Pílion / Thessaloníki 18.09.2020

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Es wird nicht hell. Der Tag beginnt mit tiefen, dunklen Wolken und heftigen Windböen. Noch ist es trocken, doch angesichts der Wettervorhersage, die Doris uns aus dem griechischen Rundfunk übersetzt, müssen wir unser Tagesprogramm neu überdenken. Wir beginnen mit einem ausgedehnten Frühstück.

Das Grundstück unserer Gastgeber befindet sich am westlichen Ortsrand und reicht bis zu einem Bachlauf. Es umfasst neben Hotel und Taverne Rodiá einen großen Garten. Seit ich im Jahre 1982 zum ersten Mal hier war, hat dieser sich deutlich entwickelt: Eine üppig grüne Oase mit vielen Blumen, den namengebenden Granatapfelbäumen (gr. ροδιά (rodiá): Granatäpfel) und großen, weinberankten Pergolen. Angesichts schwer hinabhängender Trauben und Dimitris Aussage, "die Weinernte wäre in diesem Jahr nicht so toll", fragen wir uns, wie es wohl in einem guten Jahr aussehen könnte. Noch während wir uns im Garten aufhalten, beginnt der Regen.

Den ganzen Tag war es dunkel und düster.
(John Ronald R. Tolkien)

Wir ziehen uns ins Zimmer zurück. Es wird befürchtet, dass das Sturmtief sich zu einem Wirbelsturm entwickelt. Erste schwere Sturmböen und heftige Regenfälle werden von den Ionischen Inseln und der Westküste der Pelopónnes berichtet. Bei uns hält sich der Regen bislang in Grenzen, aber es donnert pausenlos. Die einzelnen Schläge sind nicht zu trennen, sondern verschwimmen zu einem einzigen dauerhaften Grollen.

Gegen Mittag fällt uns die Decke auf den Kopf und da es hin und wieder kleine Regenpausen gibt, beschließen wir, unser Glück in Vólos zu versuchen. Auf dem Weg dorthin machen wir in einer Töpferei in Káto Lechónia Halt und erstehen zwei handgefertigte Amphoren, die uns zuhause als Blumengefäße dienen sollen. Auch in diesem Geschäft ist der Verkäufer der deutschen Sprache mächtig.

In Vólos angekommen regnet es in Strömen und so können wir uns Zeit lassen, einen Parkplatz im Stadtzentrum zu finden. Im Auto sitzen wir wenigstens trocken! Die Suche erweist sich jedoch als aussichtslos und ich erinnere mich daran, dass ich vor drei Jahren in einer ähnlichen Situation war und am Fischmarkt fündig geworden bin. So geschieht es auch in diesem Jahr. Vom Auto aus hasten wir über die Straße unter die Arkaden des Marktgebäudes. Einen Regenschirm gibt es hier zwar nirgendwo zu kaufen, doch in einem der Kafénions können wir bei einem heißen Kaffee wieder trocknen.

Toren besuchen im fremden Land die Museen, Weise gehen in die Tavernen.
(Erhart Kästner)

Vólos ist für seine hohe Dichte an Tsipourádikos bekannt. In dieser speziellen Art von Lokalen bestellt man traditionell lediglich den Tsípouro und bekommt dazu etwas zu essen serviert. Was genau man erhält, liegt im Ermessen des Wirtes und hängt vor allem davon ab, was er am Morgen auf dem Fischmarkt erwerben konnte. Dank Google Maps finden wir ein sehr gut bewertetes Exemplar keine 200 Meter von unserem Standpunkt entfernt. In der erstbesten Regenpause machen wir uns dorthin auf.

Wenn schon Vólos keine Stadt ist, die Touristen anlockt, so ist es das Altstadtviertel Palaiá noch weniger. Zwischen Fischmarkt, Hafen und Bahnhof gelegen verirren sich so gut wie keine Ausländer hierhin. Die höchstens eingeschossigen, leicht barackenartig wirkenden Häuser gehören zu den wenigen, die das zerstörerische Erdbeben von 1955 überstanden haben. Als Ausgehviertel genießt es in Vólos jedoch Kultstatus - in so gut wie jedem Haus befindet sich ein gastronomischer Betrieb.

