Nach zwei Badetagen steht heute eine Fahrt in die Gebirgsdörfer auf dem Plan. Es ist nicht mehr ganz so herrliches Wetter wie in den letzten Tagen - die Vorboten des angekündigten Sturmtiefs machen sich bereits bemerkbar. An der Küste ist es zwar noch schön, aber über den Bergen sammeln sich schon die ersten Wolken. Nach Regen sieht es heute jedoch nicht aus.
Wir fahren zunächst nach Portariá. Die Ortschaft erstreckt sich in ca. 600 Metern Höhe an den Hängen des Pílion oberhalb von Vólos. Dieser Höhenunterschied wird auf nur vier Kilometern Luftlinien vom Stadtrand auf einer unbeschreiblich kurvenreichen Straße zurückgelegt. Wohl dem, der den zweiten Gang zu beherrschen weiß!
Hier scheint es nur zwei Verkehrszeichen zu geben: S-Kurve und Straßenverengung. Meist warnen sie im
Doppelpack. Zum Glück sind sie oft von Pflanzen überwuchert – sonst würde man sich glatt fürchten.
(Karl Jeller)
Portariá war früher das Haupthandelszentrum der Region und sehr wohlhabend. Ein überdimensioniert wirkendes Rathaus und einige (für die Gegend) große Hotels zeugen bis heute davon. Als Standort für Wanderurlauber ist es nach wie vor beliebt.
Bei unserem Eintreffen ist es ziemlich ruhig. Der zentrale Dorfplatz wird von mehreren alten Platanen mit Schatten versorgt und an zwei Seiten von einem traditionsreichen Hotel eingerahmt. Nach unten hin finden sich die obligatorischen Tischgruppen der umliegenden Tavernen und ein Trinkwasserbrunnen. Ein schönes Beispiel für einen typischen Bergdorf-Platz.
Im Ortszentrum fallen darüber hinaus viele weitere Brunnen auf. Der bekannte Wasserreichtum des Pílions zeigt hier besonders deutlich seine Spuren. Die daraus resultierende Fruchtbarkeit der Region äußert sich unter anderem darin, dass man es sich leisten kann, essbare Früchte lediglich zur Dekoration zu verwenden, indem man sie in eine konservierende Flüssigkeit einlegt.
Kein Aufenthalt im Pílion ohne einen Besuch von Makrinítsa! Mit dieser Tradition möchte ich auch in diesem Jahr nicht brechen, vor allem weil es kein beeindruckenderes Bergdorf gibt, als dieses Juwel. Von Portariá aus liegt es nur einen Katzensprung entfernt auf gleicher Höhe am Berg, wenn auch Makrinítsa sich deutlich weiter den Hang hinauf erstreckt.
Da es im Ort selbst keine Straßen, sondern nur Treppen und steingepflasterte Pfade gibt, müssen wir das Auto vor dem Ort stehen lassen. Vom Parkplatz aus führt eine einzige Gasse ins Zentrum. Da ausnahmslos alle Besucher diesen Weg nehmen müssen, bietet es sich an, den Souvenirverkauf hier zu bündeln. Dies ist weniger unangenehm als es klingt. Die absolute Zahl an Läden ist überschaubar und das Angebot besteht tatsächlich überwiegend aus qualitativ hochwertigen lokalen Produkten. Kräuter und Gewürze, Honig, Tsípouro und eingelegte Früchte bilden die Basis des Angebots, Billigware aus Fernost ist eher die Ausnahme. Aufgelockert wird die Warenschau durch nette architektonische Details und darüber hinaus sind die sich immer wieder eröffnenden Ausblicke auf die Großstadt Vólos eine Pause wert. Ich könnte hier tagelang sitzen.
Wenige Dinge sind im Leben wirklich wichtig und wenn man sich eingehend selbst erforscht, stellt man
fest, dass man auch nur wenige echte Herzenswünsche hegt.
