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Der Tag beginnt mit einem überraschend ordentlichen Frühstück. Auch in diesem Punkt macht sich das Erbe der britischen Kolonialzeit bemerkbar. Neben geröstetem Brot und Marmelade gibt es zwei Spiegeleier, gebratenen Speck und Halloúmi, den zyprischen Nationalkäse.

Für heute ist eine Besichtigung von Nikosia eingeplant. Aufgrund guter Erfahrungen in der Vergangenheit folge ich der im ADAC-Reiseführer beschriebenen Route. Um zu deren Startpunkt zu gelangen, nehme ich zunächst die innere Ringstraße entlang der Stadtbefestigung. Letztere ist schon eine Sehenswürdigkeit an sich. Die von Kreuzrittern begonnene Wall- und Grabenanlage wurde von den Venezianern verstärkt und schließlich in osmanischer Zeit zur heute noch sichtbaren Form ausgebaut. Die Mauern und Bastionen bilden einen vollständigen Kreis um die gesamte Altstadt. Somit zählt die Befestigungsanlage zu den größten und besterhaltenen ganz Europas und des Orients.

Der beschriebene Rundgang beginnt am Freiheitsdenkmal, welches das Ende der britischen Kolonialherrschaft symbolisiert und - nach der Anzahl der Besucher beurteilt - zum Pflichtprogramm eines jeden Nikosia-Besuchs zählt. Obwohl es nicht einmal halb zehn ist, hat die Sonne schon eine gnadenlose Kraft.

Die Gebäude des bischöflichen Palastes, der Ágios-Ioánnis-Kirche und der verschiedenen benachbarten Museen bilden ein sehr harmonisches Ensemble mit pittoresken Winkeln und Innenhöfen. In der Kirche findet gerade der Karfreitagsgottesdienst statt. Die Spitzgewölbe der überraschend kleinen Kirche sind vom Boden bis zur Decke mit Fresken bemalt. Bald gehe ich weiter und erreiche, nicht weit entfernt, ein zweites Stadttor, das Famagusta-Tor, dessen geräumiges Inneres heute als Kulturzentrum genutzt wird.

Anschließend folge ich eine Zeit lang der "Green Line", was ein sehr zweifelhaftes Vergnügen ist. Viele ehemalige türkische Geschäftshäuser stehen seit 50 Jahren leer und da sie offiziell immer noch den ursprünglichen Eigentümern gehören, diese sich aber nicht um die Gebäude kümmern können, bleibt nur der langsame Zerfall. Die Absperrung einer früheren Hauptstraße wirkt besonders deprimierend: Die bewachenden UN-Soldaten residieren in einer hühnerstallartigen Baracke - im Bild links erkennbar. In manchen Straßen erinnern die Grenzbarrikaden an Slums, aber immer handelt es sich um militärisches Sperrgebiet - Fotografieren bekanntlich streng verboten!

Geh nicht nur die glatten Straßen. Geh Wege, die noch niemand ging, damit du Spuren hinterlässt und nicht nur Staub.
(Antoine de Saint-Exupéry)

Nach einem kleinen Abstecher durch die Markthalle geht es dann wieder in die belebteren Gebiete. Zwischen der kleinen Arablar-Moschee (die, wie so viele, früher einmal eine byzantinische Kirche war) und der gestern schon besichtigten Phaneromeni-Kirche erstreckt sich ein sehr schöner Platz, dessen große Beliebtheit ich sofort nachempfinden kann. Diese Art von Plätzen mit viel Publikum, Schatten und Cafés liebe ich! Nichts deutet darauf hin, dass man sich außerhalb Griechenlands befindet. Nach dem bisher zweieinhalbstündigen Rundgang habe ich mir einen Kafé frappé verdient.

