Der gute Eindruck des Hotels setzt sich beim Frühstück fort. Heute planen wir eine Stadterkundung. Chaniá ist zwar weniger als halb so groß wie Iráklion, für die vielen Sehenswürdigkeiten sollte man dennoch einen ganzen Tag reservieren.
Durch die größte Straße der Altstadt, die "Chalidon", schauen wir auch in Chaniá auf schneebedeckte Berge. Hier sind es die Gipfel der Lefká Óri, der "Weißen Berge", die beinahe auf den Meter genau gleich hoch sind, wie das Psilorítis-Massiv, auf das wir in Iráklion geblickt haben. Wir bummeln durch die "Ledergasse", in der seit alter Zeit die Stiefel- und Taschenmacher ihre Läden hatten. Diese Tradition hat sich bis in die Gegenwart erhalten, auch wenn heutzutage 99% der Kunden Touristen sind. Gute, handgefertigte Lederwaren sind hier nach wie vor günstig zu erstehen. Am Ende der Gasse erreichen wir die Markthalle, die ebenfalls von Hundertschaften auswärtiger Besucher heimgesucht wird. Doch klassische Marktläden mit Fisch, Fleisch, Molkereiprodukten, Obst und Gemüse gibt es nach wie vor. Wir erstehen einige Gewürze und setzen unseren Weg fort.
Nur eine kleine Grünanlage und zwei Straßenecken weiter befindet sich der "Platz 1821". Bei meinem letzten Aufenthalt sah ich hier nur Einheimische, aber angesichts der heutigen Massen befürchte ich, dass auch er inzwischen von schicken Cafés erobert wurde. Wundervoll, wie sehr man sich täuschen kann. Als gäbe es eine unsichtbare Barriere, enden die Touristenströme kurz hinter der Markthalle. Im Schatten der großen Platanen trinken wir einen doppelten griechischen Mokka bzw. einen Kafé frappé. Die Preise sind unverändert und nur halb so hoch, wie in der Touristenzone. Hier sind wir beide die einzigen Ausländer!
Am Ostrand des Platzes befindet sich die Kirche Ágios Nikoláos. Die Kirche, deren Ursprünge in das 13. Jahrhundert zurück reichen, wurde von den Venezianern errichtet und nach der osmanischen Eroberung als Moschee genutzt, wozu sie ein Minarett erhielt. Nach der Umwandlung in eine orthodoxe Kirche konnte das Minarett nicht abgerissen werden, weil das Geld fehlte. So ist die Kirche heute ein weltweites Unikat: Eine gotische Basilika mit Querschiff, Glockenturm und Minarett.
Nach der Besichtigung dieses interessanten Gotteshauses lassen wir uns durch die verwinkelten Wohnviertel in Richtung Hafen treiben. Wir erreichen diesen am östlichen Ende, wo sich in einem der venezianischen Arsenale das Schifffahrtsmuseum befindet. Das dominierende Ausstellungsstück ist die "Minoa", das Ergebnis experimenteller Archäologie zur Rekonstruktion eines minoischen Schiffs. Es wurde Anfang der 2000er Jahre unter ausschließlicher Verwendung von Techniken und Materialien gebaut, die bereits in der Bronzezeit zur Verfügung standen und bewies seine Seetüchtigkeit bei einer Fahrt von Chaniá nach Athen. Das Museum ist klein, aber ungeheuer interessant. Im winzigen Museumsshop finde ich einen Nachdruck einer historischen Karte von Kreta. Nach einem Stück dieser Qualität suchte ich schon seit Jahren.
Die Sonne nähert sich bereits ihrem Höchststand, als wir das Museum verlassen. Nebenan findet sich in einem weiteren Arsenal eine Café-Bar. Wir entscheiden uns jedoch, noch vor der Mittagspause die alte Hafenbefestigung bis zum historischen Leuchtturm zu besuchen. Die Luft ist drückend schwülwarm geworden und der Andrang auf der Hafenmauer ist hoch. Doch ist der Blick über den Hafen und das Stadtpanorama mit den Bergen im Hintergrund von hier aus am schönsten. Auf der gegenüberliegenden Seite des Hafens wird jeder Zentimeter - sogar auf dem Wasser - von Bootsvermietungen und Souvenirverkäufern genutzt.
Zum Mittagessen nehmen wir in einem Straßenrestaurant im Zentrum Platz. Hier lernen wir den "Kretischen Salat" kennen, eine hervorragende Alternative zum üblichen "Griechischen Bauernsalat", bei dem u.a. der sehr cremige heimische Myzíthra-Käse statt Féta verwendet und der üblicherweise mit Dákos serviert wird. Letzteres ist eine Bruschetta-Variante auf Paximádi, einem kretische Gerstenmehl-Zwieback. Ebenfalls neu ist für mich das Chárma-Bier, das ausgezeichnete Erzeugnis einer lokalen Brauerei.
Gut gestärkt setzen wir die Stadtbesichtigung fort. Die malerisch an der Hafenpromenade gelegene Janitscharen-Moschee wird als Ausstellungsraum genutzt. Von den aktuell hier präsentierten Gemälden möchte ich jedoch kein einziges geschenkt haben, sodass wir uns nicht lange aufhalten. Anschließend schlendern wir zur kleinen Etz-Hayyim-Synagoge in der Altstadt. Sie wurde nach der Renovierung 1999 wieder eingesegnet und steht Besuchern zur Besichtigung offen. Von der Straße aus ist nur ein unscheinbarer Eingang zu erkennen. Dahinter betritt man einen kleinen Innenhof, von dem man schließlich in den eigentlichen Gebetsraum kommt. In einem zweiten Raum schließt sich eine Gedenkstätte für die Opfer des Nazi-Regimes an.
Ich schaute in Tempeln, Kirchen und Moscheen.
Ich fand das Göttliche in meinem Herzen.
(Dschalal ad-Din Rumi, 1207-1273)
Weiter geht es durch das labyrinthische Gassensystem der Altstadt. Die engen Wege und Treppen, teilweise sehr schöne restaurierte venezianische und osmanische Häuser mit kreativ gestalteten Geschäften, Hotels und Lokalen in versteckten Innenhöfen bilden ein stimmungsvolles Ensemble. Am späten Nachmittag beenden wir den Rundgang und genehmigen uns einen Kafé frappé am Athinagora-Platz im Schatten der orthodoxen Kathedrale. Eine faszinierende Stadt: Die Gebetshäuser dreier Weltreligionen in einer Entfernung von wenigen hundert Metern.
Nach einer verspäteten Siesta gehen wir abends erneut zum "Platz 1821", wo wir uns am Vormittag eine einfache kleine Taverne fürs Essen vorgemerkt hatten. Wieder sind wir die einzigen Nicht-Griechen auf dem gesamten Platz. Da uns der kretische Salat am Mittag begeistert hatte, wählen wir erneut einen solchen, dazu je eine Portion Bratwürstchen und Fleischbällchen. Die Bedienung arbeitet alleine, so brauchen wir etwas Geduld. Der Salat wird uns dann mit der Bemerkung serviert: "Weil Sie so lange warten mussten, habe ich ihn etwas größer gemacht". Mit zwei leckeren Chárma-Bieren kommen wir dabei gerade mal auf knapp 28 €. Satt und erschöpft von der ganztägigen Stadttour verzichten wir auf einen späten Drink und fallen früh ins Bett.