Bevor ich mich erneut nach Osten wende, stehen am Vormittag zwei weitere Sehenswürdigkeiten auf meinem Plan. Ungefähr 15 Kilometer westlich von Lemessós befinden sich auf einer Anhöhe 70 Meter über dem Strand die Überreste der römischen Siedlung Koúrion. Als ich kurz nach 8:30 Uhr Uhr den leeren Parkplatz erreiche, befürchte ich schon, die Ausgrabungsstätte könnte heute geschlossen haben. Dies trifft zum Glück nicht zu. Die im 4. Jahrhundert von einem Erdbeben zerstörte Stadt ist wegen ihrer Vielfalt sehr interessant. In einem Haus mit Hanglage ist das Kellergeschoss erhalten, an anderen Stellen sind Wände bis in einer Höhe über den Fenstersturz stehen geblieben. Beeindruckend sind die Reste einer großen frühchristlichen Basilika sowie von noch größeren römischen Thermen. Gerade bei den letzteren ist die vorbildliche Erklärung anhand von Tafeln sehr hilfreich.
Es fasziniert mich zu sehen, wie die Technik und Bauweise der beheizten Fußböden derjenigen im 3000 Kilometer entfernten Xanten gleicht. Mir imponiert auch das mit seinen neun Metern Durchmesser und den 1,5 Metern Tiefe riesige Frigidarium (Kaltbad). Insgesamt ist das Gelände ziemlich ausgedehnt und überall gibt es interessante Räume, Fundamente und Mauerreste. Dazu kommen schöne Details wie die kannelierte Säule, teilweise gut erhaltene Mosaike und die immer wieder faszinierenden Ausblicke über die Ruinen hinweg auf das Meer. Die warmen Steine werden, da noch kein Besucherandrang herrscht, von zahlreichen Eidechsen aller Größe geschätzt. Ich bin froh, so früh gekommen zu sein, denn später am Tag wäre der Rundgang über die schattenlose Anlage eine enorm schweißtreibende Angelegenheit.
Die ungeheure Sonne [...] brannte die Vergangenheit fort und die Gedanken an das, was nach dieser Reise
käme.
(Klaus Modick, in "Der kretische Gast")
Einziger Kritikpunkt ist das Theater, das ebenso wie in Páfos überrestauriert ist - hier wie dort der Tatsache geschuldet, es auch in der heutigen Zeit für Aufführungen nutzen zu können. Wie ich es schon oft erlebt habe, so ist es auch hier: Als ich mich nach anderthalbstündiger Besichtigung dem Ausgang zuwende, beginnen die Massen in die Anlage einzufallen. Während ich in der ganzen Zeit gerade vier andere Besucher getroffen habe, sehe ich jetzt schon fünf große Reisebusse auf dem Parkplatz. Zum Abschied zeichnet eine Flugformation kunstvolle Figuren in den strahlend blauen Frühsommerhimmel.
Nur einen Katzensprung von Koúrion entfernt liegt die nächste Sehenswürdigkeit: Das markante Kastell von Kolóssi war der ursprüngliche Hauptsitz des Johanniter-Ordens. Der mächtige Burgquader war nur über eine Zugbrücke im ersten Obergeschoß zugänglich, innen befinden sich lediglich vier große und angenehm kühle Räume, je zwei auf jeder Etage. Wehrhaftigkeit war dieser Burg wichtiger als das Wohlbefinden der Bewohner, immerhin gab es in jedem Raum einen Kamin, auf dem noch das Lilienwappen der Lusignan gut erkennbar ist. Vom zinnenbewehrten Dach aus konnte man die gesamte Küstenebene hervorragend überwachen. Auf diesen alten Steine finden sogar Agamen willkommene Sonnenplätze.
Atemzüge beleben den Stein, und Geist durchweht ihn, Adel fließt in ihm und Blut.
