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Für den heutigen Tag habe ich eine Wanderung vorgesehen. Ich möchte vom Bergdorf Miliés zunächst entlang der Schmalspur-Bahnstrecke bis oberhalb von Kalá Nerá gehen und dann auf einem Kalderími steil zur Küste hinab.

Der Pílion ist für seine zahlreichen Kalderími bekannt. Die meist sorgfältig mit Naturstein gepflasterten Pfade wurden im 18. Jahrhundert angelegt, um landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den höher gelegenen Gebieten zur Küste zu bringen. In den vergangenen Jahren wurden verfallene Abschnitte vielerorts restauriert und als offizielle Wanderrouten markiert.

Hervorragende Beschreibungen von Wandertouren auf dem Pílion finden sich auf PilionWalks.

Um zum Ausgangspunkt der Wanderung zu gelangen, nehme ich gegen 7:30 Uhr den Linienbus nach Miliés. Die Abfahrtszeit des Busses ist etwas unbestimmt, da auf dem Fahrplan nur die Abfahrt ab Vólos angegeben ist. Wann man ihn in Kalá Nerá erwarten kann, bleibt der Erfahrung des Fahrgastes überlassen. Der Bus ist überraschend voll - erst jetzt mache ich mir Gedanken darüber, dass es in den Küstendörfern lediglich Grundschulen gibt. Nur in Miliés, seit Jahrhunderten das Kultur- und Bildungszentrum des Pílion, gibt es eine weiterführende Schule. Die Fahrt mit dem Bus die enge und sehr kurvenreiche Bergstraße hinauf empfinde ich bereits als kleines Abenteuer, während es sich für den Rest der Insassen um den alltäglichen Schulweg handelt.

Schüler sind anscheinend überall auf der Welt gleich: Sie toben, schreien, lachen, chatten oder machen letzte Hausaufgaben, während ich fasziniert aus dem Fenster schaue. Am Ziel angekommen stürmen die Jugendlichen einen Supermarkt, um sich mit Pausensnacks einzudecken. Ich hingegen nehme zunächst auf der Platía Platz, um mir bei einem griechischen Mokka die Route einzuprägen. Sie beginnt am Bahnhof. Auf dem Weg dorthin kann ich mich mit Proviant und Wasser eindecken.

Das Wetter ist perfekt - es ist klar und sonnig, die Sicht über Land und Meer ist wundervoll. Der Bahnhof liegt still und verschlafen da. Die Wanderung macht vom ersten Schritt an viel Spaß. Kaum haben sich die drei Rangiergleise des Bahnhofs zu einer Spur vereinigt, überbrückt bereits die erste Steinbrücke eine kleine Schlucht, an deren Grund laut ein Bergbach rauscht. Es ist knapp 9:30 Uhr als ich losgehe und im dichten Schatten des Bergwaldes noch recht frisch, beinahe kühl. Ich bin sicher, dass sich dies bald ändern wird...

Überall quillt das Wasser aus den Felsen, Bachläufe plätschern und die Strecke bietet viel Abwechslung: Manchmal zwängt sie sich eng zwischen den Felsen durch, an anderen Stellen liegt sie frei und gewährt wunderschöne Ausblicke über die vegetationsreiche Landschaft des Pílion. Ein mir entgegenkommender kleiner Wartungszug ist schon von weitem zu hören, ich muss mir keine Sorgen machen, an einer Brücke oder Engstelle plötzlich überrascht zu werden. Nebenbei registriere ich die zentimeterbreiten Dehnungsfugen zwischen den je zehn Meter langen Schienenstücken und bin also darauf vorbereitet, dass es am Sonntag eine rappelige Fahrt geben wird. Gedanken mache ich mir angesichts der winzigen Spurbreite von gerade einmal 60 Zentimetern. Wenn die Vergangenheit nicht die Sicherheit der Bahnlinie bewiesen hätte, würde ich mir Sorgen machen, dass der Zug umkippt.

Die Strecke ist enorm kurvenreich, es gibt nur wenige gerade Abschnitte. Besonders interessant finde ich die einzige Stahlbrücke, die sehr breit sein muss, da die Gleise auf der geraden Brücke eine enge Kurve beschreiben. An der linken Seite läuft der Fußweg direkt am Handlauf entlang und lässt mir freien Blick in die Tiefe.