(Hape Kerkeling)
Die namenlose Gasse endet auf dem großen zentralen Ortsplatz, der weit über die Grenzen des Pílion hinaus bekannt ist. Die kleine Ágios Ioánnis-Kirche, der über 200 Jahre alte löwenköpfige Marmorbrunnen, die sechs um ein vielfaches älteren, riesigen Platanen und die sagenhafte Aussicht auf Vólos und den Pagasitischen Golf: Das Gesamtensemble ist einfach konkurrenzlos schön. Wir werfen einen Blick in das schlichte Innere des Kirchleins und setzen uns dann am Rand des Platzes nieder. Die wenigen Besucher müssen sich heute nicht um die beste Aussicht streiten. Über uns ballen sich die Wolken immer dramatischer um die Gipfel der Berge, unter uns liegt die Stadt und das Meer noch im hellen Licht. Von weiter unten weht der kokosähnliche Duft von Feigenbäumen herauf - beste Bedingungen für eine lange Pause mit einem Kafé frappé.
Später spazieren wir die steilen, grob gepflasterten Gassen hinauf zur Kirche Kimísis Theotókou, der größten Kirche im Dorf. Leider ist sie verschlossen, sodass wir nur die alten Fresken auf der Außenwand bewundern können. Dafür entdecken wir am Rande des hübsch gestalteten Kirchplatzes ein Verkehrszeichen, über dessen Sinn an dieser Stelle wir lange ergebnislos grübeln.
Als wir ins Dorfzentrum zurückgekehrt sind, verspüren wir Appetit auf einen herzhaften Imbiss. Am Rand einer schmalen Gasse lassen wir uns gebackene Riesenbohnen (Gígantes) und kühles Fix-Bier servieren. Neben uns plätschert das ablaufende Wasser des Dorfbrunnens, daneben steht eine gigantische Platane, deren Stammumfang kaum abzuschätzen ist. Ein erfrischen Plätzchen Erde ist das hier, wir lassen uns Zeit.
Gemütlich schlendern wir später über die Souvenirgasse zurück. Diesmal werden die Verkäufer für ihre angenehme Unaufdringlichkeit von uns belohnt und wir erstehen Süßigkeiten und eine Bergkräuter-Tee-Mischung. Auf demselben Weg wie zur Hinfahrt kehren wir nach Kalá Nerá zurück, wo wir gegen 16 Uhr eintreffen.
Die beste Art, den angefangenen Nachmittag zu nutzen ist und bleibt der Strand. Hier am Meer ist es deutlich wärmer als im 700 Meter hoch gelegenen Makrinítsa und auch wenn es etwas diesig ist, kann man Sand und Meer doch uneingeschränkt genießen. Nein - eine Einschränkung gibt es doch: Wenn man im Wasser einige Zeit ruhig stehen bleibt, beißen einen kleine Fische in den Fuß oder gerne auch in die Ferse. Das tut nicht wirklich weh, zwickt aber unangenehm. Sobald man sich bewegt, ist man auf der sicheren Seite. So etwas habe ich noch nie erlebt!
Eine spätere Internet-Recherche ergab, dass dieses Phänomen im östlichen Mittelmeer in den letzten Jahren zunehmend häufiger berichtet wird. Eine fundierte Aussage, welche Fische sich so verhalten, konnte ich bislang jedoch nicht finden. Eine plausible Theorie ist, dass es sich um juvenile Doraden, Wolfsbarsche oder Geißbrassen handeln könnte, die neugierig ausprobieren, was alles essbar ist.
Am Abend beehren wir erneut das "Roumeli". Heute stehen Tsatsíki, frittierte Zucchinischeiben, Pommes und Schweinebraten mit grünen Bohnen in Tomatensoße auf der Bestellung. Mit Wein und Bier reichen dafür 27 €. Das kleine Eis gibt es wieder obendrauf und heute zur Abwechslung mal einen Halbbitter-Kräuterlikör.
Auf dem Rückweg zum Hotel entdecken wir an einer Hauswand, an der wir gestern bereits einen Gecko gesehen hatten, heute gleich mehrere. Einer hat sogar ein riesiges Beutetier im Maul. Wenn nicht in Wikipedia ein fast identisches Foto abgebildet wäre, hätte ich ihn für größenwahnsinnig gehalten. An den kommenden Tagen entdecken wir an dieser Hauswand jeden Abend ein oder mehrere Exemplare.
Zum Abschluss des Tages setzen wir uns auf unseren Balkon, köpfen eine Flasche Rosé und genießen den Blick übers Meer und das Geräusch der zunehmenden Brandung. Das angekündigte Sturmtief rückt näher. Bereits in der Nacht beginnt es leicht zu regnen.