Zýpern 02.05.2013

Zu den Bildern

Wenn du immer in der Gegenwart leben kannst, dann bist du ein glücklicher Mensch.
[...] denn es ist immer und ausschließlich der Moment, den wir gerade erleben.
(Paulo Coelho)

Im Vorfeld habe ich mir überlegt, ob es politisch korrekt wäre, eine Reise nach Zypern in meinen Berichtszyklus "Mein Griechenland" aufzunehmen. Nach der Rückkehr haben sich alle Bedenken dieser Art zerstreut, da ich stets den Eindruck hatte, die griechischen Zyprer empfinden mehr griechisches als zyprisches Nationalbewusstsein. Aber ich will am Anfang beginnen...

Wie so oft, beginnt der Tag mitten in der Nacht. Der Abflug ist für 6:00 Uhr ab Düsseldorf angesetzt und da mich mein Sohn David zum Flughafen bringt, bedeutet dies: Aufstehen um 2:00 Uhr. Bei solchen Zeiten ist es besonders ärgerlich, wenn sich der Abflug dann gleich um eine halbe Stunde verzögert, weil die Kofferband-Anlage ausfällt. So müssen alle Gepäckstücke manuell sortiert und den richtigen Flugzeugen zugeordnet werden. Wenn das mal gut geht! Umsomehr beruhigt es mich, als ich - schon im Flieger sitzend - sehe, wie mein Trolley unter mir im Bauch des Airbus A320 verschwindet. Auf dem Rückflug erfahre ich, wie begründet meine Bedenken waren: Offensichtlich ist ein kompletter Gepäckwagen übersehen worden, sodass ungefähr 20 Urlauber ohne Gepäck in Lárnaka strandeten.

Der Flug ist angenehm, und ein ordentlicher Rückenwind lässt uns einen Teil der Verspätung wieder aufholen. Wie meistens, schlummere ich nach dem Frühstück ein, und als ich wieder erwache, überfliegen wir bereits Bulgarien. Bei wolkenlosem Himmel beginnt damit das spannende Spiel, die Flugroute anhand der vorüberziehenden Landschaft zu bestimmen. Der erste markante Orientierungspunkt ist das Rila-Gebirge südlich von Sofia, dessen fast 3000 Meter hohe Gipfel noch von reichlich Schnee bedeckt sind. Nur zehn Minuten später beginne ich mich fast heimisch zu fühlen, als sich unter mir ein herrlicher Blick auf das Néstos-Delta auftut. Die nächsten Meilensteine folgen im Minutentakt: zunächst Samothráke, kurz darauf die einzige türkische Ägäisinsel Gökçeada sowie der Ausgang der Dardanellen künden vom baldigen Flug über die Türkei. Eine gute Stunde später landen wir bei hochsommerlichen Bedingungen, strahlend blauem Himmel, 29°C, in Lárnaka.

Dort wartet eine Überraschung: In der langen Reihe der Mietwagenanbieter fehlt Hertz. Nachfragen führt mich zu einem abgelegenen kleinen unbesetzten Schalter, an dem lediglich ein Zettel mit einer Telefonnummer hängt. Dass man hier ohne Mobiltelefon ankommen könnte, ist offensichtlich nicht vorgesehen - willkommen in Zypern! Immerhin: Unter der angegebenen Nummer meldet sich sofort jemand und begrüßt mich jovial mit "Hello Victor, please wait a few minutes at the counter". Tatsächlich werde ich wenige Minuten später von einem Shuttle-Service zum Hertz-Office chauffiert, wo ich schnell und unkompliziert einen weißen Chevrolet Spark in Empfang nehme. Um Punkt 12:00 Uhr starte ich den Motor.

Das Gefühl, ein Fahranfänger zu sein, ist schon ein paar Jahrzehnte her. Jetzt ist es sofort wieder präsent. Lenkrad rechts, Gangschaltung links und der unablässige Eindruck, ein Geisterfahrer zu sein - es braucht ein paar Tage, bis die ungewohnten Bewegungsabläufe ins Rückenmark übergehen. Der disziplinierte Linksverkehr ist das offensichtlichste, aber nicht das einzig spürbare Erbe der 82-jährigen britischen Kolonialherrschaft.

Die zentralzyprische Ebene, die ich auf meinem Weg in die Hauptstadt durchquere, liegt zu dieser Jahreszeit bereits in sommerlicher Trockenheit. Die Wiesen sind braun, Strohrollen liegen auf den abgeernteten Getreidefeldern, einziger Farbtupfer ist der Rand- und Mittelstreifenbewuchs entlang der Autobahn. Über Kilometer werde ich von üppigen, dreifarbig blühenden Oleanderbüschen begleitet, verschwenderisch kontrastiert durch Bougainvilleen. Gegen 13 Uhr erreiche ich mein erstes Ziel. Um der Namensverwirrung gleich zu begegnen: Der international gebräuchliche Name Nikosia bezeichnet üblicherweise die Stadt als Ganzes. Die griechische Hälfte der letzten geteilten Hauptstadt der Welt nennt sich Lefkosía, der türkische Teil Lefkoşa.