Der Wanderung ist großartig und erinnert mich an jene durch die Vouraïkós-Schlucht vor zwei Jahren. Bald wird der Wald von Olivenhainen abgelöst und mit der gleichzeitig höher steigenden Sonne ist die Erinnerung an die ersten kühlen Minuten bald verblasst. Nach 80 Minuten erreiche ich die Stelle, an der die Gleise von einer steinernen Kalderími-Brücke überspannt werden - ab hier will ich dem alten Pfad bergab folgen.

Es duftet nach Kamille und Minze und ein Brunnen am Wegesrand spendet frisches Quellwasser. Ein idealer Platz um eine Pause einzulegen und ein Stück Spanakópita im Schatten eines Olivenbaums zu genießen. Die leichte Hälfte des Weges liegt hinter mir, bisher gab es kein nennenswertes Gefälle. Der folgende Abschnitt führt dagegen gradlinig die Hänge hinab nach Kalá Nerá.

Wanderer, nur deine Spuren sind der Weg, sonst nichts.
(Antonio Machado)

Der Pfad ist zwar steil, aber recht gut zu gehen. Er führt die ganze Zeit durch Olivenhaine, viele sehr alt, aber allesamt gut gepflegt. Zwischen den Bäumen gibt es immer wieder etwas zu entdecken. Auf der Veranda eines einsam stehenden Hauses sitzt ein Mann geschäftig am Laptop und erwidert meinen griechischen Gruß mit einem akzentfreien "Guten Morgen!". "Hier wandern fast nur Deutsche", ergänzt er auf meine Nachfrage, woher er meine Nationalität wusste. Eine Kapelle inmitten der Haine, Feigenbäume mit dicken, leider noch unreifen Früchten und die fast metergroßen Blüten des Drachenwurz vervollständigen das bunte Bild. Mir gefallen die mannshohen Stockmalven besonders gut, die den Hang vielerorts violett tupfen. Über allem liegt der frische Duft wilder Minze. Am frühen Mittag erreiche ich Kalá Nerá.

So schön die Wanderung auch war - sie war ziemlich anstrengend. Ich beschließe, den Rest des Tages der Bewegungslosigkeit zu frönen. Zunächst bringe ich meinen Flüssigkeitshaushalt mit einem Kafé frappé wieder ins Gleichgewicht, später setze ich mich in die Médousa-Bar. Diese hat gemütliche Sofas unter einem Sonnendach am Strand und ist ein wunderbarer Ort, um den heißen Nachmittag mit einem Buch zu verbringen. Ein paar Gläser Orangensaft, frisch gepresst und ein Toast lassen mich bald wie neu geboren fühlen. Erst nachdem die sengende Sonne ihre Kraft verloren hat, gehe ich erneut an den Strand und ins Wasser. Das nennt man Urlaub!

Am Abend zieht leichte Bewölkung auf, sodass es kaum abkühlt. Zum Essen gehe ich ins Nirvana, die dritte der Tavernen, die ihre Tische direkt am Meer haben. Ich beginne mit einem gemischten Vorspeisenteller, der mit Tsatsíki, Oliven, Tomaten, weißen Riesenbohnen (Gígantes), einigen Stücken Bratwurst und einer gegrillten Spitzpaprika bestückt ist. Ein ausgezeichneter Start, dem ich einen Lammbraten in Zitronensoße mit gebackenen Kartoffeln folgen lasse. Dazu trinke ich einen Malamatina Retsína. Alles schmeckt ausgezeichnet und schlägt mit nicht mehr als 17 € zu Buche. Als Zugabe wird ein kleines Eis am Stiel serviert. Bevor ich ins Bett falle, sitze ich noch lange am Meer.

Er gesteht, dass er jetzt sogar den Retzina würdigen lernt. "Man darf ihn nicht für sich alleine trinken, sondern muss Fleisch und Gemüse dazu essen, die nach Bauernart gekocht sind. Lamm mit Zwiebeln, Auberginen und Kartoffeln dazu [...] - dann schmeckt er wie göttliches Terpentin."
(Lawrence Durrell)

Busfahrt (Video):


Miliés:


Pílion-Wanderung:


Kalá Nerá: