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Heute habe ich erneut einen ganzen Tag auf Schusters Rappen geplant. Ich starte wieder in Richtung Norden, zweige außerhalb des Ortes aber nicht wie gestern nach Westen ab, sondern behalte die Richtung bei. Die Insel ist ausgedörrt und beim Anblick der Ziege, die mich erwartungsvoll anschaut, bekomme ich etwas Mitleid. Wann mag das arme Tier zuletzt etwas frisches Grün zu futtern bekommen haben?

Manchmal sagt man "Der Weg ist das Ziel", aber heute gilt dies nicht. Der Weg über die Insel ist unattraktiv. Die Landschaft ist trocken, karg, still und einsam. Unter dem noch morgendlich diesigen Himmel könnte man beinahe leicht depressiv werden. Ein Wegweiser, der zeigt, dass ich mich zumindest nicht verlaufen habe, hebt ein wenig meine Stimmung. Zum Glück ist die Strecke nicht lang. Nach einer guten Stunde kommt Mandrákia, mein erstes Ziel, in Sicht.

In einem Ranking der am meisten abgelichteten Motive von Mílos wetteifert der Ort mit Klíma um den zweiten Rang. Platz eins habe ich für heute Nachmittag vorgesehen. Auch Mandrákias Wahrzeichen sind bunte Sýrmata. Sie sind zwar nicht ganz so farbenfroh, dafür punkten sie mit einer malerischen Gruppierung um die kleine Hafenbucht. Im Unterschied zu Klíma haben sie kein Obergeschoss, sondern sind in den weichen Felsen hineingegraben. Wahrscheinlich ist dies auch der Grund, weshalb sie weiterhin als Bootshäuser und nicht als Ferienwohnungen genutzt werden.

Man kann wohl mit Gewissheit sagen, dass die Welt noch nie so bunt aussah wie jetzt.
(Friedrich Hölderlin)

Ich habe noch nicht gefrühstückt. Am nördlichen Ende finde ich die Taverne Médousa, die einzige im Ort. Deren Türe steht offen und es duftet bereits nach Essen. Einzig eine alte Frau im Küchenkittel ist anwesend, sie wischt und räumt frische Handtücher ein. Da man von der Terrasse eine wunderbare Aussicht hat, nehme ich Platz und genieße die Stille, die alleine vom Geräusch des Meeres untermalt wird. Nach einiger Zeit, während derer die Alte mich gekonnt ignoriert, spreche ich sie an, um zu erfahren, wann die Taverne öffnet. Um 12 Uhr lässt sie mich wissen.

Wenigstens hat der vorhin noch geschlossene Kantinenwagen am Parkplatz zwischenzeitlich seine Läden geöffnet. Hier erstehe ich einen Kafé frappé, der zusammen mit einem Nussriegel aus meinem Notproviant ein frugales Frühstück ergibt. Dazu nehme ich auf einer Bank vor der Kirche im Schatten einer Tamariske mit Blick auf den pittoresken Hafen Platz. Mandrákia ist definitiv der perfekte Ort für eine Burnout-Therapie, es ist ruhig, bildschön und es gibt nur ein mäßig stabiles LTE-Netz, während die Mobilfunkabdeckung in Griechenland üblicherweise exzellent ist.

Auf der Suche nach neuen Perspektiven und Motiven bummele ich um die Häuser. Während in Klíma die Bootshäuser wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche liegen, schwappt hier das Meer in die Garagen hinein. Wer vor seinem Sýrma sitzen möchte, sollte nicht wasserscheu sein. Die Kirche oberhalb des Hafens wird zurzeit renoviert, Säcke mit Putz liegen im ausgeräumten Innenraum. Es scheint schon längere Zeit keinen Fortschritt gegeben zu haben, aber was bedeutet das schon? Zeit ist hier nur ein Wort. Ich setze mich erneut unter den Baum und genieße die Aussicht, die Ruhe und die schöne Brise vom Meer.

Ich überlege aufzubrechen. Als ich auf die Uhr schaue, bin ich überrascht: Es ist bereits 11:30 Uhr. Ich fasse den Entschluss, die wenigen Minuten bis zur Öffnung der Taverne zu bleiben und vor der nächsten Etappe eine ordentliche Mahlzeit einzunehmen. Unterhalb der Taverne tropfen die frischen Oktopoden bereits auf der Leine in der Sonne, während im benachbarten Kabuff zwei Köche zugange sind und sich dabei nasse Füße holen. Und dabei soll ich keinen Appetit bekommen?

Ich bin nicht der Einzige, der auf die Öffnung der Taverne gewartet hat. Schon kurz vor 12 Uhr füllen sich die Tische. Ich bestelle natürlich einen "grilled sun-dried Octopus" und nehme ein Mámos dazu. Die Taverne hat wirklich eine exquisite, etwas erhöhte Lage mit Blick auf die See und ich mache schnell ein Foto davon, bevor wenige Minuten später auch der letzte Tisch besetzt ist. Als ich mein Essen probiere, kommen mir beinahe die Tränen. Der Kopffüßler ist außen kross und innen butterzart. In einer warmen Olivenöl-Kapern-Marinade serviert ist es wohl der beste Oktopus, den ich je gegessen habe. Alleine dafür würde sich ein Besuch auf Mílos lohnen.

