Heute möchte ich den Süden der Magnesía-Halbinsel besuchen - eine Gegend, in der ich bisher noch niemals war. Wenn man von Kalá Nerá kommend der Straße in diese Richtung folgt, ändert sich schon bald die Landschaft. Das Pílion-Massiv läuft in eine Hügelkette aus und der üppige Bergwald weicht zunächst Buschland, welches später wiederum von Feldern und Olivenhainen abgelöst wird. Die größte Siedlung in dieser Region ist Argalastí, das fast schon kleinstädtisches Flair aufweist. Das hohe Verkehrsaufkommen überrascht mich zunächst, dann entdecke ich im Zentrum den Markt. Dieser erklärt die vielen Menschen, die schon zu dieser Stunde die Straßen und Tavernen bevölkern. Ich entschließe mich spontan zu einem Zwischenstopp.
Der Markt bietet vor allem einheimische Lebensmittel und billige Kleidung. Ein lebhaftes, farbenfrohes Treiben, welches durch keinen touristischen Schnickschnack verunstaltet wird. Bei einem Bauern, der nur Kirschen und Eier im Angebot hat, erstehe ich ein Kilo Früchte - hier kann ich sicher sein, dass sie keinen langen Transportweg hinter sich haben. Auch andere Anbieter haben ein spezialisiertes Warensortiment, wie der Knoblauchbauer oder der Olivenholzbrettchen-Schnitzer, dem ich bei der Arbeit zuschauen darf. Eine bunt gemischte Palette findet sich dagegen bei den Haushaltswaren: Vom Küchenmesser bis zur Axt kann man alles Mögliche entdecken, sogar Glocken für das Weidevieh sind ganz selbstverständlich im Angebot.
Nach diesem netten Intermezzo fahre ich weiter bis Milína, wo mir angesichts der schönen Promenade einfällt, dass ich noch nicht gefrühstückt habe. Mit einer großen Tasse Kaffee und einer Spanakópita kann ich diesem Mangel unverzüglich begegnen und sitze dabei herrlich direkt am Wasser. Hinter Milína führt die Straße am Meer entlang um die Valtoúdi-Bucht mit einigen Badestränden und vielen Booten. Zuletzt passiere ich die malerische Tzásteni-Bucht, danach wird es schnell sehr einsam. Hier ändert sich das Landschaftsbild erneut deutlich: Die trockenen und sehr steilen Hänge des Tisséo-Massivs bieten nur den anspruchlosesten Gewächsen einen kargen Lebensraum.
In der Einsamkeit lernt man, sich selber zuzuhören.
(Albert Schweitzer)
Als mein erstes Ziel hatte ich mir ursprünglich den Ort Tríkeri ausgesucht, die letzte größere Siedlung am Ende der Halbinsel. Bedingt durch den Marktbesuch und die lange Frühstückspause ist bei meiner Ankunft jedoch bereits fast Mittag. Als ich dann den Ort erblicke, oben auf einer Hügelkuppe, nackt unter der hohen Sonne und dem gleißenden Licht des leicht diesigen Himmels, da verlässt mich die Lust. Sehnsucht nach Meer übermannt mich. Ich fahre wenige Kilometer weiter, hinab zur Südküste.
Hier schmiegt sich Agía Kyriakí um eine halbrunde Bucht, ein Fischernest, wie es im Buche steht. Im Ort selbst gibt es weder Straßen noch Parkmöglichkeiten, deshalb stelle ich mein Auto bereits an der kleinen Werft ab, die sich am Dorfeingang befindet. Der Ort ist zwar klein und abgelegen, aber durchaus lebendig und mir von Anfang an sympathisch. Fischer werkeln auf ihren Booten, Kinder amüsieren sich beim Spaziergang und die drei hiesigen Tavernen versprechen wirklich frischen Fisch, der sogar vor den Augen der Gäste geputzt wird. Wie für Seeigelkaviar, einer selten erhältlichen Spezialität, die wehrhaften Tiere geknackt werden, kann ich zum ersten Mal mit eigenen Augen beobachten.
Es verlockt mich sehr, hier zu essen, jedoch möchte ich vorher den Versuch unternehmen, eine mir empfohlene Fischtaverne auf der Insel Paleó Tríkeri aufzusuchen. Dazu fahre ich einige Kilometer nach Norden, wo man zur Insel übersetzen kann. Es gibt allerdings - zumindest in der Vorsaison - keine Fähre, sodass man sich individuell von einem "Taxi Boat" abholen lassen muss, doch der Preis für eine Person ist mir zu hoch. Also gönne ich mir an der Anlegestelle nur eine kalte Erfrischung und fahre nach Agía Kyriakí zurück.
