Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
(Wilhelm Busch)
Schon der römische Philosoph Seneca wusste: "Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft". Der Plan, die faszinierende Landschaft des Épirus auf Schusters Rappen zu erleben, blickt auf viele Jahre zurück. Als mit der letztjährigen Reise diese Idee frische Nahrung bekam, begann ich, basierend auf den Etappen des Zagória-Treks, einige auf meine Physis angepasste Wandertouren zusammenzustellen. Die Realisierung dieser Idee sah ich damals nur undeutlich vor mir, in nicht näher definierter Zukunft.
Dann kam die Gelegenheit: Durch Änderung der beruflichen Umstände standen kurzfristig zwei Wochen Urlaub ohne die Möglichkeit einer Begleitung im Raum. Die Idee des Wanderurlaubs wurde aus der Schublade geholt, mit einem Strandfinale versehen und schon war aus einer vagen Idee eine konkrete Umsetzung geworden.
Als die Zeit gekommen war, schien alles wieder infrage gestellt zu werden: Während in Deutschland seit Wochen ein stabiler, trockener Hochsommer mit Temperaturen um und über 30°C herrschte, hatte sich über Südosteuropa ein Tiefdruckgebiet mit Wolken, Regen und Gewittern festgesetzt. Und es sollte sich in der kommenden Woche nicht von der Stelle bewegen. Doch bekanntlich gibt es kein schlechtes Wetter, sondern nur unpassende Kleidung und so starte ich, ausgerüstet mit Regenjacke, Schirm und wetterfestem Tagesrucksack in den Urlaub.
Noch unter dem Eindruck der Bilder von stundenlangen Wartezeiten am überfüllten Kölner Flughafen während der Sommerferien treffe ich drei Stunden vor dem geplanten Abflug am Check-in ein. Hier herrscht die Ruhe selbst, weniger als eine Handvoll Menschen belagern den Schalter und auch bei der Sicherheitskontrolle sieht es nicht anders aus. So darf ich also mehr als zweieinhalb Stunden bis zum Abflug totschlagen. Das reicht für ein Nickerchen. Erst zu einer Zeit, zu der im Arbeitsalltag mein Wecker klingelt, wird es im Boarding-Bereich endlich lebendig.
Ein verzögerter Abflug-Slot und kräftiger Gegenwind lassen eine halbe Stunde Verspätung erwarten. Der Anblick bewässerter Felder in der Axiós-Ebene weist auf die baldige Ankunft in Thessaloníki hin. Solch geometrisch angeordnete Äcker gibt es in Griechenland kein zweites Mal. Nach der Landung geht alles ganz schnell: Als ich das Gepäckband erreiche, rollt mein Trolley bereits heran und auch bei der Übergabe des Mietwagens bestimmt Effizienz das Handeln. Weniger als eine halbe Stunde nach dem Aufsetzen auf die Landebahn starte ich den Motor eines schwarzen Toyota Aygo.
Ich weiß nicht, wie es kam - aber mich packte da auf einmal wieder meine ehemalige Reiselust: alle die
alte Wehmut und Freude und große Erwartung.
(Joseph Freiherr von Eichendorff)
Die Autobahn in Richtung Westen ist erwartungsgemäß frei von Stau und so erreiche ich drei Stunden später Ioánnina, um dort eine kleine Rast einzulegen. Auf der Uferstraße, welche die Festungshalbinsel umgibt, findet man immer einen Parkplatz und ganz in der Nähe ein Café. Mit eiskaltem Wasser und einem Frappé vertreibe ich dort die aufkommende Müdigkeit. Im Anschluss vertrete ich mir die Beine am Seeufer. Gegenüber, in den Bergen meines Zielgebiets, beginnen sich bereits Gewitterwolken aufzutürmen.
