Zum Frühstück besuche ich ein Café an der Promenade. Das Wetter verspricht schön zu werden und ich genieße die morgendliche Ruhe und den hervorragenden Kaffee, der hier gebrüht wird. Anschließend spaziere ich quer über die Halbinsel zur Südküste. Um 9:15 Uhr gilt man hier als Frühaufsteher, denn ich bin ganz offensichtlich der Erste, der an diesem Morgen hier erscheint. Nur zehn Kilometer weiter geradeaus liegt der Südzipfel Kórfus genau vor mir.
Ich wate durch das flache Wasser hinüber zur Insel Megálo Mourteméno. Wenn man in der Mitte der Furt ist und sich umschaut, hat man keinesfalls den Eindruck im Meer zu stehen. Man ist ringsum von Land umgeben und könnte die Stelle problemlos mit einem Mittelgebirgssee verwechseln. Der gegenüberliegende Bélla-Vráka-Strand ist um diese Uhrzeit menschenleer, abgesehen von der Crew in der Baracke eines Wassersportgeräte-Verleihs. Lange werde ich nicht alleine bleiben, schon jetzt durchqueren die nächsten Besucher die Furt.
Da ich gestern Nachmittag gesehen habe, dass Bélla-Vráka nicht nur sehr voll, sondern zumindest zeitweise auch musikbeschallt ist, habe ich nicht vor hier zu bleiben. Zur Rechten öffnet sich ein Pfad unter dem Buschwerk des Inselchens und führt zum 150 Meter entfernten Mourteméno-Strand. Er ist bei meinem Eintreffen ebenfalls menschenleer, jedoch keinesfalls unbelebt. Dem ersten morgendlichen Gast gebührt die Ehre, die hiesigen Strandziegen zu wecken, die mich leicht irritiert anschauen und sich dann im Dickicht verdrücken. War ich etwa zu früh?
Zeit ist hier nur ein Wort und nicht mehr. Allein die Ruhe macht es zu einem anderen Land.
(Lawrence Durrell)
In der Mitte der Bucht steht ein ungewöhnlich großer und dicht belaubter Mastix-Baum. Naturschatten am Strand, das ist ganz nach meinem Geschmack. Noch dazu stehen ein paar Liegen herum, die nicht so aussehen, als würde dafür jemand eine Gebühr kassieren, die aber durchaus voll einsatzbereit sind. Ob man sich einfach bedienen kann? Abwarten, wenn jemand ein paar Euro dafür haben will, wird er sich schon im Laufe des Tages melden.
Mit der Gnade des ersten Gastes suche ich mir den besten Platz und die beste Liege aus und mache es mir bequem. Der Strand ist sauber, sandig bis fein kieselig und das Wasser in der flachen Bucht warm wie ein Babybad. Erfrischend wird man es vermutlich erst unter der heißen Mittagssonne empfinden, aber es ermöglicht einen unbegrenzt langen Aufenthalt im Meer. Noch dazu werde ich von den bissigen Fischchen verschont, die mich in den vergangenen Jahren im Spätsommer schön des Öfteren gezwickt haben. Vermutlich ist ihnen das Wasser hier einfach zu warm.
Die kleine Bucht ist weniger frequentiert, als ich erwartet hatte. Am Vormittag sind es kaum ein Dutzend Besucher, erst gegen Mittag wird es etwas voller, doch es bleibt ruhig und niemand ist auf die Idee gekommen, einen Ghettoblaster mitzubringen. Mit einem älteren, sonst nicht mehr verwendeten Fotoapparat und einem wasserdichten Kamerabeutel versuche ich mich an Unterwasserfotografie. Zwar grundsätzlich erfolgreich, ist es ohne Schnorchel und Tauchermaske jedoch reine Glückssache, ein Motiv zu erwischen. Lediglich die Seegrasflächen und ein paar beinahe transparente Fische sind die Ausbeute der Spielerei.
Dafür gibt es am frühen Nachmittag eine Abwechslung der besonderen Art. Eine der Ziegen kehrt zurück und zeigt keinerlei Scheu. Ganz im Gegenteil scheint sie genau zu wissen, dass bei Badegästen immer etwas Leckeres zu holen ist. Mein Mittagsimbiss ist bereits Geschichte, andere Besucher bringen ihren Proviant in Sicherheit oder teilen es freigiebig mit dem sympathischen Hornträger. Nach einiger Zeit wird mir klar, dass Ernährung auf der dicht bewaldeten Insel nicht das Problem der Ziegen ist, sondern eher der Zugang zu Trinkwasser. Davon habe ich ausreichend Vorräte mitgebracht. Aus einer leeren 1,5 Liter Plastikflasche improvisiere ich eine Schale und treffe damit voll ins Schwarze. Mehr als einen Liter Wasser schlürft das glückliche Tier in wenigen Augenblicken in sich hinein.
Die gute Tat hat ihren Preis. Im Laufe des Nachmittags sind meine Flüssigkeitsvorräte verbraucht, weshalb ich eine Stunde früher als geplant aufbreche. Am Bélla-Vráka-Strand hat die tägliche Völkerwanderung inzwischen ihren Höhepunkt erreicht. Zum Ausgleich des verfrühten Aufbruchs gönne ich mir einen Kafé frappé an der Uferpromenade. Kein schlechter Trost, hier weht ein leichtes Lüftchen und es riecht nach Muscheln, Algen und Fischernetzen. Aah... Urlaub!
Smell the sea, and feel the sky. Let your soul and spirit fly.
(Van Morrison)
Auf dem Weg zur Pension schaue ich mir das Angebot der Tavernen und Bars genauer an. Die Auswahl der Speisen ist dem touristischen Standardgeschmack angepasst, ohne dass sich auch nur ein einziges Haus besonders vom Rest abheben würde. Und Tsípouro ist tatsächlich nur zweimal im Angebot. Das wird mir immerhin die abendliche Auswahl erleichtern.
Zum stimmungsvollen Sonnenuntergang bin ich zurück auf der Promenade und esse ein nicht ganz so leckeres Hummus, ein gutes Stifádo und trinke dazu das sehr gute Kaiser-Pils. Ein Tsípouro schließt die Speisefolge ab. Als ich nach einem kleinen Verdauungsspaziergang meine Pension erreiche, treffe ich die Besitzer auf der luftigen, weinberankten Terrasse sitzend. Es entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch, bei dem alle Übersetzungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden. Der Hausherr Achillés spricht ein wenig Deutsch, seine Gattin Voúla brauchbares Englisch, während ihr Bruder nur Griechisch beherrscht. Wenn es gar nicht mehr weitergeht, ist die Google Translation-App eine gute Hilfe.
Irgendwann komme ich auf das mangelnde Angebot an Tsípouro in den Lokalen der Promenade zu sprechen. Damit renne ich bei Achillés offene Türen ein. Wie hätte es anders sein können - er brennt natürlich selber. Die anfänglich volle Flasche, die eine Minute später auf dem Tisch steht, wird im Laufe des lange dauernden Abends deutlich leichter. Aber Respekt: Der Brand ist wirklich gut.
Die Zivilisation beginnt mit der Destillation.
(William Faulkner)