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Nachdem ich von Rhódos-Stadt aus den nördlichen Teil der Insel erkundet habe, treibt es mich heute weiter in den Süden, nach Líndos. Der Ort ist zwar relativ klein, aber wegen seiner zahlreichen Attraktionen nach Rhódos-Stadt der zweitwichtigste Touristenmagnet der Insel. Der in seiner Gesamtheit denkmalgeschützte Ort wird von einer hochgelegenen Akropolis beherrscht und von zwei bilderbuchschönen Badebuchten flankiert.

Ein Riff hält bis zuletzt den Burgfelsen verdeckt. So kommt es, dass man erst spät, nach einer letzten Biegung der Straße, plötzlich vor Lindos' Heiligkeit steht: ein Anblick, der nicht überrascht. Denn so hat man sich einen Götterfelsen gedacht.
(Erhart Kästner)

Ich beginne mit der Besichtigung der Akropolis. Da Líndos nur von schmalen Gassen durchzogen und damit zwangsweise autofrei ist, muss ich den Wagen am Ortsrand stehen lassen, zu Fuß hindurch und den steilen Felsen zur Burg erklimmen. Entlang des Pfades verkaufen alte Frauen bestickte Decken. Ob die wirklich alle handgearbeitet sind? Von hier kann man bereits einen Blick auf die Pallás-Bucht werfen. Als ich gegen 9:30 Uhr am Kassenhäuschen eintreffe, wimmelt es schon von Besuchern: Russische und französische Reisegruppen dominieren, dazu gesellen sich Skandinavier und Briten sowie die üblichen griechischen Schulklassen.

Der seit undenklichen, schon vormykenischen Zeiten besiedelte Burgberg weist Überreste aus den verschiedensten Zeitaltern auf. Ich beginne die Besichtigung am Torturm der ehemaligen Johanniterfestung und steige langsam höher bis zum Tempel der Athéna-Líndia, von dessen Stufen ich einen atemberaubend schönen Blick auf den Ort und die Ágios-Pávlos-Bucht genieße. Die steilen Klippen im Hintergrund sind als Drehort für den Actionfilm "Die Kanonen von Navarone" bekannt geworden. Zunächst setze ich mich jedoch auf die große Freitreppe und verzehre mein spinathaltiges Lieblingsfrühstück inmitten der lauten, lebhaften und bunten Besucherschar. Alleine die Aussicht beim Essen vereint antike, byzantinische und mittelalterliche Architektur in einem Blick.

In Griechenland hingegen sind die Veränderungen scharf, fast schmerzhaft. An einigen Stellen kann man innerhalb von fünf Minuten die Wandlungen von fünf Jahrtausenden erleben.
(Henry Miller)

Dank der Trümmer der Zeiten ist der Burgberg spannend wie wenige andere Orte, die ich kenne. Von der über 80 Meter langen Stoá mit ihrer wiedererrichteten Säulenbegrenzung über die Ruine der byzantinischen Ágios-Ioánnis-Kirche bis zu den gut erhaltenen mittelalterlichen Gewölben - hier ist sehr viel zu entdecken. Die Rekonstrukteure haben dabei gute Arbeit geleistet: Die ersetzten Teile lassen sich als solche identifizieren, ohne dabei allzu deutlich hervorzustechen oder den Gesamteindruck zu zerstören. Gleichzeitig begeistert die Lokation durch die zahlreichen wunderbaren Ausblicke auf das Dorf und die benachbarten Buchten.

Nach einer ausgiebigen Besichtigung mache ich eine Pause im Eingangsbereich und beobachte die Menschen aus allen Nationen. Während die einen über die Qualität der Hotelküche diskutieren versuchen andere, die Unterschiede zwischen den verschiedenen Baustilen aus 2500 Jahren zu verstehen. Während die einen den beschwerlichen Aufstieg der Kraft von Eseln überlassen, versinken andere im Versuch, sich die Tiefe der Zisternen anhand der Fallzeit von Steinen vorstellen zu können. Der niedliche kleine französische Forscher erinnert mich sofort an eine Szene aus dem "Herr der Ringe"...

"Närrischer Tuck, wirf dich nächstes Mal selbst hinein, dann sind wir dich und deine Dummheit los!"
(John Ronald R. Tolkien)

Im Anschluss gehe ich in den Ort hinunter. Líndos ähnelt einem typischen Kykladendorf: Die weiß gekalkten Häuser drängen sich so eng aneinander, dass zwischen ihnen nur enge Durchlässe und Treppenaufstiege verbleiben, die jeden Autoverkehr verbieten. Am Talgrund verläuft eine Art "Touristen-Schneise" quer durch die Siedlung. Hier befinden sich ausnahmslos Geschäfte, die den Bedarf tausender Tagestouristen decken, welche sich wie eine nicht enden wollende Prozession durch die schmalen Gassen drängen. Ein oder zwei Gänge weiter reichen bereits aus, um dieser Souvenirorgie zu entkommen.

Häuser von Kaufleuten, die einst durch Seehandel wohlhabend geworden waren, die sogenannten Kapitänshäuser, bestechen mit prächtigen Portalen. Durch manch offen stehendes Tor erkennt man kleine Gartenparadiese in den Innenhöfen. Weiterhin gibt es einiges Skurriles zu entdecken: Die Basisstation der Lastesel-Treiber befindet sich unter (oder in?) der Alpha-Bank. Um die Massen der Touristen verköstigen zu können, nutzen fast alle Restaurants die Hausdächer, die sie als "Roof Garden" wegen der Aussicht und frischen Luft bewerben. In einem der wenigen Lokale, die über den Luxus einer Terrasse im Erdgeschoss verfügen, gönne ich mir einen längst überfälligen Kafé frappé.