Ich schwärme für einfache Genüsse.
Sie sind die letzte Zuflucht der Komplizierten.
(Oscar Wilde)

Nach dem delikaten Mahl bin ich bereit für das nächste Ziel. Um auf Wegen nach Sarakíniko zu gelangen, müsste ich zunächst einen guten Kilometer ins Land, dann zwei Kilometer nach Südosten, um anschließend den Kilometer wieder zurück zur Küste zu gehen. Da der Untergrund fest und ziemlich eben und die Vegetation äußerst übersichtlich ist, entscheide ich mich, mir diesen Umweg in der brennenden Sonne zu sparen und mache mich querfeldein auf den Weg. Eine gute Idee, es gibt keine unerwarteten Hindernisse.

Schon bald ändert sich die Landschaft und wird zunehmend spektakulär. Zum Meer hin fallen weiße, von Höhlen durchbohrte Klippen senkrecht ab. Mit jedem Schritt weiter ähnelt die Gegend mehr und mehr einer Kulisse für dystopische Filme oder außerirdische Abenteuer. Der Tuffstein wurde über Jahrtausende durch Wind und Meer zu weichen, beinahe organischen Formen abgeschliffen. Die Kombination aus glatten Flächen und steilen Klippen verleiht dem Gebiet etwas schwer Beschreibbares, das in allen Reiseportalen immer wieder als "Mondlandschaft" bezeichnet wird. Mich erinnert es eher an eine Eiswüste. Dazu passt, dass infolge der starken Reflexion das gleißende Licht von allen Seiten die Augen erreicht und man ohne Sonnenbrille nach einiger Zeit beinahe schneeblind wird.

Ein einziger Blick auf die Landschaft genügte, um mir zu zeigen, wie gänzlich verschieden sie von all dem war, was ich jemals gesehen hatte.
(Charles Darwin)

Das gesamte Gebiet ist fast menschenleer, lediglich an den Stellen, an denen man ins Wasser gehen oder springen kann, tummeln sich die Leute. Ziemlich genau in der Mitte des Areals gibt es eine kleine Bucht, an deren Basis sich ein Sandstrand gebildet hat, auf dem einige Tamarisken wachsen. In ihrem Schatten ist sogar noch etwas Platz, da die überwiegend jungen Besucher lieber auf den Felsen in der prallen Sonne liegen. Ich genehmige mir eine Abkühlung im Wasser und halte eine schöne Siesta im Schatten der Bäume.

Im hinteren Bereich der Bucht finden sich Stollen, über deren Ursprung und Zweck Uneinigkeit herrscht. Möglicherweise dienten sie Piraten als trockene Lagerräume. Diese Erklärung erscheint mir plausibel, da es überliefert ist, dass auch die natürlich entstandenen Grotten in der Felsenküste den zahlreichen Freibeutern der Ägäis als Verstecke für ihre Schiffe gedient haben.

Nahe der Bucht existiert eine Klippe, die besonders bei jungen Männern beliebt ist, wohl um ihren Mut unter Beweis zu stellen. Aus einer Höhe von fast zehn Metern springen viele von ihnen (zumeist nach kurzem Zögern) hinab ins Wasser.

Vor dem Abschied erkunde ich die Umgebung jenseits der Bucht. Hier sind die Felsen besonders rein und weiß und darüber hinaus zu faszinierenden Formen erodiert. Ich könnte beliebig lange hier umherstreifen, muss aber bedenken, dass mir noch der Heimweg bevorsteht. Ich werde für ihn zwar nur gut eine Stunde benötigen, aber die Sonne brennt von einem vollkommen wolkenlosen Himmel und unterwegs ist Schatten nicht nur rar, sondern überhaupt nicht vorhanden. Gegen 17 Uhr erreiche ich mein Hotel.

Zum Abendessen besuche ich ein Restaurant in der Geschäftsstraße. Dort ist Kaninchen-Stifádo im Angebot. Das zwiebellastige Gericht ist mit viel Lorbeer und Piment ganz traditionell gewürzt, aber sicher nicht jedermanns Geschmack. Ich liebe es. Dazu trinke ich ein Mýthos-Bier und genehmige mir anschließend - ebenfalls ganz traditionell - einen Tsípouro. Auf dem Rückweg kann ich es mir nicht verkneifen, eine Aphrodite-Statue zu erstehen und lasse mich zuletzt auf dem Ortsplatz nieder. Heute sind besonders viele Kinder anwesend und sie spielen besonders lebhaft. Es wundert mich nicht, es ist schließlich Wochenende. Es ist immer wieder schön, ihnen beim unbeschwerten Spiel zuzuschauen. Schade, dass man so etwas in Deutschland nicht mehr sieht.

Unterwegs:


Mandrákia:


Sarakíniko:


Adámas: