Der Tag beginnt mit einer guten und zwei unangenehmen Überraschungen. Über die gute wundere ich mich angesichts des Niveaus des Hotels nicht sehr, doch ein üppiges Frühstücksbüffet adelt jeden Morgen. Als unangenehm empfinde ich das Wetter. Nach all den Tagen strahlenden Sonnenscheins hat sich für die nächsten Tage eine geschlossene Wolkendecke angekündigt, aus der zwar kein einziger Tropfen Regen fällt, die aber bei fast unverminderter Temperatur die Luftfeuchtigkeit auf knapp 90% treibt. Schon beim Frühstück bin ich schweißgebadet.
Und schließlich folgt eine wirklich unschöne Überraschung: Der Parkplatz, auf dem ich am Nachmittag mein Auto abgestellt habe, gehört zur Stadtverwaltung und ist von 6 - 14 Uhr nur mit Schlüsselkarte zugänglich. Ich bin heilfroh, dass mir dieses Problem nicht erst morgen früh auffällt, wenn ich pünktlich am Flughafen sein und den Wagen zurückgeben muss. Nachdem ich eine halbe Stunde bei Polizei und Touristeninformation vergeblich um Freigabe des Wagens gekämpft habe, entschließe ich mich für ein alternatives Vormittagsprogramm.
Wir müssen nur entscheiden, was wir mit der Zeit anfangen wollen, die uns gegeben wird.
(John Ronald R. Tolkien)
Die Aufregung und die extreme Schwüle gehen an meinem Kreislauf nicht spurlos vorüber. Deswegen entschließe ich mich, zunächst am Hotelpool abzukühlen und zu entspannen. Danach raffe ich mich zu einem ganz gemütlichen, von Souvenirsuche bestimmten Stadtbummel auf, bei dem ich mich immer wieder wundere, wie viele Autos sich durch die viel zu engen Straßen quälen. Nach einem Kafé frappé und dem Verzehr von vier gegrillten, unterschiedlich gewürzten Fleischbällchen mit Joghurt- und Tomatendip sind sowohl die Zeit, als auch mein Kreislauf bereit für einen Ausflug.
Mein heutiges Ziel ist das Kap Gréko, der äußerste südöstliche Ausläufer Zyperns, den ich über die Autobahn rasch erreiche. Abgesehen von der Tatsache, sich am östlichsten Punkt der EU zu befinden, bietet das Kap karge Steine, interessante Felsformationen und Staubpisten, die offensichtlich bei Buggyfahrern sehr beliebt sind. Die letzten Meter des Kaps sind nicht öffentlich zugänglich, da ein starker britischer Mittelwellensender von hier aus den Nahen Osten mit Neuigkeiten aus der westlichen Hemisphäre versorgt. Auf den schroffen Felsen finden sich einige Stellen, die gefrorenen Pfützen zum Verwechseln ähnlich sehen. Bei näherem Hinschauen erkennt man, dass es sich bei den glitzernden Ablagerungen um reine Salzkristalle handelt, die sich durch Verdunstung des hoch spritzenden Meerwassers gebildet haben.
Ein einziger Blick auf die Landschaft genügte, um mir zu zeigen, wie gänzlich verschieden sie
von all dem war, was ich jemals gesehen hatte.
(Charles Darwin)
Etwas weiter nördlich steht die kleine Kapelle Agíi Anárgyri, wo sich so viele Besucher hin verirren, dass auf dem Parkplatz sogar der Betrieb eines kleinen Eiswagens lohnt. Der Grund des Andrangs: Unter der Kapelle befindet sich eine Felsengrotte, die von mit lauter Discomusik beschallten Ausflugsbooten angefahren wird. Die hiesige Küste ist bei Schnorchel-Tauchern wegen ihrer reichen Unterwasserflora und -fauna sehr beliebt. Die Ortschaften, die sich weiter nach Norden an der Küste entlang ziehen, kann man unbeachtet durchfahren. Es handelt sich um gesichtslose, rein touristische Neuansiedlungen. Lediglich die zahlreichen Windräder zur Bewässerung der Felder sind einen Blick wert.
Mein letztes Ziel ist der Ort Derýneia, von wo aus man einen guten Blick auf die legendäre Geisterstadt Varoscha werfen kann. In den 1970er Jahren entstanden hier Hotelburgen mit geplanten 10.000 Betten, als die Situation auf Zypern eskalierte. Mit der Einrichtung der UN-Sicherheitszone musste die Stadt 1974 von heute auf morgen geräumt werden, es blieb nicht einmal Zeit, die Kräne und Baustellenfahrzeuge abzutransportieren, die seitdem neben den Betonruinen auf ihren langsamen Zerfall warten: "No man's land" - ein geisterhafter, deprimierender Anblick, gerade bei diesem Wetter!
Hier schweigen die Vögel, hier schweigen die Uhren.
(Jannis Ritsos)
Zurück in Lárnaka wird es Zeit, ein letztes Mal den Koffer zu packen. Zum Abendessen suche ich eine Taverne in der Nähe der Lazarus-Kirche auf, die einen nicht ganz so touristischen Eindruck vermittelt. Eigentlich möchte ich hier Mezé essen, die zyprische Art, viele verschiedene Kleinigkeiten zu servieren. Im Gegensatz zu Griechenland, wo es dabei nur ein Stück von jedem Teil gibt, ist es in Zypern üblich, von jeder Art einen ganzen Teller zu servieren, was den Nachteil hat, dass Mezé nirgendwo für eine einzelne Person angeboten werden. In dieser atmosphärisch netten Taverne traue ich mich, darüber zu diskutieren, und man kommt mir gerne entgegen. Das Resultat besteht aus drei unterschiedlichen Gerichten auf einer Platte - und das zum Preis von einem! Ich bekomme Stifádo, Kléftiko und einen in einer leicht orientalisch angehauchten, lebkuchenartig gewürzten Tomatensoße geschmorten Octopus, der auf der Zunge zergeht. Als Beilage gibt es Bulgur sowie das unverzichtbare Pita-Brot, außerdem heute mal die alternative lokale Biersorte: Leon-Pils. Das Essen ist der kulinarische Höhepunkt zum Abschied der Reise. Mit einem Gesamtbetrag von 12 € fühle ich mich beinahe beschenkt.
Reseda, bring Wein und Wurst! Aber nicht von dem Zeug für die Gäste!
(René Goscinny, Albert Uderzo)
Um ausreichend Flüssigkeit für die Abschiedstränen zu haben, beende ich auch diesen Abend mit einem Extra-Bier an der wunderschönen Promenade.