Der zweite Teil der Besichtigung gilt der türkischen Stadthälfte. Als EU-Bürger beschränken sich die Grenzformalitäten auf das Ausfüllen eines Visumantrages, dann ist man unvermittelt in einer anderen Welt. Während auf der griechischen Seite die Einkaufsmöglichkeiten in der Fußgängerzone dem westlichen Standard entsprechen, wirkt die türkische Seite wie eine Provinz-Kleinstadt. Niedrige Häuser, winzige Läden, kleine Verkaufsstände - und dabei befinde ich mich in Lefkoşa, aus türkischer Sicht immerhin die Hauptstadt der "Türkischen Republik Zypern".

Zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten in diesem Teil der Stadt zählt Büyük Han, die "große Herberge", eine vollständig erhaltene Karawanserei aus dem 16. Jahrhundert. Im Innenhof der Anlage wurden früher die Kamele und Waren der Karawanen gelagert und gehandelt, in den umgebenden Arkadengängen befanden sich die Unterkünfte der Händler. In der Mitte befindet sich ein Brunnen für Waschungen und darüber ein Gebetsraum. Die ehemaligen Herbergszimmer werden heute von niveauvollen Souvenir- und Kunsthandwerksläden belegt, im Erdgeschoß breiten sich Restaurants und Cafés aus. Die gesamte Anlage bezaubert durch ihre architektonische Geschlossenheit und atmosphärische Dichte.

Dreierlei erfordert die Schönheit: erstens Unversehrtheit oder Vollendung, zweitens ein passendes Maßverhältnis oder Übereinstimmung und drittens schließlich Klarheit bzw. strahlende Farbe.
(Thomas von Aquin)

Vom Büyük Han aus gelangt man durch weitere enge Einkaufsgassen zur zweiten Sehenswürdigkeit: Der Sophienkathedrale oder Selimiye-Moschee. Die Kathedrale, im 13. und 14. Jahrhundert vom fränkischen Königshof in Auftrag gegeben, wurde später in eine Moschee umgewandelt - auf den Sockeln der unvollendeten Glockentürme wurden zwei Minarette errichtet. Als ich die Moschee betrete, erwartet mich eine Überraschung: Der stilreine dreischiffige gotische Innenraum lässt eher an Notre-Dame als an eine Moschee denken. Decke und Säulen sind reinweiß und verleihen dem Bau somit eine wunderbare Leichtigkeit. Es gibt einen kleinen Schönheitsfehler: Aufgrund der "falschen" Ausrichtung der ursprünglichen Kirche musste der Mihrab, die in Richtung Mekka weisende Gebetsnische, schräg in einer Seitenkapelle untergebracht werden. Während der Besichtigung beginnt die Zeit des Mittagsgebets, was einem die heutige Nutzung als Moschee in Erinnerung ruft.

Unmittelbar neben der Moschee befindet sich das Bedesten, das Basargebäude, welches ebenfalls ein mittelalterliches Kirchenbauwerk zweckentfremdet und heute der türkischen Seite als Kulturzentrum dient. Nebenan fristet die zeitgemäße Markthalle ein eher vernachlässigtes Dasein. Als letzte Sehenswürdigkeit für heute besuche ich die Arab-Achmet-Moschee, ein Kuppelbau, der inmitten eines sehr schönen parkähnlichen Gartens mit historischen Grabmälern steht.

Nach soviel Kultur ist es Zeit für eine Mittagspause. Auf der Suche nach einer schönen Lokalität komme ich am Justizpalast vorbei, ein perfektes Beispiel britischer Kolonialarchitektur. Nebenan erreiche ich den Atatürk-Platz, das moderne Stadtzentrum, welches ebenfalls nicht den Eindruck einer 50.000 Einwohner zählenden Hauptstadt vermittelt. Ich lasse mich schließlich in einem angenehm schattigen und gut ventilierten Imbissrestaurant nieder, wo ich ein großes Efes-Pils (laut Karte 7 € für einen 0,7 l Maßkrug) und einen leckeren, mit Fleisch und Käse gefüllten Börek (6 €) genieße. Warum ich für diese Kombination später insgesamt nur 8 € bezahlen muss, bleibt ein ungelöstes Geheimnis des Orients.

