Píndos / Pílion 04.06.2017

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Heute steht die Fahrt mit dem Trenáki, der historischen Pílion-Schmalspurbahn auf dem Programm. Es ist leidlich diesig, aber die Meteorologen hatten dies vorhergesagt und so bin ich nicht allzu enttäuscht. Obwohl ich 45 Minuten vor der Abfahrt am Bahnhof in Áno Lechónia ankomme, ist hier bereits viel Betrieb und beinahe Volksfeststimmung.

Der Trenáki hat sich in den letzen 20 Jahren zur größten Touristenattraktion des Pílion entwickelt. Die ursprünglich 1904 fertiggestellte Strecke von Vólos nach Miliés war seit 1971 stillgelegt. 1985 wurde die Bahn unter Denkmalschutz gestellt und die Bergstrecke von Áno Lechónia nach Miliés reaktiviert. Seit 1996 erfolgt auf diesem Abschnitt ein regelmäßiger Museumsverkehr, für den neue Diesellokomotiven eingesetzt werden, die äußerlich als "Dampfloks" gestaltet sind. Für die 18 Kilometer lange Strecke benötigt der Zug knapp anderthalb Stunden, wobei in Áno Gatzéa ein Zwischenstopp eingelegt wird.

Hinsichtlich der Lautstärke dominiert eine russische Reisegruppe, welche die ersten beiden Waggons komplett belegt. Zum Glück habe ich eine Reservierung für Wagen No. 3. Die restaurierten hölzernen Original-Personenwagen mit nur zwei Bankreihen in Längsrichtung sind sehr schön - besonders die schmiedeeisernen Gitter der Einstiegsplattformen gefallen mir. Im Bahnhofsgebäude versuchen einige Leute letzte Tickets zu ergattern, was kaum von Erfolg gekrönt sein dürfte. Alle anderen fiebern bereits aufgeregt der Abfahrt entgegen.

Nachdem die Lokomotive, die bislang auf einem Nebengleis gestanden hatte, angekoppelt ist, geht die Reise unter kräftigem Pfeifen los. Überhaupt ist die Pfeife ein wichtiges Requisit: Vor jeder Straße, jedem Weg, jedem Pfad und jedem Garten, den die Bahn kreuzt, wird mit unüberhörbaren akustischen Signalen auf das Herannahen der rasenden Gefahr aufmerksam gemacht. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h (nur bergabwärts) ist das Risiko ohnehin überschaubar.

Jede Reise ist im Grunde eine Reise zu sich selbst.
(Horst Krüger)

Nach der Abfahrt geht es zunächst durch Gärten und die Küstenebene, bevor der Zug langsam aber gleichmäßig an Höhe gewinnt. Eine besondere Attraktion sind natürlich die großen Steinbogenbrücken, bei denen alle Fahrgäste aus den Fenstern hängen. Ich denke wieder an die Spurweite, aber auch heute kippt das Bähnchen nicht aus den Gleisen. Allerdings muss man schon sehr darauf achten, dass einem die Zweige nicht ins Gesicht schlagen, so eng wackeln die Wagen an den Bäumen vorbei. Auf halber Strecke legen wir in Áno Gatzéa einen Halt ein, wo in der Bahnhofsgaststätte den dringendsten biologischen Bedürfnissen bezüglich Zu- und Abfuhr von Flüssigkeit und Nikotin nachgegangen werden kann.

Auf dem zweiten Abschnitt der Fahrt geht es genauso spannend weiter, durch Olivenhaine, durch einen Tunnel und über weitere steinerne Brücken. Das letzte Viertel der Strecke kenne ich bereits von meiner Wanderung vor zwei Tagen und so weiß ich mit stillem Bedauern, dass nach der Stahlbrücke die Reise bald ihr Ende finden wird. Doch erwartet uns in Miliés eine letzte Attraktion, welcher nicht nur die Reisenden mit Spannung entgegen sehen. Bei unserer Ankunft lauern bereits Dutzende von Schaulustigen auf das kommende Spektakel.

Es geht um das Wenden der Lokomotive. Da diese weder rückwärts fahren noch im Schubbetrieb arbeiten kann, muss sie an der Endstation gedreht werden, was hier manuell geschieht. Unter den kritischen Blicken der Schaulustigen wird die Lok auf die Drehscheibe bugsiert, die nur wenige Zentimeter länger ist als der Radstand. Wenn die endgültige Parkposition erreicht ist, sind starke Männer gefordert, um die tonnenschwere Maschine zu drehen. An Freiwilligen für diese Aufgabe mangelt es nie. Unter dem Beifall und hundertfachem Klicken der Fotoapparate rastet die Scheibe schließlich in der Zielstellung ein. Die Rückfahrt ist gerettet!

