, ist der Tagebau vielleicht nicht aufsehenerregend, aber auf einer so kleinen Insel kommt er unerwartet und ist durchaus beeindruckend. Am Boden des Tagebaus hat sich ein Grundwassersee gebildet, wahrscheinlich das einzige Süßwasser weit und breit (aha, daher die Mücke heute Nacht). Winzig wie Spielzeuge wirken die Bagger auf den gegenüberliegenden Abbausohlen und lassen die Dimensionen des Tagebaus erst richtig greifbar werden. Natürlich gibt es neben dem Aussichtspunkt eine kleine Kapelle - wir sind schließlich in Griechenland und da darf sie nicht fehlen.
Ich spaziere zum Quad und fahre nach Adámas zurück. Den Rest des Nachmittags verbringe ich zunächst mit einer Dose eisgekühltem Vérgina-Bier am gemütlichen Ortsstrand, später wechsele ich zum Fischerhafen und genieße die Ruhe des Sonntagnachmittags.
Erst nach Sonnenuntergang mache ich mich zum Abendessen auf den Weg. Ich nehme Soutzoukákia und dazu ein weiteres Vérgina. Die in einer würzigen Tomatensauce geschmorten Hackfleischwürstchen mit viel Kreuzkümmel sind delikat, aber leider harmoniert das dunkle Sauerteigbrot nicht gut dazu. Was davon übrig bleibt, wird vom Kellner mit der Bemerkung "it's for the fishes" im Meer entsorgt. Die lassen nicht lange auf sich warten.
In einer Café-Bar in unmittelbarer Nähe des Ortsplatzes genehmige ich mir anschließend ein Mámos-Bier und einen "aged" Tsípouro, der 12 Monate im Eichenfass gelagert wurde. Dazu werden Wasser und Salzgebäck serviert, sodass die letzten Lücken im Magen gefüllt werden. Im benachbarten Lokal wird heute Live-Musik gespielt, das darf in einem Griechenlandurlaub nicht fehlen. So geht auch dieser Tag äußerst angenehm zu Ende.