Der letzte Tag in den Bergen beginnt erneut mit strahlendem Sonnenschein. Ich packe den Koffer sowie mein bewährtes Proviantpäckchen und verabschiede mich von meinen Gastgebern, die mich nicht gehen lassen wollen, ohne mich mit einem Ein-Kilo-Glas feinstem Honig auszustatten. Es ist nicht unbemerkt geblieben, dass griechischer Joghurt mit Honig ein wesentlicher Teil meiner Frühstücksroutine war.
Bevor ich die Zagória verlasse, will ich eine letzte Tour unternehmen, die zwar weniger anspruchsvoll, aber landschaftlich äußerst reizvoll zu werden verspricht. Es ist die Wanderung parallel des Flusses durch die sogenannte "Untere Voidomátis-Schlucht", das enge Tal von der Voidomátis-Brücke bei Arísti bis nach Klidoniá.
Auf dem Weg zum Startpunkt lege ich einen kurzen Stopp in Káto Pediná ein, einem der ältesten Zagóri-Dörfer. Hier befindet sich die Taxiárches-Kirche, ein geduckter alter Bau, den ich mir gerne anschauen möchte. Doch, obwohl Sonntagmorgen, ist die Kirche verschlossen. Ich passiere Arísti und nehme die Straße in Richtung Pápingo, jedoch nur bis zu einem kleinen Parkplatz an der ersten Serpentine jenseits der Voidomátis-Brücke. Es ist 10 Uhr.
Der Weg beginnt einfach, beinahe ein Sonntags-Spaziergang, als geschotterter Waldweg ohne nennenswerte Höhenunterschiede. Unter dem dichten Blätterdach ist es angenehm schattig und die Trinkwasserversorgung ist durch die Nähe zum Voidomátis mehr als sichergestellt. Anfänglich überlege ich mir, Hut und Feldflasche im Auto zurückzulassen, aber man weiß nie, was kommt.
Auch die Orientierung erweist sich als einfach. Zwischen dem Flusslauf und den steilen Talwänden ist wenig Platz und solange man das Rauschen des Wassers zu seiner Linken hört, hat man nichts falsch gemacht. Im schlimmsten Fall steht man in einer Sackgasse vor der Felswand oder der Weg endet am Flussufer. In beiden Fällen reicht es, wenige Meter zurückzugehen. Aber wer will hier eigentlich schnell weg? Die Landschaft ist wunderschön. Das klare Wasser ist so türkisblau, wie ich es von anderen Stellen des Voidomátis kenne und fließt durch einen dichten, üppig-grünen Wald, der die meisten Menschen an überall, nur nicht an Griechenland denken ließe.
Hier werden Tage nicht in Zeit gemessen, sondern in Farben.
(Kendra Williams)
Die Bedingungen ändern sich rasch. Zunächst sind die Hindernisse noch von einfacher Art und leicht zu überwinden. Der Weg wird jedoch bald schmaler und steiler und führt abschnittsweise hart an der Abbruchkante entlang. Im mittleren Abschnitt wird das Tal sehr eng und wo zwischen Felsen und Fluss kein Platz für den Weg blieb, müssen die Klippen irgendwie überstiegen werden, was an einigen Stellen kurzes Klettern notwendig macht.
Wirklich gefährlich ist allerdings nur eine einzige Stelle, an welcher der Weg auf den Fluss zuführt und im letzten Augenblick einen scharfen Rechtsknick macht. Wenn man auf dem hier abschüssigen Boden zu viel Schwung bekommen hat, kann man leicht abkommen und sich auf dem steilen, felsigen Hang nach vier Meter Sturz ein Bein brechen, um zwei weitere Meter tiefer zu spüren, wie angenehm das 10°C kalte Wasser des Flusses die Schmerzen kühlt.
An anderen Stellen ist der Pfad nicht immer deutlich erkennbar und man muss seinem Bauchgefühl vertrauen. Oder holt sich nasse Füße, weil man nicht darauf geachtet hat, dass schon wieder ein kleiner Bach von den Felsen rinnt und in den Fluss mündet.
Abgesehen von solchen Kleinigkeiten ist die Wanderung ein wirkliches Vergnügen. Die Landschaft ist traumhaft schön, das Farbenspiel mancherorts fast unwirklich romantisch. Dabei ist der Weg alles andere als überlaufen. Ich werde von einem Naturburschen in Begleitung eines Hundes überholt (vielleicht ein Nationalpark-Ranger) und eine Familie kommt mir entgegen. Ansonsten bin ich alleine mit der Natur und kann Blumen wie die Herbstzeitlose bewundern. Ich mache viel zu viele Fotos, es ist im Grunde immer wieder dasselbe Motiv, aber immer aufs Neue berauschend schön.
Es wohnt Genuß im dunklen Waldesgrüne,
Entzücken weilt auf unbetretner Düne,
Gesellschaft ist, wo alles menschenleer, [...]
Die Menschen lieb ich, die Natur noch mehr.