Bevor es soweit ist, verbleiben uns drei Stunden Zeit. Da ich befürchte, dass die Fahrgäste hier "en gros" die örtlichen Tavernen stürmen, habe ich mir einen Plan B zurechtgelegt. Vom Bahnhof in Miliés führt ein Kalderími in das nur zwei Kilometer entfernte, aber knapp 200 Meter höher gelegene Bergdorf Vizítsa. Zu Beginn verläuft der Pfad im dichten Schatten des Bergwaldes und man muss auf rutschigen Steinen einen rauschenden Bach überwinden. Später steigt er steil und ungeschützt den Südhang hinauf, wo die Mittagssonne und leichte Schwüle mir den Schweiß gleich literweise aus den Poren treibt.

Am Ziel angekommen, bin ich klatschnass geschwitzt. Ein geringer Preis, weil ich weiß, was mich erwartet. Der Dorfplatz in Vizítsa ist seit 35 Jahren einer meiner Traumorte. Und er ist so schön wie eh und je! Das Pflaster ist noch genauso holperig, die Stühle genauso wackelig, die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Vom Massenansturm im Nachbardorf ist kaum etwas zu spüren, lediglich ein einziges Paar aus dem Zug sehe ich später hier wieder.

Am Holzkohlegrill einer Taverne dreht sich ein riesiger Spieß, dessen verführerischer Duft meinen Gedanken ein jähes Ende setzt. Hier will ich essen! Nach 35 Jahren zum ersten Mal! In der Vergangenheit war entweder nicht die passende Tageszeit oder es mangelte an Geld, aber tatsächlich habe ich hier noch nie zum Essen Platz genommen. Vom kross-saftigen Schweinefleisch bekomme ich eine ernstzunehmende Portion, die ich mit Pommes und einem gut gekühlten Vergina-Bier kombiniere. Wunderbar!

Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert.
(Paulo Coelho)

Sehr entspannt und in der herrlich frischen Bergluft wieder auf Normaltemperatur abgekühlt mache ich mich schließlich auf den Rückweg. Es ist zwar unvermindert heiß, aber bergab deutlich weniger anstrengend, sodass ich die Ausblicke über die Landschaft und den Kräuterduft des Bergwaldes bewusster als auf dem Hinweg genießen kann. Am Bahnhof verbleibt mir ein wenig Zeit, die ich nutze, um mit dem deutschen Seniorenpaar ins Gespräch zu kommen, das ich in Vizítsa getroffen hatte. Es sind ebensolche Pílion-Fans wie ich und sie können mir für meine morgige Tour sogar ein paar Insider-Tipps geben.

Die Rückfahrt startet pünktlich auf die Minute. Im Gegensatz zur Hinfahrt gehe ich gar nicht erst in den Wagen, sondern bleibe die gesamte Zeit auf der äußeren Plattform stehen. Hier weht der Wind noch angenehmer um die Nase und auch das Fotografieren fällt leichter, als sich von der Sitzbank aus durch die Fenster verrenken zu müssen. Obwohl die Strecke inzwischen bekannt ist, hat sie für die Fotografen nichts von ihrem Reiz verloren, was bestimmt auch daran liegt, dass sich der Dunst zunehmend auflöst und der Himmel blauer wird. So geht es über Brücken und Schluchten und wie auf der Hinfahrt heißt es "Blumenpflücken während der Fahrt ist erlaubt". Für mich als Autofahrer ist es besonders schön, während des Fahrens in aller Ruhe die Aussicht genießen zu können, bis die letzte Brücke vom baldigen Ende des Ausflugs kündet.

Gegen 17 Uhr kehre ich nach Kalá Nerá zurück. Den verbleibenden Nachmittag verbringe ich mit einem Buch in der Médousa-Bar. Abends klart es weiter auf, der Himmel wird tiefblau und der frische Wind verspricht bestes Wetter für den nächsten Tag. Erneut kehre ich zum Essen bei Páris ein, wo ich nach dem Begrüßungs-Tsípouro und dem bekannten Vorspeisentellerchen ein Stifádo wähle. Das Rindfleisch-Zwiebel-Ragout ist relativ süß und beinahe orientalisch von Wacholder und Piment dominiert. Es ist bestimmt nicht jedermanns Sache, aber mir mundet es ausgezeichnet. Mit einem Rosé-Wein erleichtert es meine Börse um nicht mehr als 12 €. Das Dessert darf ich heute aus einem größeren Angebot auswählen, und da ich bereits recht satt bin, entscheide ich mich für ein Schüsselchen frischer Kirschen.

Während des ganzen Essens klang von der benachbarten Taverne Live-Musik herüber, die drei junge Männer zum Besten geben. Sie spielen wirklich gut, doch besser gefiele es mir, wenn es etwas weniger laut wäre. Nach dem Essen setze ich mich wiederum in die Médousa-Bar und kann die Musik von hier aus in Begleitung eines Mýthos-Biers mehr genießen. Als ich am späten Abend zum Hotel zurückkehre, spielt die Musik nach wie vor und nun wird dazu sogar getanzt. So feiert man in Griechenland Pfingsten.

Wieso kann man sich in der Fremde so heimisch fühlen?
(Hannah Glaser)

Áno Lechónia:


Trenáki-Fahrt:


Vizítsa:


Trenáki-Fahrt:


Kalá Nerá:


Tanz und Musik (Video):