Zum Frühstück setzen wir uns vor das Hotel und können beim Genuss von Spiegelei, kretischem Speck, Obst auf Joghurt und frischem Orangensaft beobachten, wie das Leben in der Stadt erwacht. Die schwüle Luft vom Vortag ist Vergangenheit, die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel. Der Plan für die nächsten Tage ist, von Chaniá ausgehend den Westen Kretas zu erkunden, der unter anderem einige schöne Strände bereithalten soll. Heute starten wir zunächst einmal ins Binnenland, in das Bergdorf Áno Vouvés.
Der Saum der Nordküste von Kreta ist die Schnur, an der sich das Vergangene und das Gegenwärtige dieser
Insel aneinanderperlt.
(Erhart Kästner)
Der winzige Weiler ist bekannt geworden, weil hier der offiziell älteste Olivenbaum der Welt steht. Das ist zwar nicht zweifelsfrei bewiesen, jedoch ist wissenschaftlich belegt, dass der besagte Baum mindestens 2000 Jahre auf dem Buckel hat. Ungeachtet des hohen Alters ist er voller Leben, grünt und blüht wie ein junger Trieb! Mit einem Zweig von diesem Baum wurde der Gewinner des Marathons der Männer bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 gekrönt. Nebenan steht ein weiteres Exemplar, das vielleicht ein paar Jahre weniger zählt, aber als Baum noch weitaus schöner gewachsen ist. Im Angesicht dieser beeindruckenden Zeitzeugen gönnen wir uns einen Frappé unter der Wein-Pergola eines benachbarten Cafés. Die klare Bergluft ist herrlich, und nachdem die Reisebus-Gruppen wieder verschwunden sind, bleiben zahlreich umherfliegende und brütende Schwalben sowie eine Gruppe von vier deutschen Wanderinnen unsere einzige Gesellschaft.
Nach dem Besuch des kleinen Olivenbaum-Museums geht es weiter zur Hafenstadt Kíssamos. In der Hoffnung auf eine Taverne mit schöner Aussicht fahren wir zunächst bis zum Fährhafen. Er befindet sich jedoch drei Kilometer außerhalb und ist alles andere als ein einladendes Plätzchen. Wir fahren zurück in den Ort und suchen nach einer netten Promenade oder einem zentralen Platz. Was dem am nächsten kommt ist der kleine Tzanakáki-Platz, auf dem wir uns niederlassen und Zucchini-Puffer sowie Pommes verzehren, die mit Käse und Schinken überbacken sind. Auch in Kíssamos gibt es eine lokale Brauerei. Ihr Lyra-Bier ist lecker, würzig und erinnert an ein Kellerbier.
Kissamos ist ein durchweg langweiliges Städtchen. [...] Sogar die, die vor ihren Geschäften hocken und
Mühle spielen. machen den Eindruck, als warte selbst ihr Warten auf nichts Kommendes mehr.
(Dennis Freischlad)
Die Stadt ist nicht sonderlich attraktiv, dafür unverfälscht griechisch. Im Café gegenüber hockt die klassische Rentnerrunde stundenlang bei einer Tasse Kaffee zusammen und nebenan sitzt der Besitzer der Bäckerei vor seinem Laden und spielt Backgammon. Nur wenn gelegentlich ein Kunde droht, unterbricht er das Spiel und geht kurz ins Geschäft. Ich muss sofort an die Szene mit dem Dorfpolizisten in Vizítsa 1982 denken...
Von Kíssamos aus sind es nur wenige Kilometer bis zum Falásarna-Strand an der Westküste. Leider sind während der Mittagszeit Wolken aufgezogen und ein kräftiger Wind weht von der See her. Da es aber nicht kalt ist, entschließen wir uns, den Nachmittag trotzdem am Strand zu verbringen. Wir landen am sogenannten "Big Beach", einem kilometerlangen breiten Sandstrand. Es sind nur sehr wenige Gäste hier, ein paar Surfer, ein paar Beachvolleyballspieler und die unverdrossenen Schwimmer. Der Strand ist wirklich schön. Schade, dass das Wetter nicht mithält.
Wir spazieren am Wasser entlang gen Norden. Hier liegen große Felsen, zwischen denen sich Dünen und kleine Sandbuchten gebildet haben. Diese gefallen uns noch besser als der weitläufige Hauptstrand. Die Wolken reißen etwas auf, aber der frische Wind bleibt. Kein Mensch kommt, um die Gebühr für die bereitstehenden Strandbetten zu kassieren. Die Brandung rauscht leicht und gleichmäßig, aus der Ferne klingt das regelmäßige "tock-tock" zweier Frescobolspieler, sonst ist es vollkommen still. Wir machen es uns gemütlich und genießen die Ruhe. Erst gegen 18:30 Uhr machen wir uns auf den Rückweg.
Abweichend von unserer morgendlichen Route, die uns durch die Badeorte an der Nordküste geführt hat, wählen wir auf dem Rückweg die "National Road", auf der wir sehr zügig nach Chaniá zurück gelangen. Zur Abwechslung gehen wir zum Abendessen nicht in eine "normale" Taverne, sondern suchen das "Bohème" auf, das als eines der besten Restaurants der Stadt gilt. Als Vorspeise nehmen wir einen knackigen Salat mit gerösteten Pistazien und einem Dressing aus Avocadocreme, Limette und Basilikum. Heny wählt ein Rumpsteak mit Austernpilzen und Bratkartoffeln, während ich einen geräucherten Schweinenacken mit Stampfkartoffeln und Orangen-Maracuja-Soße genieße. Mit einem sehr guten kretischen Gewürztraminer bzw. einem frischen Kaiser-Bier vom Fass kostet uns das Vergnügen faire 55 €. Statt Rakí wird uns zum Abschied ein delikater Mastix-Likör kredenzt.