Zunächst parke ich etwas außerhalb der Altstadt, um bei einem ersten Orientierungsgang ein Gefühl für die Stadt zu bekommen. Aufkommenden Appetit bekämpfe ich dabei mit einer Pastete, welche mit einer Mischung aus Reis, Möhren und Rosinen gefüllt ist - eine ungewöhnliche Kombination, der nahe Orient lässt grüßen. Im schön restaurierten Altstadt-Viertel "Laiki Gaitonia" ist es kein Problem, eine passende Unterkunft zu finden. Im Hotel "Rimi" quartiere ich mich für zwei Nächte á 65 € ein.

Es ist Mittagszeit, es ist heiß und ich habe Durst. Die Konsequenz ist naheliegend: Nur eine Straßenecke von meinem Hotel mache ich eine Pause. Am Nebentisch sitzt eine Gruppe junger Leute, die sich beim gemeinsamen Genuss einer Shisha-Pfeife angeregt unterhalten. Öffentliches Shisha-Rauchen scheint hier völlig normal zu sein - das nächste Indiz, wie nah der Orient ist. Beim Genuss eines Kafé frappés und dem bisher vernachlässigten Studium meiner Reiseführer, hier im Schatten der engen Altstadt-Gassen, setzt allmählich Entspannung ein - so beginnt Urlaub!

Schließlich starte ich einen ersten Rundgang durch den westlichen Teil der griechischen Altstadt. Die Omeriye-Moschee ist das einzige muslimische Gotteshaus, das in diesem Teil noch als solches genutzt wird. Seinen Ursprung als christliche Kirche kann es - zumindest im Inneren - nicht verbergen. Auffallend ist, dass hier anhand vieler Plakate versucht wird, die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam hervorzuheben.

Die belebte Fußgängerzone könnte überall auf der Welt sein, durch die vielen internationalen Geschäftsketten sind sie zwischen den Ländern austauschbar geworden, Unterschiede finden sich nur im Detail. Lediglich die Präsenz einer sechsstöckigen Niederlassung der traditionsreichen britischen Kaufhauskette "Debenhams" weist auf eine Verbindung zum Empire hin. In der elften Etage des Gebäudes gibt es eine Panoramaplattform, von der man die gesamte Stadt überblicken kann. Da es ein wenig diesig ist, plane ich deren Besuch für morgen ein.

Lerne die Vergangenheit, bevor Du die Zukunft planst.
(Griechische Weisheit)

Dann geht es weiter zum Páfos-Tor, einem der drei verbliebenen Tore der ehemaligen Stadtbefestigung, welches die viele Meter starken Befestigungswälle wie ein Tunnel durchbricht. Unmittelbar daneben stoße ich zum ersten Mal auf die "Green Line", jene seit 1964 existierenden Grenze zwischen dem griechischen und dem türkischen Teil der Insel, die sich mitten durch die Hauptstadt erstreckt und somit Erinnerungen an das Berlin der 80er-Jahre weckt. Sämtliche Straßen, die einst die "Green Line" durchzogen, wurden mit Tonnen, Sandsäcken, Wellblech, Sperrmüll und Stacheldraht verbarrikadiert. Was nach fast 50 Jahren wie ein verrostetes Provisorium wirkt, ist bis heute die am längsten ständig von UN-Soldaten bewachte Sicherheitszone der Welt. Das Fotografieren des Grenzbereichs ist natürlich strengstens verboten.

Nachdem ich meinen Wagen näher am Hotel geparkt, mein Zimmer bezogen, mich frisch gemacht und ausgeruht habe, wird es Zeit für das erste Abendessen. In der Fußgängerzone werde ich fündig: Als Vorspeise nehme ich Tahini, einen Dip aus geröstetem Sesam, Joghurt und Kräutern, dazu wird ein ofenfrischer Pita-Fladen gereicht. Danach geht es mit dem Tagestipp weiter: Hühnerleber-Pilz-Ragout auf Reis. Beides ist sehr lecker, die Portionsgröße ordentlich und mit 11,80 € inklusive einem Heineken-Bier überraschend preiswert.

Nach dem Abendessen bummele ich die Fußgängerzone entlang, die im Norden abrupt am Grenzübergang endet. Ansonsten ist in der Stadt das abendliche Leben in vollem Gange. Der Gründonnerstags-Gottesdienst in der Phaneromeni-Kirche ist gut besucht, genauso wie alle Cafés und Bars in den Straßen. Die Atmosphäre verleitet mich zu einem weiteren Bier. Es macht Spaß, das pulsierende Leben zu beobachten, das jetzt am Abend erst richtig losgeht. Leider fallen mir nach dem langen Tag bald die Augen zu und ich ziehe mich ins Hotel zurück.