Im "Gióta" gibt es keine Speisekarte. Genauer gesagt: Es gibt zwar eine, aber die hat keine Bedeutung und wird lediglich als Übersetzungshilfe zwischen englischen und griechischen Bezeichnungen verwendet. Ähnlich wie in einem Kölschen Brauhaus gibt es nur eine einzige Frage "Tsípouro?" und darauf eine einzige mögliche Antwort "ναι" (gr. ναι (nä): ja). Zum ersten Gang gibt es zwei gut gefüllte Tsípouro, ein halbes Brot, ein Eimerchen Eiswürfel und drei Gerichte: ein gegrilltes Oktopus-Bein auf Salat, vier gebratene Fische, wobei einer von einer anderen Gattung ist, sowie Skordaliá, eine Art gewürzter Kartoffelstampf.

Heny reicht ein Schnaps, ich sage auch bei der zweiten Fragerunde wieder zu. Der Tresterbrand ist von außergewöhnlicher Qualität, vielleicht der beste, den ich je getrunken habe. Er ist weich und aromatisch, mit einem deutlich ausgeprägten Rosinenaroma. Dazu bekommen wir eine Portion großer Garnelen sowie einen Teller mit Tomatokeftédes (Tomatenpuffern) und Galotíri, eine angemachte Fétacreme.

Noch mehr Alkohol wollen wir uns mitten am Tag nicht einverleiben, aber der Appetit auf Fisch ist noch nicht ganz gestillt. Wir fragen, was es heute Besonderes auf dem Markt gab und erfahren, dass "monkfish" (Seeteufel) im Angebot ist. Als Beilage gibt es Auberginenpüree (Melitsanosaláta).

Die Speisen sind ausnahmslos sehr lecker und belasten unser Budget inklusive der Getränke mit 27 €. Auch hier gibt es eine kleine Zugabe: Zwei Gläser mit Creme Karamell runden das lukullische Vergnügen ab. Wir bleiben bis zur nächsten Regenpause sitzen und gelangen dann trockenen Fußes in die City, wo wir als Erstes einen Regenschirm erwerben, der uns beim anschließenden Stadtbummel gute Dienste leistet. Immer wieder gehen kräftige Schauer mit Blitz und Donner nieder.

Die sonst stark frequentierte Promenade ist bei diesem Wetter fast menschenleer. Wir spazieren sie entlang und schlendern schließlich kreuz und quer durch die Stadt. Da wir absehen, dass wir abends keine Lust auf ein erneutes Ausgehen haben werden, versorgen wir uns dabei mit verschiedenen Lebensmitteln. Eine Spanakópita, Bratwurst, ein Sandwich, Kuchen und Mýthos-Bier sichern die spätere Versorgung. Wir bleiben bis 18 Uhr in der Stadt, bei 27°C und 80% relativer Luftfeuchte sind wir nass geschwitzt, als wir schließlich nach Kalá Nerá zurückfahren.

Das Sturmtief hat sich wie erwartet zu einem Medicane entwickelt, einem mediterranen Wirbelsturm, der im Gegensatz zu einem Hurrikane von West nach Ost zieht. Da er aber die gleiche Drehrichtung besitzt und wir uns im nördlichen Randgebiet befinden, bläst der Wind bei uns von Osten her, sodass wir auf unserem Balkon geschützt im Windschatten sitzen. Erst spät am Abend wird der Sturm so heftig, dass der Regen waagerecht fällt und sich so um die Häuserecken verwirbelt, dass wir ins Zimmer flüchten. Die Nacht bleibt hell vom andauernden Blitzen.

Kalá Nerá:


Vólos: