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Die Nacht hat wenig Schlaf gebracht. Das Hotel befindet sich an einer Party-Meile und von den Clubs dröhnten bis in die frühen Morgenstunden wummernde Beats herüber. Ich hoffe, dass sich dies auf das Wochenende beschränkt und an den kommenden Werktagen besser wird. Der Blick aus dem Fenster mobilisiert jedoch meine Lebensgeister: Aussicht und Wetter zeigen sich jeder Kritik erhaben.

Ich nehme denselben Weg zum Hafen wie gestern und verzehre auf dem dortigen Eleftérias-Platz eine zwischenzeitig erworbene Spanakópita. Dabei plane ich grob den anstehenden Rundgang, denn ich habe mir für den heutigen Tag die Entdeckung der Stadt vorgenommen.

Hic Rhodos, hic salta.
(Äsop)

Noch bevor ich die berühmte Altstadt von Rhódos erreiche, liegt das erste markante Bauwerk an meinem Weg: Die Néa Agorá ("Neuer Markt") wurde zwar erst vor 100 Jahren erbaut, wirkt aber von ihrer maurisch-orientalisch beeinflussten Architektur her wie eine Karawanserei. Das fünfseitige Gebäude umschließt einen großen Hof mit einem Brunnenhaus und bietet vielen Geschäften und Tavernen Platz. Die Arkaden an der Hafenfront sind vorwiegend von Cafés belegt.

Sobald man den Marktbau hinter sich gelassen hat, wird der Blick von der Burg angezogen, welche die Altstadt beherrscht. Letztere betrete ich durch das Eleftérias-Tor und fühle mich von einem Augenblick auf den nächsten in einen lebensgroßen Ritterburg-Baukasten versetzt. Nicht umsonst gehört die gesamte Altstadt wegen der Geschlossenheit ihrer mittelalterlichen Architektur seit langem zum UNESCO-Weltkulturerbe. Durch die so genannte Ritterstraße, an deren Fassaden die Wappen wichtiger Adelsfamilien prangen, gelangt man zum Großmeister-Palast, dessen Besichtigung ich mir für später aufhebe. Zunächst gehe ich weiter in die Stadt hinein, passiere die Süleyman-Moschee und den Uhrturm und erreiche kurz darauf den zentralen Ippokrátou-Platz. Es ist kurz vor 10 Uhr, die meisten Geschäfte räumen gerade erst ihre Waren vor die Tür und dementsprechend sind die Straßen und Plätze noch angenehm ruhig. Dadurch kommt die beeindruckende Schönheit der Altstadt besonders gut zur Geltung - ich fühle mich beinahe wie in einem Freilicht-Museum.

Einige Schritte weiter gelange ich zum "Platz des jüdischen Martyriums", wo ich den ersten Kafé frappé des Urlaubs genieße und mich detaillierter mit dem verwinkelten Grundriss der Altstadt vertraut mache.

Als Nächstes gehe ich die wenigen Schritte zur Kahal-Shalom-Synagoge, dem geistliche Zentrum der einst großen jüdischen Gemeinde, die hier bis zur Zeit der deutschen Besatzung existiert hatte. Das Prunkstück des angeschlossenen kleinen Museums ist eine 400 Jahre alte Tora-Rolle.

Eine weitaus größere Bedeutung für die Stadt hatte über vier Jahrhunderte der Islam, was sich an den zahlreich erhaltenen Moscheen manifestiert. Ich bemerke den schönen Reinigungsbrunnen der Ibrahim-Pascha-Moschee und bewundere die Doppelnutzung von Ágios Spyrídos als Moschee und christlich-orthodoxe Kirche. Faszinierender als in der Altstadt von Rhódos habe ich die Parallelität dreier großer Religionen auf engstem Raum nie erlebt.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen?
(Friedrich Schiller)

In diesem labyrinthischen Gewirr der Gassen die Orientierung zu verlieren ist keine Schande. Nach einigen Umwegen finde ich schließlich die Hafiz-Ahmed-Agha-Bibliothek, die islamische Kalligraphien und handgeschriebene Koranausgaben beherbergt. Außerdem ist ihr Hof mit dem für Rhódos typischen schwarz-weißen Kieselpflaster ("Chochlaki-Pflaster") eine Oase der Ruhe. Überhaupt ist die Stadt für ihre südliche Lage ungewöhnlich grün und baumreich. Schließlich gelange ich durch die belebte Orféos-Straße wieder zurück zum Großmeister-Palast.

Dieses außergewöhnliche Bauwerk war im 14. und 15. Jahrhundert das politische und wirtschaftliche Machtzentrum des Johanniterordens. Symbolisiert er von außen Macht und Stärke, so beweist er im Inneren Reichtum und Eleganz. In jeder Hinsicht ist er ein Stein gewordenes Denkmal europäischer Ritterkultur, gigantisch, prachtvoll und wunderschön. Die Säle sind alleine wegen ihrer Deckenhöhe von über acht Metern Respekt einflößend und werden nach den jeweils dort präsentierten Kunstschätzen benannt. Hier findet sich unter anderem eine originalgetreue Kopie der von rhodischen Künstlern geschaffenen Laokoon-Gruppe - das Original beherbergt das Vatikanmuseum. In mehreren Sälen wurden römische Mosaike von den Kykladeninseln als Beutekunst integriert: Eine reitende Nymphe zum Beispiel oder die neun Musen. Im Innenhof werden Marmorstatuen aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert präsentiert, die ursprünglich von der Insel Kos stammen.

Vom Vorplatz des Großmeister-Palastes gelangt man durch ein kleines Tor auf die Stadtmauer, die unzerstört die Jahrhunderte überdauert hat und die gesamte Altstadt umgibt. Diesen Rundgang kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Von den gewaltigen Mauern lässt sich eine bunte Mischung aus Orient und Okzident erkennen: Burg, Kirchen und viele Moscheen, grüne Gärten und hoch aufragende Palmen ergeben ein faszinierendes Panorama. Auf der Mauer trotzen sonnenliebende Pflanzen wie der Kapernstrauch mit seinen zarten Blüten der flirrenden Mittagsglut.

"Vergnügen oder Tortur?" - "Jedes hat etwas vom anderen."
(Lawrence Durrell)

Der Blick aus der Stadt hinaus zeigt die ausgeklügelte Verteidigungstechnik mit vorgelagerten Bastionen, Gräben und einem zusätzlichen äußeren Mauerring. Der heutzutage begehbare Rundweg endet im Südosten der Stadt, in Höhe der Ruine der Panagía-Kastrú-Kirche. Trotz der Mittagshitze sind die Geschäftsstraßen und der Ippokrátou-Platz fest in Händen der Touristen. In einem Imbiss neben dem Panagía-Tor stille ich meinen aufkommenden Hunger mit einem Hähnchen-Sandwich und mache es mir im benachbarten Stadtpark gemütlich. Der wenige Nachtschlaf und die anstrengende Stadtbesichtigung fordern nun ihren Tribut: Auf einer Bank im Schatten nicke ich für eine gute halbe Stunde ein.

Am Nachmittag bummele ich entlang der Uferstraße zurück zur Neustadt. Auf den Molen, welche die drei Häfen der Stadt voneinander abgrenzen, finden sich bekannte Fotomotive: Die drei Windmühlen aus dem 15. Jahrhundert, die Hafenfestung Ágios Nikoláos sowie die Säulen mit den Hirschstatuen, die die Einfahrt zum Mandráki-Hafen flankieren. Dass sie die Standorte der Füße des antiken Weltwunders, des "Koloss von Rhódos" markieren, ist natürlich reine Legende.

In der Neustadt führt mich der Weg entlang des Gouverneurspalastes aus der Zeit der italienischen Besatzung hin zur Murad-Reis-Moschee, welche vom islamischen Friedhof umgeben wird. Im Hotel angekommen gönne ich mir eine lange Pause.

Ursprünglich hatte ich geplant, am Abend zum Essen in die Altstadt zu gehen, doch meine Beine sind dagegen. So bleibe ich bereits in der Néa Agorá hängen, wo ich mich in einer der zahlreichen Tavernen an geschmortem Schweinefleisch in einer pimentreichen Tomatensoße, begleitet von Kartoffeln, Gemüsereis, Tsatsíki und einem Mýthos labe. Die üppige Fleischportion erleichtert meine Börse um 16,40 €. Nach dem Essen gehorchen mir meine Beine wieder und tragen mich doch noch in die Altstadt, wo ich auf der Loggia einer kleinen Bar am Ippokrátou-Platz den Tag mit einem halben Bier beende. "Halb" bedeutet hier 0,75 Liter - die zahlreichen englischen Gäste hinterlassen Spuren. Das lebhafte Treiben auf dem abendlichen Platz beobachtend, beschließe ich den Tag auf stimmungsvolle Weise.