Makedonien / Épirus 10.05.2011

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Es ist kühl, bewölkt, aber trocken. Vereinzelt sind sogar kleine blaue Flecken am Himmel zu erkennen. Bevor ich weiterreise, will ich einen zweiten Versuch starten, die Schätze Vergínas zu besichtigen. Auf dem Parkplatz der archäologischen Stätte ist immerhin schon ein Wagen zu sehen und ein Parkplatzwächter ist ebenfalls anwesend. Dieser hat jahrelang in Köln-Rodenkirchen gelebt, der Heimat seiner Frau. Jovial klopft er mir auf die Schultern und gibt mir direkt ein paar Hinweise, was geöffnet ist, was sich anzuschauen lohnt und was nicht. Angesprochen auf die falschen Informationen der Internetseiten des Museums winkt er verächtlich ab und rät mir, grundsätzlich montags keine Museumsbesuche einzuplanen, egal, was auch immer in Reiseführern oder im Internet stehen mag. Bei einem späteren Besuch der besagten Internetseiten erkenne ich tatsächlich den nicht ganz aktuellen Stand: Die Eintrittspreise sind in Drachmen angegeben.

Außer mir ist lediglich ein Ehepaar im Museum, erst später, als ich schon fast fertig bin, fallen Unmengen viel zu kleiner Schüler ein. Welche Kinder der dritten bis sechsten Klasse kann man denn für so ein Museum interessieren? Eine Schande, denn die Ausstellung ist den hohen Eintritt von 8 € durchaus wert. Die unterirdischen, tempelartigen Grabkammern wurden von Erde bedeckt gelassen und in das ebenfalls unterirdisch angelegte Museum so integriert, dass man vom Ausstellungssaal direkt zu den Grabkammern gehen kann. Das wirkt durch seine Authentizität sehr spannend, so als wäre man bei den Ausgrabungen hautnah dabei. Eine der Grabkammern war die letzte Ruhestätte von König Phillip II. von Makedonien, dem Vater Alexanders des Großen. Das besondere daran ist, dass dieses Grab niemals vorher geöffnet wurde und dort unermessliche Gold- und Silberschätze gefunden wurden. Diese sind nach Jahren im Athener Nationalmuseum inzwischen hierher zurückgekehrt.

Die Ausstellungsstücke sind bezüglich ihrer historischen Bedeutung, ihres Erhaltungszustands und ihrer handarbeitlichen Perfektion erstklassig. Wunderschön schlichte Gebrauchsgegenstände wie Waschschüsseln aus Bronze oder silberne Schalen oder die nur zehn Zentimeter große, filigran gearbeitete Göttergruppe aus Gold und Elfenbein sind nur Appetithäppchen. Das Hauptgericht sind die silberne Urne mit dem aus reinem Gold naturgetreu gearbeiteten Eichenkranz, das Diadem der Königin und natürlich der massiv goldene Schrein, der die Gebeine Phillip II. enthielt. Die hier entdeckten Schätze stehen Schliemanns berühmten Funden in Mykéne in Nichts nach.

Obwohl der etwas abseits auf einem Hügel gelegene "Palast" wegen Ausgrabungsarbeiten bis Ende 2011 geschlossen ist, mache ich mich dorthin auf - vielleicht ist ja trotzdem etwas Spannendes zu sehen. Diese Hoffnung erfüllt sich zwar nicht, gleichwohl lohnt der Weg, denn auf halber Strecke findet sich ein weiteres Grab, das im unrestaurierten Originalzustand belassen wurde. Außerdem ist es ein schöner Spaziergang, da die Straße von blühenden Wiesen flankiert ist.

Als ich zurückkehre, ist das Dorf kaum wiederzuerkennen. Mit der Öffnung des Museums ist es zum Leben erwacht, der Parkplatz reicht kaum für all die Busse. Was gestern wie ein abgewrackter Campingwagen aussah, entpuppt sich als üppig gefüllter Souvenirstand, die scheinbar verlassenen Tavernen sind frisch eingedeckt, vorhin noch geschlossene Geschäfte preisen ihr buntes Warenangebot an. Die Szenerie erinnert mich an Delphi oder Olympia: Ohne die Vergangenheit gäbe es hier keine Gegenwart.

Mit einem letzten Blick auf Véria verabschiede ich mich vorerst von Makedonien und setze meine Fahrt in Richtung Westen fort, mit Ziel Ioánnina. Zuletzt bin ich vor fünf Jahren auf dieser Autobahn gefahren, damals war die Strecke bis Grevená mit ihren 14 Tunneln fertig, inzwischen ist die Autobahn durchgängig befahrbar, wenn auch an einer Brücke noch gebaut wird. Sage und schreibe 32 Tunnel wurden zwischen Grevená und Ioánnina benötigt, um die Barriere des Píndos-Gebirges zu bezwingen. In den Hochlagen der Berge ist das schlechte Wetter noch präsent, so dass ich die Fahrt über die Passstrecke nicht vermisse und bereits nach weniger als zwei Stunden mein Ziel erreiche.

