Die Nacht ist ungewöhnlich warm und am Morgen zeigt sich der Himmel leicht bewölkt. Die Luft ist unangenehm drückend, doch ist mir das ganz Recht, da mir dadurch der Abschied ein klein wenig leichter fällt. Beim Kofferpacken lasse ich noch etwas Platz, denn Dimítris hatte gestern etwas angedeutet. Tatsächlich: Beim Begleichen meiner Rechnung bekomme ich eine 1,5 Liter Flasche mit selbst gepresstem Olivenöl auf den Weg.
Im Gegensatz zu früher muss ich mich nicht durch die Innenstadt von Vólos quälen, da die seit Jahrzehnten geplante Umgehungsstraße seit einem Jahr fertiggestellt ist. Das spart nicht nur Zeit, sondern vor allem Nerven. Die weitere Fahrt läuft ebenfalls zügig, denn die letzten Lücken im Autobahnnetz sind inzwischen geschlossen. An einer Stelle bedauere ich den Lückenschluss allerdings: Früher führte die Straße durch das landschaftlich wunderschöne enge Témpi-Tal. Die neue Autobahn verläuft an dieser Stelle unterirdisch! Wenn man aus dem sechs Kilometer langen Tunnel hinaus fährt, liegt das Témpi-Tal schon hinter einem. Zur Linken erhebt sich dann bereits das Ólymp-Massiv und vor einem gleißt das Meer.
Eigentlich wollte ich am Rastplatz im Témpi-Tal eine Pause einlegen, nun muss ich spontan umplanen. Einige Kilometer weiter verlasse ich die Autobahn, um stattdessen in Platamónas zu rasten. Ich mochte den Ort nie besonders, aber als Alternative zu einer tristen Autobahn-Raststätte ist er gerade eben akzeptabel. Immerhin habe ich von der Promenade einen schönen Blick auf die nördlich der Stadt gelegene Kreuzritterburg.
Exakt drei Stunden nach der Abfahrt in Kalá Nerá erreiche ich das Zentrum von Thessaloníki. Die letzten Stunden vor dem Abflug möchte ich in dieser faszinierenden Stadt verbringen. Da meine Zeit sehr begrenzt ist, vergeude ich sie nicht mit einer langwierigen Parkplatzsuche, sondern stelle den Wagen sofort in der Tiefgarage des Rathauses ab. Von hier aus ist man in wenigen Minuten zu Fuß im Zentrum.
Klar bin ich aufgeregt und glücklich - Thessaloniki ist ein ganz besonderer Ort.
(Mehtap
Demir)
Zunächst spaziere ich durch die Tsimiskí, die wichtigste und längste Einkaufsstraße der Stadt. Die Orientierung fällt mir leicht, da ich durch jede zweite Querstraße bekannten Sehenswürdigkeiten erkenne. In dieser Straße schlägt der lebendige Puls der Stadt: In der Mitte quält sich der Autoverkehr, wogegen auf beiden Seiten die Fußgänger im Schatten zweier Baumreihen shoppen können. An einem Werktagvormittag lohnt sich der Bummel besonders: Alle Geschäfte sind geöffnet, es ist viel los und irgendetwas gibt es an jeder Ecke zu entdecken. Natürlich fehlen auch die Sesamkringel-Verkäufer nicht, für die Thessaloníki so bekannt ist.
Die Mixtur von modernen Geschäften und alten Monumenten ist in kaum einer anderen Stadt so vielfältig und faszinierend wie in Thessaloníki. Und welche andere kann schon von sich behaupten, seit 2500 Jahren ununterbrochen eine Metropole gewesen zu sein? Wie viele Herrscher, Kulturen und Religionen hat diese Stadt er- und überlebt? Und jede hat ihre Spezialitäten hinterlassen. Wer nicht gerade bei einem Oúzo-Mezé die Geschäfte bespricht gönnt sich herzhafte Snacks, Konditorwaren, Eis oder Kafé frappé. In Thessaloníki hat man den Eindruck, dass ständig die eine Hälfte der Bevölkerung damit beschäftigt ist, die kulinarischen Gelüste der anderen Hälfte zu befriedigen.
Nur wenige Städte auf der Welt sind wie Thessaloniki, in der Normannen, Römer und Türken
Spuren hinterlassen haben.
(Giannis Boutaris)
Schließlich erreiche ich die Modiano-Markthalle. Hier macht es jedes Mal wieder Spaß hindurch zu schlendern. Das Angebot an Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, Käse, Oliven, Knabbereien und allem anderen ist unüberschaubar und so bunt wie eh und je. Auch an dem Grundprinzip: "Wer lauter schreit hat die besser Ware" hat sich nichts geändert. Für einen Imbiss nachher am Flughafen erstehe ich eine große Mettwurst. Umgeben von Kunden, die für Großfamilien oder Tavernen die Fleischwaren in 10-Kilogramm-Mengen heraus schleppen, fühle ich mich mit meinem 0,50 € Artikel ein wenig als Außenseiter. Das macht mich als Verbraucher wohl trotzdem nicht uninteressant: Gerade in dem Augenblick, als ich meinen Kauf probieren will, passiere ich einen weiteren Metzgereistand. Unerträglich für den dortigen Verkäufer, dass ich voller Appetit in die Wurst eines Mitbewerbers beiße, schneidet er mir von einer der seinen ein dickes Stück ab, damit ich es probiere. Diese ist ebenfalls sehr lecker, mir jedoch für den Mittagsimbiss zu pikant, aber perfekt als Mitbringsel für zu Hause. Mit einem ofenwarmen Weißbrot bin ich Minuten später für den Tag gut gerüstet.
Am Rand des Marktviertels nehme ich in einem kleinen Café Platz, gönne mir den letzten Frappé dieses Urlaubs und genieße das pralle Leben der Stadt. Der Himmel klart zunehmend auf und durch die Querstraßen weht eine angenehme Brise vom Meer. Leider läuft mir die Zeit davon...
Zurück zum Auto gehe ich die Níkis-Promenade am Meer entlang, an der sich ein überteuertes Lokal neben dem anderen befindet. Was hier so besonders sein soll, hat sich mir noch nie erschlossen. An den Südfassaden ist es heiß, der Schatten ist spärlich und der Seewind bläst die Abgase der sich stauenden Automassen direkt in die Cafés. Aber Hauptsache es ist chic! Man präsentiert sich - hier lassen sich die neuesten Sonnenbrillen-Kreationen bewundern, die anderswo nicht mal vorbestellbar sind. Eine Sonnenbrille ist hier enorm wichtig - ohne Sonnenbrille wirst du gar nicht erst bedient!
Die letzten Kilometer zum Flughafen und alle Aktionen dort verlaufen routiniert und ohne erwähnenswerte Vorkommnisse. Ein phantastischer Urlaub ist zu Ende.
Doch ist mein Herz in Gräcia,
In Gräcia geblieben.
(Heinrich Heine)