Um mich besser orientieren zu können gehe ich zum oberen Ortsrand und kehre von dort abwärts mäandernd zur "Hauptstraße" zurück. Dabei wird besonders deutlich, wie die kykladisch-kubische Bauweise keinen einzigen Quadratmeter Platz verschwendet. Außerdem wird mir bewusst, dass der Ort zwar wie ein Freilichtmuseum wirkt, doch die hier lebenden Menschen einen ganz normalen Alltag meistern. Beispielsweise muss der gesamte Müll mühsam an den für die Abfuhr erreichbaren Ortsrand getragen werden. Kinder, die gerade von der Schule heimkehren, nutzen die wenigen etwas breiteren Flächen für Ballspiele und aus den Häusern dringt der Duft von Mittagessen, das nicht für Touristen gekocht wurde.

Nach dieser Runde gehe ich zur Ágios-Pávlos-Bucht hinab und steuere den größeren der beiden dortigen Badestrände an. Der Sand fällt flach ab und in der kleinen Bucht ist das Wasser deutlich wärmer als am gestrigen Strand. Hier macht das Baden schon richtig Spaß! Auf den bequemen Liegen, von denen kaum jede Vierte belegt ist, lässt es sich aushalten. So kann ich den Badenachmittag vis-à-vis der Akropolis in angenehmer Ruhe genießen. Und genau wie gestern erscheint niemand, der eine Gebühr für Liegen und Schirm eintreiben will.

Es tat gut, Salz auf der Haut und im Haar zu spüren, mit Staub vermischtes Salz zwischen den Zehen in den Sandalen.
(Lawrence Durrell)

Der Name der Bucht leitet sich vom Apostel Paulus ab, der nach der Legende hier an Land gegangen ist, als er Rhódos besuchte. Das ist zwar nicht nachweisbar, aber nicht unwahrscheinlich, da die Bucht in der Antike eine von nur zwei Naturhäfen der gesamten Insel war. Dementsprechend ist der Platz bei der orthodoxen Bevölkerung hoch angesehen und die kleine Kapelle wird, wie ich live miterleben kann, gerne für Trauungen benutzt. Der abwechselnde Gesang des Popen und die Musik des Gitarristen tragen zur Atmosphäre des Tages bei. Nach der Zeremonie wird die gesamte Gesellschaft unter dem Applaus aller Badegäste von einem Ausflugsboot abgeholt.

Völlig entspannt schlendere ich schließlich zum oberen Ortsrand hinauf. Dort übernehme ich ein Appartement, welches ich vorab für zwei Nächte reserviert hatte. Um später vom Zentrum ausgehend die Unterkunft wiederzufinden, spaziere ich erneut hinunter und präge mir dabei den Weg ein. Da der überwiegende Teil der Tagestouristen inzwischen fort ist, sind die engen Gassen nun deutlich ruhiger. Jetzt macht das Bummeln wieder Spaß. In diesem Labyrinth kann man in wenigen Augenblicken die Orientierung verlieren, sobald man sich nicht auf den Verlauf der Gassen konzentriert. Am späten Nachmittag wird der Himmel etwas klarer und ich finde am nördlichen Ortsrand eine Bank oberhalb der Pallás-Bucht. Dort genieße ich die Ruhe, die sich allmählich über die Häuser legt und die schöne Aussicht auf den kleinen Hafen.

Da ich seit dem Frühstück nichts gegessen habe, freue ich mich auf ein üppiges Abendessen. In einem der zahlreichen Dachgarten-Restaurants bestelle ich zunächst eine "Pita Dip"-Platte, die drei verschiedene Vorspeisen (Tsatsíki, Auberginensalat, Hummus) und Pita-Brot umfasst. Zu meiner und der anderen Gäste Belustigung landet ein mutiger Spatz auf meinem Tisch und stibitzt mir ein Stück Pita-Brot direkt von meinem Teller. Als Hauptgericht bestelle ich ein Oktopus-Stifádo, welches sehr lecker ist. Zu meinem Bedauern entspricht die Portionsgröße nicht meiner Hoffnung und es werden als Beilage nur gewöhnliche "Industriefritten" serviert und nicht die sonst üblichen handgeschnittenen Kartoffeln. Dass ich für das Menü inklusive Bier 22 € bezahle, ist angesichts des Ortes verständlich - schließlich muss alles, was hier verzehrt und benötigt wird, mühsam herein und der Abfall genauso mühevoll wieder hinaus getragen werden.

Zum Abschluss des Tages besuche ich das "Red Rose", auf dessen Terrasse ich am Mittag bereits den Frappé getrunken hatte. Ich fühle mich hier sehr wohl. Je nach Lust und Laune kann man Passanten beobachten oder eine Fußballübertragung verfolgen und zum Bier wird eine Schüssel Chips serviert. Bei der Heimkehr bin ich froh, den Rückweg zur Unterkunft durch das Gassenlabyrinth vorher geübt zu haben.

Akropolis von Líndos:


Líndos:


Ágios-Pávlos-Bucht:


Líndos: