Am Morgen weckt uns strahlender Sonnenschein. In Ermangelung eines Hotelfrühstücks spazieren wir zum nahe gelegenen Morosini-Brunnen, um dort mit einem Kaffee in den Tag zu starten.
Der Morosini-Brunnen wurde 1628 auf Geheiß des Generals Francesco Morosini erbaut. Der Brunnen, der
heute zu den bekanntesten venezianischen Bauwerken in Iráklion zählt, diente ursprünglich eher praktischen als
ästhetischen Zwecken. Tausende von Litern Trinkwasser wurden über ein System von Aquädukten von 10 Kilometer
entfernten Quellen zum Brunnen geleitet.
Das von vier Löwen getragene obere Becken wurde anfänglich von einer Statue des griechischen Gottes Poseidon gekrönt.
Die Reliefs auf den acht unteren Becken zeigen Szenen aus der griechischen Mythologie.
Zunächst bummeln wir durch die schmale "Straße 1866", die vor 20 Jahren eine reine Marktgasse war. Seitdem hat sie sich zu einer Souvenirmeile entwickelt, in der lediglich eine Handvoll Läden an ihre Vergangenheit erinnern. Doch stört mich das nicht, denn unser erstes Ziel liegt 20 Gehminuten weiter südlich in den Außenbezirken der Stadt. Hier findet jeden Samstag auf einem großen Parkplatz der städtische Wochenmarkt statt. Jeder, der eine lebendige Marktatmosphäre schätzt, wird hier glücklich. Am Rand des Platzes wird der Fang des Meeres angeboten und auch lokale Käsespezialitäten gibt es reichlich. Abgesehen davon ist der Markt vor allem für Vegetarier das pure Paradies: Die Auswahl an Obst und Gemüse ist überwältigend, die Preise sind günstig und die paar Touristen, die diesen Ort kennen, gehen in der Masse der Einheimischen unter. Die eng nebeneinander aufgebauten Stände spenden reichlich Schatten. Wir schlendern ausgiebig durch das Labyrinth, dürfen von vielen Sachen probieren und erstehen letztendlich selbstgebrannten Rakí, Käse und Obst. Am frühen Mittag ergattern wir einen Sitzplatz an einem mobilen Imbissstand und genießen für kleines Geld die besten Souvláki des Jahres.
Auf dem Rückweg in die Innenstadt fällt unser Blick durch eine südwestwärts führende Straße auf das über 30 Kilometer entfernte Psilorítis-Massiv. Die Zweieinhalbtausender sind selbst jetzt im Frühsommer noch mit reichlich Schnee bedeckt. Ein herrlicher Anblick in der heißen Mittagssonne!
Wir erklimmen die mächtige venezianische Stadtbefestigung, die das Zentrum seit dem 16. Jahrhundert umschließt und bis heute fast vollständig erhalten ist. Umgeben von schönen Blüten wilden Tabaks spazieren wir bis zur Martinengo-Bastion, auf der sich in einer gepflegten Parkanlage das Grab des Schriftstellers Níkos Kazantzákis befindet, dem wohl berühmtesten Sohn der Stadt. Bei herrlicher Aussicht über Berge, Stadt und Meer machen wir eine kleine Pause. Da der Mauerring höher ist als die meisten Gebäude, weht hier eine sehr angenehme Brise, die einen vergessen lässt, wie intensiv die Sonne in diesen Breiten zur Mittagszeit in dieser klaren Luft brennt. Heny bekommt es zu spüren...
Weiter stadteinwärts statten wir der Hauptkirche Ágios Minás einen Besuch ab. Die Kathedrale ist eine der größten Kirchen Griechenlands und ist mit schönen Gemälden geschmückt, aber das stickige und dunkle Innere treibt uns bald wieder an die frische Luft. Am anderen Ende der Stadt erreichen wir zunächst den großen Eleftheriás-Platz und genießen anschließend auf dem benachbarten Daskalogiánnis-Platz ein kühles Bier.
Ohne eine Besichtigung des venezianischen Hafens und der ihn bewachenden Koúles-Festung wäre die Stadtbesichtigung unvollständig. Der Hafen ist bunt und lebendig wie eh und je. Die Renovierung der bulligen Festung war bei meinem letzten Besuch im Gange und ist inzwischen abgeschlossen. Innen ist nun eine kleine Ausstellung zur Stadtgeschichte eingerichtet, doch den Außenbereich finde ich weitaus attraktiver, da er einen Rundblick auf die Stadt sowie den alten und neuen Hafen erlaubt.
Leicht fußlahm vom langen Stadtrundgang bummeln wir entlang der Promenade bis zum nächsten einladenden Café und lassen uns dort zu einem Frappé nieder. Auf dem Rückweg zum Hotel machen wir einen Abstecher zur Kirche Ágios Títos. Von einer Besichtigung sehen wir jedoch ab, da dort gerade eine Totenwache abgehalten wird.
Der Tag endet, wo er begonnen hat: Rund um den Morosini-Brunnen gibt es eine reichliche Auswahl an Lokalen aller Couleur. Heny hat noch einmal Lust auf Souvláki, ich hingegen lasse mir ein Schmorgericht mit Kalbfleisch und Auberginen schmecken. Zusammen mit einem griechischen Salat und zwei großen Mýthos-Bieren kostet es uns 32 €. Mit der Rechnung wird uns eine Karaffe mit 10 cl Rakí und eine Nachspeise in Form einer Grießschnitte serviert. Wie wir in den nächsten zwei Wochen erfahren werden, hat sich diese Vorgehensweise im touristischen Kreta quasi als Standard etabliert.
Da auf den Straßen rund um den Brunnenplatz das Leben bis spät in die Nacht pulsiert, verspüren wir keinen Drang, früh ins Hotel zu gehen. So beschließen wir den ersten vollen Urlaubstag ein paar Häuser weiter mit zwei Aperol Spritz.
Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, solange du dein vergängliches Leben führst, das Gott dir
auf dieser Welt gegeben hat.
(Prediger 9,9)