Eine Stadt wie das moderne Athen, das sich mit viel Geräusch zwischen Akropolis und Lykabettos
einschiebt, muß erst in einem gewissen Sinn überwunden werden, bevor der Geist sich der ersehnten Vergangenheit
ungestört hingeben kann.
(Gerhart Hauptmann)
An jedem anderen Dienstagmorgen würde ich mich zur Seite drehen und weitere drei Stunden schlafen. Heute jedoch heißt es früh auf die Beine zu kommen, der Flieger wartet nicht. Das regnerische Wetter macht uns den Abschied von Köln leicht. Zweieinhalb Stunden später haben sich die Wolken, die lange die Sicht nach unten verhindert haben, endlich verzogen und wie in einem Traum formieren sich aus dem Morgendunst drei charakteristische Landzungen und die Konturen eines einsamen Berges. Schöner als mit dem Anblick der Chalkídiki könnte uns Griechenland kaum begrüßen.
Mit einer weiten Schleife südlich um Athén herum tritt der Landeanflug in seine finale Phase ein. Uns empfängt strahlender Sonnenschein bei einer Temperatur von 23°C. Was will man mehr, wenn man fünf Tage Stadturlaub vor sich hat? Die 30 Kilometer, die den internationalen Flughafen "Elefthérios Venizélos" vom Zentrum trennen, lassen sich wahlweise mit Bus oder Metro zurücklegen. Ursprünglich wollten wir die Metro nehmen, aber da beim Verlassen des Terminals direkt vor uns der richtige Bus steht, entscheiden wir uns spontan um. 50 Minuten später erreichen wir die Endhaltestelle. Der Syntágma-Platz ist sowohl räumlich wie politisch das Herz Athéns.
Unser Hotel liegt kaum fünf Fußminuten entfernt. Wie im Vorfeld abgesprochen können wir bereits einchecken und das Gepäck hier deponieren, auch wenn das Zimmer erst ab 15 Uhr bezugsfertig ist. Anschließend stürzen wir uns in das pulsierende Leben, spazieren durch die "Ermoú", eine der wichtigsten Einkaufsstraßen der Stadt und lassen uns am Mitropóleos-Platz in einem Bistro nieder. Mit Bruschetta und gut gekühltem Mámos-Bier tanken wir Kraft für den Nachmittag.
Auf dem Platz stehen gleich zwei Kirchen, die große und die kleine Mitrópolis. Erstere gilt als die Hauptkirche Athéns. Sie wurde von Otto, dem ersten König des modernen Griechenlands in Auftrag gegeben und wird bis in die Gegenwart für offizielle Staatsfeiern verwendet. Der äußerlich schlichte Bau wirkt im Vergleich zu den meisten orthodoxen Kirchen auch im Innenraum recht aufgeräumt. Unmittelbar nebenan findet sich das genaue Gegenteil: Die Kleine Mitrópolis ist eine der ältesten Kirchen der Stadt und wurde in ihrer ursprünglichen Form bereits in der Spätantike über einem vorchristlichen Heiligtum errichtet.
Stufe zu einem Heiligtum, unkenntliches Bruchstück von einem Altar, oder göttliche Gestalt,
abgeschliffen zu einem rundlichen Stück Stein.
(Hugo von Hofmannsthal)
Bis zur Pláka, der durch und durch touristisch geprägten Altstadt, sind es von hier aus nur wenige Schritte. In den mittlerweile überwiegend autofreien Gassen wird alles angeboten, was man im weitesten Sinne als Souvenir bezeichnen könnte. Vom billigsten neonfarbenen China-Kitsch bis zu zertifizierten Duplikaten hellenistischer oder kykladischer Statuen ist alles vertreten. Dazwischen finden sich zahlreiche Leder- und Schmuckgeschäfte sowie Tavernen in allen Preisklassen. Aufgelockert wird das geschäftige Treiben durch vereinzelte antike Sehenswürdigkeiten, welche die ausgesprochen wechselvolle Geschichte der Stadt überstanden haben.
Im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung ist das heutige Athén keine alte Stadt. Ihre Bekanntheit
als Wiege der europäischen Kultur und Geburtsstätte der Demokratie erlangte sie während eines weniger als 200 Jahre
dauernden Zeitraums ab dem späten 6. Jh. v. Chr. Bereits unter römischer Besatzung verlor die Stadt an Bedeutung,
ein Trend, der sich in den folgenden Jahrhunderten wechselnder Fremdherrschaft kontinuierlich fortsetzte. Auf Landkarten
aus dem 17. Jahrhundert ist Athén häufig nicht einmal eingezeichnet.
Nach der Gründung des neugriechischen Staates wurde die Stadt von den europäischen Schutzmächten aus romantisch
verklärten Gründen zur Hauptstadt erkoren und begann sich langsam zu erholen. Der Zustrom von Hunderttausenden
Flüchtlingen als Folge des verlorenen Griechisch-Türkischen Krieges führte schließlich zu einem unkontrolliertem
Wachstum. In den letzten 100 Jahren hat sich die Einwohnerzahl des Großraums Athén verhundertfacht!
Zwischen den Souvenirgeschäften entdeckt man den Turm der Winde, das besterhaltene antike Bauwerk der Stadt. Hier können wir erstmalig einen Blick auf den steilen Felsen der Akropolis werfen. Unmittelbar nebenan liegt die Römische Agora, das Stadtzentrum in römischer Zeit. Während in den tiefer gelegenen Bereichen der Pláka die Tavernen eher auf Massenverpflegung setzen, finden sich an den Hanglagen am Fuße des Burgberges auch gehobene Restaurants. Zwischen den Häusern hat man gelegentlich einen schönen Blick auf den Lykavittós, die höchste Erhebung im Stadtzentrum. Am Fuß des Lysikrátesmonuments machen wir eine kleine Rast und lenken dann allmählich die Schritte in Richtung unseres Hotels. Durch die Lysikrátous-Straße schauen wir auf die Stadtburg zurück, deren Besichtigung wir uns für den nächsten Tag vorgenommen haben. Am Hadriansbogen stoßen wir schließlich auf die Vasilíssis-Amalía-Avenue und erreichen wenige Minuten später unsere Unterkunft.
Die modern gestalteten Zimmer des InnAthens-Hotels liegen nicht zur Straßenseite, sondern zu einem begrünten Innenhof. Das hat den großen Vorteil, dass es sehr ruhig ist. Tatsächlich können wir sogar nachts bei geöffnetem Fenster schlafen, was in Athén ein seltener Luxus ist. Nach der Übernahme unseres Zimmers machen wir zunächst eine längere Siesta, schließlich haben wir bereits einen ausgefüllten Tag hinter uns.
Während unseres nachmittäglichen Rundgangs hatten wir einige Restaurants in der Pláka für den Abend vorgemerkt. Wir entscheiden uns für das Diogenes, in dem wir auf einer Terrasse unter Bäumen mit Blick auf das Lysikrátesmonument sitzen. Zur Begrüßung werden Oliven und Tomatensalsa mit frischem dunklen Brot serviert, danach wählen wir frittierte Reisbällchen mit Tomatenpüree und Fétacreme, Biftéki mit Ziegenkäse, Bratkartoffeln und Auberginencreme sowie ein Tomahawk-Steak mit Schmorkartoffeln und Karottenpürree. Gegen den Durst helfen ein paar Bierchen. Träge geworden, bleiben wir für einen Cocktail und zwei abschließende Mastix-Liköre gleich sitzen. Wie gut, dass wir es quer durch die Pláka zurück zum Hotel nicht weit haben. Satt und todmüde fallen wir ins Bett.