Zurück im griechischen Teil besuche ich, wie gestern geplant, die Panoramaplattform in der elften Etage des Debenhams-Gebäudes. Die Aussicht von hier ist wirklich perfekt. Mittels berührungsempfindlicher Bildschirme kann man sich die wichtigsten Bauwerke in Form einer mehrsprachigen, interaktiven Führung erklären lassen - modern und vorbildlich. Nach Osten verläuft sich die Stadt in der brettflachen Mesariya-Ebene, im Westen verschwimmt der Fernblick über dem gleißenden Meer und im Süden erheben sich die modernen Büro-Hochhäuser der zyprischen Finanzwelt. Die interessantesten Details zeigen sich allerdings im Norden: Weniger das ausbrechende Großfeuer, das außer mir anscheinend niemanden beeindruckt, vielmehr der großartige Blick auf die Selimiye-Moschee, deren einmalige Kombination aus gotischer Kathedrale und islamischem Gotteshaus erst aus dieser Höhe richtig gut erkennbar ist. Und natürlich die seit Jahren bekannte Provokation der Türken: Die 500 Meter breite, auf die nahe Bergflanke aufgemalte Flagge der "Türkischen Republik Zypern".

Ich mag die Griechen. Sie sind nette Gauner, mit allen Lastern der Türken, aber ohne deren Mut.
(Lord George Gordon Byron)

Da der Nachmittag noch Zeit für eine weitere Aktivität lässt, entschließe ich mich zum Besuch eines der beiden wichtigsten Museen der Insel. Leider sind sowohl das Leventis- wie auch das Nationalmuseum geschlossen - ob der heutige Karfreitag oder die desolate Finanzlage der Insel der Grund dafür ist, bleibt offen. Mit der Besichtigung der katholischen Kirche, in der gerade eine englischsprachige Andacht stattfindet, sowie der nüchternen, fast protestantisch wirkenden Maroniten-Kathedrale lässt sich der Rest des Nachmittags ebenfalls nicht füllen. Wohl hingegen mit einer verdienten Auszeit inklusive einem Kafé frappé auf demselben Platz wie am Vormittag, während der ich weitere Karten und Bücher studiere, Pläne mache und Postkarten schreibe.

Zum Abendessen besuche ich ein größeres und etwas touristischer wirkendes Restaurant als gestern. Weil es mir so gut geschmeckt hat, wähle ich erneut Tahini, anschließend gebackene Bohnen und ein Shrimps Saganáki, wozu ein halber Liter offener Weißwein hervorragend passt. Das Essen ist insgesamt nicht ganz so gut wie gestern, man merkt die auf Touristen abgestimmte Massenqualität. Dafür ist es deutlich teuerer, wozu erstaunlicherweise der Wein einiges beiträgt, der in Griechenland sonst eher preiswerter als Bier ist.

Nicht unerwartet hat der Abend noch ein Ereignis parat: Nach dem Essen versammelt sich auf den Straßen eine große Menschenmenge, ein Polizei-Blasorchester formiert sich, alles deutet auf die bevorstehende Karfreitagsprozession hin. Kurz vor 22 Uhr wird der Epitáphios durch die Stadt getragen, ein stilisiertes Symbol für das Grabtuch Christi. Die Prozession ist ein großes Ereignis, an dem die ganze Stadt teilnimmt, wie ich seit meinem Aufenthalt 2009 in Náfplion weiß. Alle paar hundert Meter bleibt die Prozession stehen und die Gläubigen zeigen ihre Verehrung, indem sie unter dem Epitáphios hindurchgehen. Da wir uns in der Hauptstadt befinden, ist die höchste Kirchenobrigkeit dabei. Am Ende der Fußgängerzone gibt es eine kleine Andacht, dann setzt sich die Prozession fort, der ich aber nicht länger folge.

Nikosia / Lefkosía:


Nikosia / Green Line:


Nikosia / Lefkosía:


Nikosia / Lefkoşa:


Nikosia Übersicht :


Nikosia / Prozession :