Aus den samtiggrünen, mit Popcorn-Schafen betupften Feldern erhoben sich die Häuser und Minaretts von Ioannina, und in der Mitte lag [...] der See.
(Nicholas Gage)

In Ioánnina ist es heiter bis wolkig und es weht ein so heftiger Wind, dass der See zu richtiger Brandung aufgewirbelt wird. Als erstes organisiere ich ein Zimmer im Hotel "Elpis" in der Altstadt, direkt am Eingangstor zur Festung. Die Qualität des Zimmers entspricht dem in Véria, hier ist es mit 25 € allerdings deutlich preiswerter. Ich buche direkt für drei Nächte.

Da ich die Fertigstellung der Autobahn nicht eingeplant hatte, bin ich deutlich früher eingetroffen als erwartet und habe dadurch angenehm viel Zeit, die Altstadt innerhalb der Festungsmauern zu entdecken, die ich bei meinem letzten Besuch vor sechs Jahren nur oberflächlich besichtigt hatte. Ich beginne mit dem Herzstück aus der osmanischen Besatzungszeit, der höher gelegenen Zitadelle Itş Kalé, einer Festung innerhalb der Festung. Vom Eingangstor führt mein Weg am ehemaligen Wachhaus vorbei bis zur Fetijé-Moschee, dann am Regierungspalast vorbei, in dem inzwischen das byzantinische Museum untergebracht ist, bis zu den mächtigen inneren Festungsmauern, von deren Höhe man einen wunderbaren Blick über die Altstadt hinweg auf die benachbarte Aslán-Pashá-Moschee hat. Es ist sehr schön hier, vorwitzige Schwalben segeln meternah an einem vorbei, kaum kommt die Sonne heraus, wärmen sich Eidechsen in ebendieser ihre Knochen und nach Osten blickt man über den Pamvótis-See bis zu den Bergen, deren schneebedeckte Gipfel in den weißen Wolken verschwimmen.

Anschließend besuche ich das Gelände der Aslán-Pashá-Moschee, die heute das Heimatmuseum beherbergt. Sie ist vom ehemaligen islamischen Friedhof umgeben, zahlreiche Grabsteine mit arabischer Aufschrift stehen herum. Da dieses Gelände höher liegt als die Wohnbereiche der Altstadt, hat man einen schönen Blick auf die gegenüberliegenden Gebäude der Itş Kalé.

Nach einem Spaziergang um die Festungsmauer, die die gesamte Altstadt-Halbinsel umgibt, verbringe ich die Zeit bis zum Abend mit einem Kafé frappé und meinem Buch in einem der zahlreichen schönen Cafés, die sich unmittelbar am Seeufer befinden.

Zum Essen suche ich das Estiatório "Ivi" auf, welches ich seit 2005 wegen seiner authentischen Volksküche in guter Erinnerung habe. Der Speiseraum ist renoviert, die Gerichte in der Theke schwimmen nicht mehr in ganz so übertrieben viel Öl, ansonsten wirkt das Restaurant unverändert. Ich beginne mit einer Fassoláda, das ist ein Weiße-Bohnen-Eintopf mit viel Sellerie, außerdem Zwiebeln und Tomaten. Danach steht mir der Sinn nach einer Portion Gópa, einem Dutzend kleiner Fische, jeder 12 - 15 Zentimeter lang, die in Mehl gewendet und in Öl ausgebacken werden. Zusammen mit einer Flasche Mythos wird mich das schmackhafte Mahl später kaum mehr als 13 € kosten. Auch wenn das Wetter zu wünschen übrig lässt, zumindest kulinarisch ist dieser Urlaub bisher erstklassig.

Während des Essens nimmt am Nachbartisch ein älteres Ehepaar Platz. Sie sind offensichtlich Deutsche, diskutieren mit dem Kellner jedoch in fließendem Griechisch. Er ist pensionierter Geologe, bereist Griechenland seit 1961 beruflich und privat, seine Gattin nur seit wenig kürzerer Zeit. Was sie über die Entwicklung des Landes in den vergangenen 50 Jahren erzählen, macht sie zu äußerst interessanten Gesprächspartnern, mit denen ich mich lange unterhalte.

Mit einem Spaziergang entlang der Odós Avérof, der wichtigsten Straße Ioánninas, beschließe ich den Tag.

Vergína:


Archäologisches Museum Vergína:


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