Das morgendliche Wetter ist zunächst unentschlossen, ein Zustand, der ein wenig auf mich abfärbt. Doch bereits während meines Frühstücks setzt sich die Sonne durch. Auf dem Weg zu meinem ersten Ziel liegt der Ort Roviés, der wie viele andere Orte mit einer Burgruine aufwarten kann. Sie ist - wie überraschend - venezianischen Ursprungs und leider wieder mal nicht besteigbar, sodass ich mich nur kurz aufhalte.
Im Ort zweigt der Weg zum Kloster Ossios David Gerontos in die Berge ab. Die Landschaft ist eine bilderbuchschöne Bergidylle: Ziegen weiden auf kräuter- und blumenreichen Wiesen, fette Bergweiden ziehen sich die sanften Hänge empor, dazwischen liegen saftig grüne Mischwälder, in denen reichlich saubere Quellen sprudeln. Wenn jetzt noch Heidi und Peter Händchen haltend aus der Hütte kämen, wäre ich keine Sekunde verwundert.
Das Kloster ist bekannt, dementsprechend gut ausgeschildert und erreichbar, wenn es auch abgelegen hoch inmitten der Berge liegt. Es ist in einem außergewöhnlich guten Zustand, sauber, gepflegt und sehr schön renoviert. Ein Mönch bietet mir Kaffee und geröstetes Brot an, beides bereits abgekühlt, aber eine nette Geste. Die alte Klosterkirche ist eng und so dunkel, dass man einige Zeit braucht, um die kostbare Ausstattung sowie die schönen Mosaikböden wahrzunehmen.
Besonders gut gefällt mir die Kuppel. Durch vier Fenster fällt Sonnenlicht ein und lässt das Abbild des Pantokrators als hellsten Punkt der gesamten Kirche hervortreten. An der Ikone des Klostergründers lehnen die Insignien erfolgter Heilungen und belegen die Wirkung wundersamer Kräfte an diesem Ort. Ich verspüre diese in Form des Bedürfnisses, sich hier langsamer zu bewegen, leiser zu sprechen, so als solle man das Zwitschern der Vögel und Plätschern des Brunnens nicht übertönen. Die Mönche und Angestellten des Klosters scheinen dieses Bedürfnis jedoch nicht zu teilen.
Nicht weit vom Kloster befinden sich die Wasserfälle von Drymóna. Der Hauptfall ist mit einer Höhe von 8 bis 10 Metern nicht sonderlich beeindruckend, aber die Gesamtheit der Szenerie mit ihren zahlreichen kleinen Fällen, Strudeln und Seen ist wirklich sehr schön. Das Gebiet ist recht gut erschlossen, wenn auch einige Brücken teilweise morsch und die bemoosten Steine nach dem Regen glitschig sind, sodass ich mich äußerst vorsichtig bewegen muss, da weit und breit kein anderer Mensch zu sehen ist. Erst am Parkplatz an der Straße treffe ich auf einen vorbeifahrenden Bauern, dem ich eine Tüte seiner knackfrischen Süßkirschen abkaufe.
Anschließend fahre ich nach Istiéa, einen etwas größeren Ort, der bereits städtischen Charakter aufweist. Er liegt inmitten der Küstenebene, einige Kilometer vom Meer entfernt. In seinem Zentrum liegt der obligatorische Zentralplatz schattenlos und heiß in der Sonne, lediglich am Rand kann man unter Bäumen angenehm sitzen. Hier verzehre ich die soeben erstandenen Kirschen und lege eine längere Pause ein.
Wer sehen will muss die Augen schließen.
(Paul Gauguin)
Gelegentlich weht mit dem Wind der Duft von Souvláki vorbei und ich bekomme Appetit. Nahe des Platzes finde ich in einer Seitenstraße den Ursprung des Geruchs: Eine urige Ouzéri, klassisch schlicht und rustikal. Das Lokal liegt eingebettet zwischen einer Eisdiele und einem Fischgeschäft und je nachdem, wie der Wind gerade weht, riecht es entsprechend nach Vanille oder Fisch. Ich frage nach Souvláki, aber der mehr schlecht als Recht englisch sprechende Wirt schüttelt den Kopf und bietet mir etwas anderes an, wobei ich nur die Wortfetzen "it's like Souvláki" verstehe. Das nehme ich. Der wichtigste Unterschied ist, dass das Fleisch gebraten statt gegrillt und mit viel Zitrone, Senf, Oregano und Thymian herzhaft gewürzt ist. Begleitet von einem Kaiser-Bier kann ich hier gemütlich das Leben auf der Straße beobachten. Ich mag diese lebendigen Kleinstädte abseits des Meeres, die keinen Tourismus zum Überleben brauchen.
Nach dieser angenehmen Mittagspause fahre ich in den Nachbarort Oreí, quasi der Hafen Istiéas. Während der Zeit der Siesta ist es erwartungsgemäß ruhig auf den Straßen, aber im Gegensatz zu den gestern besuchten Orten in der Bucht von Pefkí empfinde ich diesen Ort wesentlich einladender und gepflegter. Auf der Promenade bummelt zwar niemand, aber fast alle anliegenden Tavernen und Cafés haben geöffnet und in den meisten sitzen einige Gäste. Lediglich die Präsentation des berühmten Stiers von Oreí enttäuscht mich ein wenig: Die gewaltige, drei Meter lange antike Statue aus hellenistischer Zeit befindet sich in einer Vitrine, die mit ihren schmutzigen Scheiben und dem ausgeblichenen Holz etwas vernachlässigt wirkt.
Dafür gefällt mir der hiesige Strand überraschend gut. Ein flacher, sauberer Sandstrand mit Duschen, der zur Straße hin von einigen Bäumen begrenzt wird, die den zur Mittagsstunde dringend notwendigen Schatten spenden. Spontan entschließe ich mich, hier zu baden - alles dazu Notwendige liegt glücklicherweise immer im Auto bereit. Das Wasser in der flachen Bucht hat eine so angenehme Temperatur, dass man kaum noch raus will und so bleibe ich den gesamten Rest des Nachmittags hier. Als ich mich auf den Heimweg mache, beginnen sich die Straßen merklich zu beleben und die Einheimischen stürzen sich in ihre Lieblingsbeschäftigungen: Kafé frappé trinken und Backgammon spielen. Bei Néos Pýrgos kann ich zum Abschied einen schönen Blick zurück auf die gesamte Bucht werfen.
Als Folge des vielen Fleisches am Mittag habe ich abends Lust auf eine vegetarische Mahlzeit. Als Vorspeise nehme ich Skordaliá, das ist ein mit viel Knoblauch gewürztes kaltes Kartoffelpüree, anschließend eine Portion Okras, die mit Tomaten in Öl geschmort wurden. Dazu ordere ich einen halben Liter lokalen Rosé-Wein. Dieser ist eine äußerst angenehme Überraschung, er ist sehr kräftig im Geschmack und erinnert schon fast an einen trockenen Portwein. Gemüse und Wein sind in Griechenland traditionell preiswerter als Fleisch und Bier und so komme ich heute Abend mit weniger als 13 € davon. Mit einem Spaziergang durch das Labyrinth winziger Gassen beende ich den Tag.