Die letzte Etappe der Anreise beginnt. Beim Anblick des überwachsenen Wegweisers, der in die zentrale Zagória ("Central Zagóri") zeigt, kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Erwartet man, dass jeder Besucher ohnehin den Weg kennt? Oder möchte man das Gebiet, das viele als die landschaftlich schönste Region des Landes ansehen, nicht über Gebühr vermarkten? Wie auch immer: Hier beginnt die Straße anzusteigen, um 30 Minuten später und 600 Meter höher in Monodéndri zu enden. Das "Soul Boutique Hotel" am Ortseingang finde ich auf Anhieb und bekomme dort ein gemütliches Zimmer. Ein erkerartiger Anbau, in dem bei Bedarf ein Schlafsofa als drittes Bett genutzt werden kann, dient zusätzlich als kleines Wohnzimmer mit Aussicht über die Berge. Glockenklang der von der Tagesweide zurückkehrenden Schaf-, Ziegen- und Rinderherden hallt durch das Dorf und mischt sich mit fernem, doch langsam näher kommendem Donnergrollen.
Die nahe Víkos-Schlucht ist laut "Guinness-Buch der Rekorde" die tiefste Schlucht der Welt. Ihrer ist man sich hier jederzeit bewusst, selbst vom Spielplatz aus sind bereits Felswände zu sehen. Auf dem Weg zum Dorfzentrum weht mir der Geruch von gegrilltem Fleisch in die Nase. Die Tische der Tavernen sind gut zur Hälfte belegt, aber in Erwartung des nahenden Gewitters ziehe ich es vor, im Innenraum Platz zu nehmen. Offensichtlich haben viele der Gäste die bedrohlich dunklen Wolken, die ich auf dem Weg gesehen habe, noch nicht wahrgenommen. Dies ändert sich jedoch schnell. Bereits bevor ich mein Essen serviert bekomme, beginnt es innerhalb von Sekunden sintflutartig zu regnen. Die Gäste flüchten von draußen herein, hektisch bemüht, die verbliebenen Speisen und Getränke vor der Verwässerung zu retten. Begleitet wird das Schauspiel von Blitzlichtgewitter wie bei einem Presseempfang und ohrenbetäubendem Donner. In der sich rasch füllenden Gaststube wird es sehr gemütlich.
Inzwischen habe ich Tsatsíki und eine beeindruckende Portion Kontosoúvli erhalten. Ich schätze das Gewicht des am Spieß gegrillten, saftigen Schweinefleischs auf 500 Gramm. Allen modernen Küchenströmungen zum Trotz: Ein Kontosoúvli habe ich bisher noch in keiner veganen Variante auf irgendeiner Speisekarte entdeckt. Dazu bestelle ich ein Stála-Bier. Das Produkt einer erst vor wenigen Jahren in Ioánnina gegründeten Brauerei ist würzig und eigentlich viel zu schade, um es als Begleitung zum Essen zu trinken. Dazu reicht das ausgezeichnete hiesige Wasser allemal. Nicht umsonst wird halb Griechenland mit Wasser aus den epirotischen Bergen versorgt: Die Marken "Víkos" und "Zagóri" sind im Land allgegenwärtig.
Der Plan, das Ende des Unwetters in der Taverne abzuwarten, erweist sich als illusorisch, da es nicht so aussieht, als würde der Regen in den nächsten Stunden abflauen. Der Schirm schützt zwar gegen Wasser von oben, gegen die auf Straßen und Gehwegen bergab strömenden Fluten ist er jedoch wirkungslos. Leicht durchfeuchtet schaffe ich es zunächst bis zu einer Taverne an der Busstation. Auf deren geschützter, überdachter Terrasse gönne ich mir ein "Herrengedeck", bestehend aus Mýthos-Bier und einem Tsípouro. Mir wird ein 5 cl Fläschchen der Marke "18 Gráda" serviert, auch dies ein mir bislang unbekanntes Produkt aus regionaler Herstellung. Er entpuppt sich als einer der besten Tsípouros, die ich je getrunken habe und ich nehme mir vor, unter allen Umständen eine Flasche davon mit nach Hause zu nehmen.
Schließlich verliert der Wolkenbruch an Stärke und ich lege den Rest des Heimwegs zurück. Es kühlt bald merklich ab, was auf einer Höhe von 1100 Metern nicht verwundert. Die Wolken sinken herab und es wird nebelig zur Nacht.