In der Taverne meiner Wahl greife ich zwar zur Speisekarte, werde aber vom Chef direkt in die Küche gerufen. So wie er vom Fischer kommt, liegt der nächtliche Fang in einer Truhe auf Eis und ich kann mir aussuchen, was ich möchte. Meine Wahl fällt auf fünf rote, ungefähr 15 Zentimeter lange Fische, die in meinem Beisein gewogen und deren Preis schriftlich fixiert wird - korrekter geht es nicht! Während ich mit einem gemischten Salat beginne, kann ich zusehen, wie der Chef meine Fische putzt und ausnimmt. Er hat dazu einen stählernen Arbeitstisch auf der kleinen Mole, den er ebenso wie die Fische regelmäßig mit frisch geschöpftem Salzwasser abspült. Das Gekröse wird - zur sichtlichen Enttäuschung der lauernden Katzen - gleich wieder in die See entsorgt.
Währenddessen erfreue ich mich auf der Terrasse an dem schönen Blick über das Meer bis hinüber zur Insel Évia und dem griechischen Festland. Zu den gebratenen Fischen wird Skordaliá serviert, ein Kartoffel-Knoblauch-Stampf. Ein eiskaltes Mýthos vervollständigt den Genuss. Nach dem Essen bleibe ich eine Zeitlang sitzen. Satt, träge und sehr zufrieden genieße ich die herrlich frische Brise. Eingelullt von Rembetiko und Brandungsgeräusch bin ich kurz vor dem Einnicken. Gegen 15 Uhr begleiche ich meine Zeche über 20 €, erhalte zum Dessert eine Portion Joghurt mit Apfel in Sirup und mache mich auf den Weg.
All das ergibt ein Lebensgefühl, das ich nur habe, wenn ich in Griechenland bin.
(Wasiliki
Goutziomitros)
Diesmal darf ein Abstecher nach Tríkeri nicht fehlen. Der Ort ist überraschend groß und hat eine gute Infrastruktur mit Geschäften, Post, Apotheke, zwei Kirchen und einem schattigen Ortsplatz voller Tavernentische, auf dem zu dieser Tageszeit schläfrige Ruhe herrscht. Gar nicht schläfrig geht es hingegen an der hoch gelegenen Kirche Agía Triáda zu. Hier soll gerade der Schmuck für das Pfingstfest befestigt werden und der Arbeiter versucht vergeblich, die offensichtlich widersprüchlichen Regieanweisungen mehrerer renitenter Damen umzusetzen.
Die Rückfahrt führt mich ohne Pause, nur leicht gehindert durch diverse Schaf- und Ziegenherden auf direktem Weg zurück nach Kalá Nerá, wo ich gegen 17 Uhr eintreffe. Das ist genau die die richtige Zeit um sich ans Meer zu setzen, ein gutes Buch zu lesen und die letzten Kirschkerne ins Meer zu spucken.
Als Folge des guten Mittagessens gehe ich abends erst relativ spät los und suche ein weiteres Mal das Páris auf. Zum üblichen Vorspeisenteller wird geröstetes Brot mit Knoblauch und ein Tsípouro gereicht, gefolgt von einer Portion Biftéki mit Pommes und einem halben Liter lokalen Rotweins. Als Gratis-Beigabe gibt es heute eine etwas stärkere Brandung und böig auffrischenden Wind, der manche Gäste bereits in den Innenraum flüchten lässt. Ich schütze lediglich meinen Wein vor den trockenen Blättern, die aus den Eukalyptusbäumen geschüttelt werden und genieße ansonsten die angenehme Brise. Mit 12 € weniger in der Tasche und einem Tsípouro mehr im Magen verlasse ich das Lokal und finde eine freie Sitzbank auf dem nahen Bootsanleger, von der aus ich ein heftiges und lang andauerndes Gewitter weit im Westen beobachten kann. Die Straßen sind voller Spaziergänger, die Tavernen noch immer voller Gäste - natürlich: Es ist Samstagabend! Um die schöne Atmosphäre länger auskosten zu können setze ich mich mit einem Fix-Bier in die Bar nebenan.