(Erhart Kästner)
Nach einer weiteren Stunde zügiger Autobahnfahrt erreiche ich meine nächste geplante Station: Lárnaka. Unmittelbar an der Strandpromenade quartiere ich mich im "Sun Hall Hotel" für die letzten beiden Nächte ein. Mit 86 € pro Nacht ist meine persönliche Schmerzgrenze zwar erreicht, aber Ausstattung und Ambiente sind es wert. Anschließend stille ich meinen Hunger mit einem "Mezé-Sandwich", das man in gut Kölsch am treffendsten als einen "Döner-Pide-extra-komplett" beschreiben könnte. Mit einem großen KEO-Bier fallen dafür hervorragend investierte 9 € an.
Die repräsentative Strandpromenade mit ihren Fächerpalmen und geschmiedeten Kandelabern trennt die Reihe der ungezählten Lokale von einem breiten Strand und verleiht dem Stadtbild einen Hauch von Côte d'Azur. Sie reicht vom Yachthafen bis zum türkischen Fort und der unmittelbar benachbarten Kebir-Moschee. Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich die Hauptsehenswürdigkeit von Lárnaka: Die Lazarus-Kirche. Da sie während der Mittagszeit geschlossen ist, ziehe ich die Besichtigung der zweiten wichtigen Sehenswürdigkeit vor.
Etwas außerhalb der Stadt liegt am Ufer eines Salzsees die "Hala Sultan Tekke", eine Grabstätte, in der die Gebeine von Umm Haram (arab. "geehrte Mutter"), einer engen Vertrauten von Mohammed, aufbewahrt werden und die als wichtige heilige Stätte des Islam gilt. Der die Moschee umgebende Palmengarten verleiht der Szenerie ein malerisches, orientalisches Flair. Für ein Pilgerziel ist es hier erstaunlich ruhig, die Anzahl der Katzen, Mohammeds Lieblingstieren, die faul im Schatten liegen, ist deutlich größer, als die der Besucher.
Anschließend fahre ich in die Stadt zurück, um nun die Lazarus-Kirche zu besichtigen. Glaubt man den Überlieferungen, war der von Jesus wiedererweckte Heilige der erste Bischof von Zypern. Jedenfalls wurde hier im 9. Jahrhundert ein Sarkophag mit der Inschrift "Lazarus, Freund Christi" entdeckt, was zur Gründung der ersten Kirche führte. Die Gebeine wurden gut 300 Jahre später über Konstantinopel nach Marseille entführt, sodass hier heutzutage nur der leere Sarkophag zu sehen ist, der in einer niedrigen Krypta unterhalb des düsteren Kirchenraums ausgestellt wird.
In Cypern vernahm ich noch viele solche Echos vergessener historischer Augenblicke, die ein Licht auf
die Gegenwart werfen können.
(Lawrence Durrell)
Nach so vielen lichtscheuen Heiligtümern steht mir der Sinn wieder nach Sonne, weshalb ich den Rest des Nachmittags am sehr schönen, feinsandigen Stadtstrand verbringe. Am Abend besuche ich ein Restaurant an der Promenade. Die Auswahl ist angesichts der enormen Anzahl der Angebote alles andere als einfach. Neben individuellen Lokalen sind sämtliche großen nationalen und internationalen Restaurantketten vertreten: McDonalds, KFC, Mövenpick, Segafredo, Pizza Hut, Goody's, Starbucks, flocafé, Häagen-Dazs, um nur die wichtigsten zu nennen.
Ich wähle Tahini, gefolgt von einem Fleisch-Mezé, das sich im Prinzip als gemischter Grillteller entpuppt. Die gewaltige Portion mit zehn Stücken Fleisch (Hähnchenflügel und -unterschenkel, zwei Schweinefleisch-Spieße und verschiedene Bratwürste), zwei Scheiben gegrillter Halloúmi, ein Spiegelei und dazu Pommes, etwas Salat und Pita-Brot sättigt selbst mich. Mit einem KEO-Bier sind dafür gut 20 € fällig, später erreiche ich die endgültige Bettschwere mit einem weiteren Bier.