(Lord George Gordon Byron)
Nach eineinhalb Stunden erreiche ich die Brücke von Klidoniá, eine Einbogenbrücke, die im Jahr 1853 erbaut wurde. Hier verbreitert sich der Flusslauf, sodass seine Strömung abnimmt und er ganz friedlich dahin gleitet. Wie schön die hellen Felsen sich auf dem klaren Wasser spiegeln! An dieser Stelle mache ich eine Pause, setze mich auf einen umgestürzten Baumstamm und verzehre meinen Proviant.
Der Rückweg geht über die gleiche Strecke. Natürlich hat man aus der anderen Perspektive wieder einen neuen Blick auf den Fluss, auf dem inzwischen zahlreiche Rafting-Gruppen unterwegs sind. Vor allem aber nehme ich mir jetzt mehr Zeit, auf die Pflanzenwelt zu achten und entdecke im schattigen Tal die intensiv duftende Wald-Bergminze sowie das zierliche Griechische Alpenveilchen. Kurz nach 13 Uhr erblicke ich die Türme von Pápingo, die das nahe Ende der Wanderung ankündigen.
Im nahegelegenen Arísti lege ich eine Mittagspause ein und ordere in der Taverne am Ortsmittelpunkt eine gegrillte Forelle. Es ist bis auf wenige Tage genau ein Jahr her, dass ich hier mit Heny saß und wir das Gleiche gegessen haben. Ich hatte ihr versprochen, eine Gedenkforelle zu essen und ihr ein Foto zu schicken. Der Fisch ist unverändert lecker und mit Pommes und einem Mámos-Bier mit 10 € nicht teurer als vor einem Jahr. Am Nachbartisch nimmt das Paar aus Israel Platz, das ich gestern am Belói-Aussichtsbalkon kennengelernt hatte. Sie haben meine Ausflugstipps gerne angenommen.
So geht meine Zeit in den Bergen zu Ende. Ich fahre nach Ioánnina und nehme ab dort die Autobahn in Richtung Igoumenítsa. Zehn Kilometer vor dem Meer zweige ich nach Süden ab und erreiche gegen 17:30 Uhr den Badeort Sývota an der griechischen Westküste. In der Pension "Achilleas" habe ich für drei Nächte reserviert.
Als ich aus dem Auto steige, bekomme ich einen Schock. Nach den Tagen im Gebirge erscheinen mir die herrschenden 31°C in der feuchten Seeluft wie ein Backofen. Darüber hinaus begeistert mich der Ort nicht auf Anhieb: Vom ursprünglichen Fischerdorf ist nichts übrig geblieben, nicht mal ein ehemaliger Dorfkern ist erkennbar. Sývota hat sich vollständig dem Tourismus verschrieben. Die Promenade ist ordentlich gemacht und bietet zahlreichen Tavernen, Bars und Cafés Platz. Davor liegen viele Bötchen und Yachten und mehrere Anbieter vermieten alles, was auf dem Wasser schwimmt, vom SUP-Board bis zum Speedboot. Der Ort ist wegen seiner vorgelagerten kleinen Inseln und der buchtenreichen Küste bei Skippern und Wassersportlern sehr beliebt. So weit, so gut.
Etwas Weiteres entdecke ich beim ersten Rundgang: Die hügelige Halbinsel, die sich südwestlich des eigentlichen Dorfes ins Meer schiebt, ist fast vollständig in privater Hand. Ferienvillen, Appartementanlagen, Spa Resorts und ein Luxushotel liegen Seite an Seite. Die meisten Straßen und Wege sind gesperrt und nur für die jeweiligen Gäste zugänglich. So etwas ist in Griechenland eher unüblich und ich mag das auch nicht.
Immerhin sind die beiden beliebtesten Strände zugänglich. Das ist zum einen der Karvoúno- und zum zweiten und noch wichtiger: der Bélla-Vráka-Strand auf der Insel Megálo Mourteméno. Das Besondere daran ist: Man kann die Insel zu Fuß erreichen, da sie lediglich 65 Meter vom Festland entfernt liegt und das Meer an dieser Stelle nur gut hüfttief ist. Hier will ich morgen einen Tag der Entspannung verbringen.
Nach der Forelle zum Mittag reicht mir am Abend ein schlichtes Mahl. In einem Obelistírio, also einer Speisegaststätte, die man in Deutschland am ehesten als "Dönerbude" bezeichnen würde, wähle ich eine Portion Hähnchen-Gyros mit Tsatsíki und ein großes Bier der Marke Álfa. Das Essen ist allerdings enttäuschend, da das Fleisch zu lange gegrillt und trocken ist. Ein anschließendes Mýthos in einer gemütlichen Bar an der Uferpromenade hebt meine Stimmung wieder. Ich würde gerne einen Tsípouro dazu nehmen, aber dies wird in der Bar nicht angeboten. Vermutlich wird er von Touristen zu selten nachgefragt. Die lebhafte Promenade, die mich sehr an die von Skiáthos-Stadt erinnert, ist ansonsten ein Ort, an dem ich den Tag sehr angenehm ausklingen lassen kann.