Wenn du nicht weißt, wo du hingehst, wird dich jede Straße dorthin bringen.
(Lewis Carroll)
Noch vor drei Tagen habe ich nicht geahnt, dass ich heute fliegen würde. Mir wurde am Wochenende plötzlich bewusst, zehn arbeitsfreie Tage vor mir zu haben. Dabei hatte ich die ursprüngliche Idee, in dieser Zeit eine Woche in einem deutschen Mittelgebirge zu wandern, mit Blick auf die Wetterprognose gedanklich bereits verworfen. Zufällig sah ich am gleichen Nachmittag im TV eine Reportage über die Kykladen. Was soll ich sagen: Im Zeitalter von Online-Buchungsplattformen für Flüge, Fähren und Hotels bekommt der Begriff "last minute" eine ganz neue Bedeutung.
Jetzt stehe ich also im Terminal und warte auf den Beginn des Boardings. Die ersten Hindernisse des Tages sind bereits überwunden. Wegen der Kurzfristigkeit und des vorgegebenen Zeitfensters war nur ein Flug ab Düsseldorf möglich und es hieß, erst einmal dorthin zu kommen. Eine Teilsperrung der Kölner Hohenzollernbrücke wegen einer »kriminaltechnischen Untersuchung« hatte nämlich eine mindestens 45-minütige Verspätung sämtlicher Züge zur Folge. Einer inneren Ahnung folgend hatte ich zum Glück ausreichend Zeitpuffer für die Anfahrt eingeplant.
Im Gegensatz zum Zug- ist der Luftverkehr von keinen Hindernissen betroffen. Mein Flug wird von Aegean Airlines durchgeführt. Die an Bord übliche griechische Begrüßung "γειά σας" ("jássas") weckt sofort erste Urlaubsgefühle. Nach drei Stunden Flugzeit landen wir um Punkt 17 Uhr in Athen. Mich begrüßt ein leichter, 26°C warmer Wind.
Für eine Fahrt mit den modernen Expressbussen muss man nicht zwingend vorab ein Ticket ziehen. Kartenleser im Fahrzeug ermöglichen kontaktloses und vor allem einfaches Bezahlen. Die Linie X96 fährt vom Flughafen ohne Umsteigen bis zum Hafen von Piräus. Anders als alle sonstigen ÖPNV-Verbindungen führt sie nicht nach Athen hinein, sondern umgeht den 1000 Meter hohen Ymittós-Bergrücken im Süden und folgt dann der Küstenstraße entlang der Attischen Riviera. Wenn der Berufsverkehr nicht gerade jetzt seinen Höhepunkt hätte, wäre die Fahrt noch deutlich reizvoller. Auf diese Weise habe ich jedoch die Gelegenheit, einen malerischen Sonnenuntergang zu bewundern. Für die gut 40 Kilometer benötigen wir mehr als zwei Stunden Zeit.
Ich habe ein Hotelzimmer im Stadtzentrum von Piräus. Kaum 300 Meter entfernt entdecke ich in einer Seitengasse im nur begrenzt schicken Hafenviertel das "Shakespeare in Love", ein geschmackvoll gestaltetes Restaurant, das von offensichtlich intellektuellem Publikum geschätzt wird. Im Innenraum finden Lesungen oder Vorträge statt, im Außenbereich schafft ein Lichterdach eine gemütliche Atmosphäre. Ich bestelle ein Tomahawk-Steak mit Pommes und Röstzwiebeln sowie ein Weizenbier, und da der Laden laut Internet für gute Cocktails bekannt ist, beschließe ich den Besuch mit einem ebensolchen. Nebenbei stöbere ich per Ferryhopper-App nach potentiellen Zielen und passenden Zeiten. Rasch werde ich fündig. Für morgen früh um 9 Uhr buche ich eine Schnellfähre nach Mílos und kann Dienstagnachmittag zurück. Perfekt - nach Mílos wollte ich schon immer einmal. Ein Hotel auf der Insel ist ebenfalls rasch gefunden. Smartphones sind eine geniale Erfindung.
Bevor ich mich ins Zimmer zurückziehe, genieße ich die milde Abendluft auf dem nahen Koraí-Platz. Schräg gegenüber befindet sich das Stadttheater von Piräus. Der spiegelglatte, marmorgepflasterte Vorplatz ist verständlicherweise ein beliebter Treffpunkt jugendlicher Skater. Schließlich fällt mir das markante Logo der Metro ins Auge und ich erfahre Neues: Die "Linie 3", die vom Airport nach Agía Marína fuhr, wurde vor zwei Jahren bis Piräus ausgebaut und bietet seitdem eine deutlich raschere Direktverbindung zwischen Flug- und Fährhafen. Eine gute Nachricht für die Rückreise.