Heute steht die Erkundung des nördlichen Inselteils auf meinem Programm. Zunächst fahre ich an die Ostküste und erreiche südlich der Stadtgrenze rasch die Thermen von Kallithéa. Die seit der Antike genutzten heißen Quellen wurden in den 1920er-Jahren mit den heutigen Gebäuden ausgestattet und vor wenigen Jahren umfangreich restauriert. Das Kassenhäuschen im repräsentativen Eingangsbereich ist bei meinem Eintreffen noch unbesetzt und auf dem Gelände treiben sich mehr Bauarbeiter und Gärtner herum als Gäste. Das ändert sich jedoch schnell. Die Gebäude sind von einer gepflegten Gartenanlage umgeben, während das eigentliche Quellhaus von Palmen gesäumt unmittelbar am Ufer einer kleinen Meeresbucht liegt. Das nenne ich "Wohlfühl-Architektur" vom Feinsten.
Von Kallithéa aus folge ich der Küstenstraße nach Süden. Ich passiere Faliráki, den Brennpunkt des rhodischen Massentourismus, in dem an breiten Sandstränden griechenland-untypische Hotelburgen mehr als 20.000 Betten bereitstellen. Etwas südlich des Ortsrandes befindet sich die deutlich ruhigere Anthony-Quinn-Bucht, ein Geschenk des Obristenregimes an den Schauspieler, nachdem er mit dem Film "Die Kanonen von Navarone" den Bekanntheitsgrad der Insel enorm gesteigert hatte. Heute ist die Bucht wieder Staatseigentum. Von Rhódos-Stadt aus gibt es zahlreiche Bootstouren, von denen viele hier eine Pause einlegen, um den Gästen einen kurzen Badeausstieg zu ermöglichen.
Am Strand weist ein Schild zum Observatorium mit angeschlossenem Astronomie-Café. Das kann aufgrund der Topografie nicht allzu weit und nicht allzu schwierig sein, denke ich mir und wage mich auf den schmalen, steinigen Fußpfad, der den Hügel hinauf führt. Tatsächlich erreiche ich schweißtreibende 20 Minuten später das ausgeschilderte Ziel, welches allerdings erst ab 17 Uhr seine Türen öffnet. Dieser Hinweis fehlte auf dem Wegweiser! Dafür erfahre ich jetzt, dass der beschrittene Pfad nicht ganz ungefährlich war - danke für diese späte Information! Ohne von einem giftigen Tier angefallen worden zu sein mache ich mich auf den Rückweg, der erneut tolle Ausblicke auf die wunderschöne Bucht bietet. In der Strandbar gönne ich mir eine kleine Erfrischung und genieße dabei das traumhafte Türkisblau des Wassers.
Auf die Felsen gestützt ohne Gestern und Morgen
Auf die Gefahren der Felsen, Sturm im Haar
Wirst du von deinem Rätsel Abschied nehmen
(Odysseas Elytis)
Bis zu meinem nächsten Ziel benötige ich wiederum keine lange Autofahrt: Die Kleinstadt Afándou befindet sich etwas abseits der Küste und hat außer einem Golfplatz keine Attraktionen. Dadurch hat sich das Städtchen einen Charme erhalten, der auf Rhódos so kein zweites Mal zu finden ist. Um den zentralen Platz gruppieren sich alle Institutionen, die der lebendige und vom Tourismus fast unberührte Ort benötigt: Rathaus, Kirche, Schule, Tankstelle, Bank und mehrere Cafés bzw. Tavernen. Vom nahe gelegenen Schulhof klingt das Geschrei der Kinder herüber und in den Straßen und Cafés hört man sogar griechisch.
Der eigentliche Grund für meinen Besuch ist die Tatsache, dass in den 1950er- und 60er-Jahren fast ein Viertel der damaligen Bevölkerung als Gastarbeiter ins Bergische Land ausgewandert ist. Seitdem verbindet eine Städtepartnerschaft den Ort mit Gummersbach. Am gleichnamigen Platz befindet sich das "Cafe Gummersbach", ein traditionelles Kafeníon, in dem ich gleich zum unverzichtbaren Frappé einkehre. Wie viele der hier sitzenden Alten mögen einst in Deutschland gearbeitet haben?
Von diesem sympathischen Ort aus fahre ich weiter nach Archángelos, wo mich die gleichnamige Kirche mit ihrem bekannten siebenstöckigen Glockenturm lockt. Das Kirchenschiff ist düster aber prunkvoll und komplett mit einem schönen Chochlaki-Pflaster ausgelegt. Abgesehen davon bin ich von Archángelos enttäuscht, denn es entpuppt sich als unattraktive, verbaute Straßensiedlung, der das eigentliche Ortszentrum fehlt. Immerhin finde ich gegenüber dem Rathaus eine nette Taverne, in der ich meinen Mittagshunger stillen kann. Es gibt eine gegrillte Aubergine, die mit Tomaten und Féta überbacken ist und von einem Mýthos begleitet wird.
Anschließend fahre ich weiter nach Eptá Pigés ("Sieben Quellen"), ein vor allem im Sommer äußerst beliebtes Ausflugsziel. Das ist verständlich, denn der aus den Quellbecken entspringende Bach ist eine Oase der Frische und bildet im weiteren Verlauf ein reizvolles kleines Tal. Alte Platanen spenden großzügig Schatten und Pinien erfüllen die Luft mit ihrem würzigen Duft. Ein wundervoller Ort für eine Gaststätte, die ihre Tische weit in der Landschaft verstreut aufgestellt hat. Etwas abwärts wird ein Teil des Bachs durch einen kleinen Tunnel abgeleitet. Eine spaßige Mutprobe ist es, den 180 Meter langen, unbeleuchteten Gang ohne Taschenlampe zu durchschreiten. Tatsächlich kostet es Überwindung, in den knapp 1,80 Meter hohen und 70 Zentimeter schmalen Tunnel einzutreten, in dem man schnell von völliger Dunkelheit umgeben ist. Das Wasser fließt knöchelhoch und wenn das Vergnügen nicht in jedem Reiseführer als völlig ungefährlich beschrieben wäre, würde es sich vermutlich kaum jemand trauen. Am anderen Ende speist der Tunnel einen kleinen Tümpel, der früher zur Bewässerung der Zitrusplantagen in der Küstenebene diente. Heute ist er ein heimeliges Plätzchen - zumindest in der Vorsaison - an dem Kinder spielen und Frösche quaken.
Es ist das süßeste Wasser der Insel, das nach nichts anderem schmeckt, als nach warmem Nachmittag.
(Lawrence Durrell)
Auf dem Rückweg ins Hotel mache ich einen Abstecher auf den Monte Smith, den Hausberg von Rhódos-Stadt. Die hier erhaltenen spärlichen Überreste der Antike werden zurzeit restauriert und reizen mich nicht. Dagegen ist die Aussicht auf die Neustadt und deren Strände wirklich attraktiv. Auch bei professionellen Fotografen ist diese Stelle offensichtlich beliebt.
Später gehe ich zum Abendessen in die Altstadt. In einem kleinen, etwas abgelegenen Restaurant direkt an der Stadtmauer nehme ich zunächst Fáva, ein Bohnenpüree, welches in etwa dem türkischen Hummus entspricht. Das als Hauptspeise folgende pfannengebratene Hähnchengyros ist äußerst lecker gewürzt. Mit einem Mýthos sind dafür 17 € fällig, wobei mit der Rechnung ein großer Oúzo gereicht wird. Um den Tag angemessen ausklingen zu lassen, gehe ich anschließend in dieselbe kleine Bar am Ippokrátou-Platz wie am Vortag.