Makedonien / Épirus 09.05.2011

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Der morgendliche Blick vom Balkon des Hotelzimmers bestätigt das vorhergesagte Wetter: Es ist 11°C kalt und regnerisch. Ich tröste mich mit einer warmen, frischen Spanakópita, spaziere vorbei an der uralten Platane, die bereits im Jahre 1430 urkundlich erwähnt wurde, die geschäftige Hauptstraße hinunter und gönne mir einen Kafé Ellenikós, jenes heiße, süß-bittere Kaffee-Konzentrat, welches sich nur dem Namen nach von einem türkischen Mokka unterscheidet. Bei diesem Wetter bieten sich Museumsbesuche an. Im Vorfeld hatte ich für heute die Museen der archäologischen Stätten von Pélla und Vergína eingeplant, die laut ihrer Internetseiten montags ab Mittag geöffnet sein sollten. Da liegt es nahe, den Vormittag mit einem Besuch der Stadt Náoussa zu verbringen, die auf dem Weg nach Pélla liegt.

Die Straße dorthin führt durch ausgedehnte Obstplantagen und Weinfelder. Náoussa gilt als die Stadt des Karnevals, des Weins und des Wassers. Letzteres kommt normalerweise aus dem Boden, speist Wasserfälle und öffentliche Zapfstellen an jedem dicken Baum. Heute kommt es jedoch in zunehmendem Maße auch von oben.

Nachdem ich eine steile Straße hinaufgefahren bin, erreiche ich den Kern der ländlichen Kleinstadt, die beweist, dass ländlich nicht gleichbedeutend mit leblos ist. Im Sonnenlicht wäre das hübsche und sehr grüne Zentrum zwar noch attraktiver, aber selbst durch den strömenden Regen lassen sich die hartgesottenen Bergbewohner nicht davon abhalten, im Kafeníon draußen zu sitzen. Ich mache einen Regenspaziergang, entdecke ein Denkmal, welches an den Beginn der Industrialisierung erinnert, als die Stadt einen hohen Wohlstand dank Wasserkraft erreichte und sehe mich darin bestätigt, dass es hier wortwörtlich an jedem dicken Baum einen Brunnen gibt.

Gegen Mittag erreiche ich Pélla, die Hauptstadt des antiken makedonischen Königreichs unter Phillip II. und seinem Sohn, Alexander dem Großen. Der Ort wirkt wie ausgestorben, trotz der großzügigen Anfahrtswege kein Auto, kein Reisebus, kein Mensch. Immerhin ist das Wärterhäuschen am Eingang zu den Ausgrabungsstätten besetzt. Erst zur Hauptsaison, ab Juni, sei wieder geöffnet, erklärt man mir dort. So bleibt lediglich ein Blick über den Zaun, aber mehr als ein paar Säulen und Trümmer in einer Blumenwiese sind nicht zu erkennen.

Wozu, wollte er sagen, wozu also Pläne! Es geht ja auch so.
(Erhart Kästner)

Was soll's? Also mache ich mich auf nach Vergína, das vor 34 Jahren für eine archäologische Sensation gesorgt hat, als man hier unter anderem das ungeplünderte Grab Phillips II. fand. Zunächst fahre ich fast bis nach Véria zurück, überquere den Fluss Aliákmonas und finde einen Ort vor, der genauso ausgestorben wirkt, wie Pélla. Meine Überraschung hält sich in Grenzen. Immerhin ist hier prinzipiell geöffnet, nur montags ist ganztägig geschlossen. Enttäuscht und hungrig fahre ich nach Véria zurück.

Gegen den Hunger hilft eine Souvláki-Pommes-Pita, die ich in einem kleinen Grill-Imbiss zu mir nehme. Museen öffnen können sie nicht, aber Souvláki grillen, das können sie! Da der Dauerregen inzwischen zu einem leichten Nieseln abgeflaut ist, schließe ich einen langen, feuchten Stadtspaziergang an. Unmittelbar neben der alten Moschee finde ich die sogenannte "Paulustreppe", den Ort, wo der Überlieferung nach der Apostel Paulus den Einwohner von Véria predigte und damit deutlich mehr Erfolg, als zuvor in Thessaloníki hatte.

Die Brüder aber schickten noch in derselben Nacht Paulus und Silas nach Véria. Als sie dahin kamen, gingen sie in die Synagoge der Juden. Diese aber waren freundlicher als die in Thessaloníki.
(Apostelgeschichte, 17, 10-11)

Anschließend schreibe ich in einem überheizten Internet-Café ein paar Mails nach Hause und kehre dann in ein gemütliches (und wohltemperiertes) Café ein, wo ich den Rest des Nachmittags mit einem heißen Kaffee, einer Portion Loukoumádes und einem guten Buch verbringe.

Nach der äußerst erfreulichen Erfahrung von gestern gehe ich am Abend wieder zum Restaurant "Kusina". Leider hat dieses montags geschlossen, genau wie die Museen. Die Enttäuschung darüber währt jedoch nur kurz, denn ich habe bereits eine vielversprechende Alternative im Sinn, die ich während des Stadtbummels am Nachmittag entdeckt hatte, eine kleine Taverne in der Nähe meines Hotels. Es gibt zwar eine Karte, aber der Wirt bittet mich zur Auswahl der Speisen in die Küche, um mir das aktuelle Angebot zu erklären, was durch seine guten Deutschkenntnisse ungemein erleichtert wird. Er hat 16 Jahre in Wolfsburg gearbeitet ("Nein, nicht bei VW!"), hat zwei Töchter, die in Deutschland geblieben sind und zwei deutsche Schwiegersöhne.

Als Vorspeise wähle ich Chtipití, einen mit reichlich Chili scharf zubereiteten Féta, anschließend Kokorétsi, eine makedonische Spezialität, zu deren Herstellung allerlei Schafsinnereien, gemischt mit Zwiebeln und Gewürzen, mithilfe eines Schafdarms auf einen Drehspieß gewickelt und kross gegrillt werden. Dazu gibt es Bratkartoffeln und Vergína-Bier, eine absolut akzeptable regionale Biersorte. Das Dessert, ein Stück in Honigsirup schwimmende Filóteig-Pastete, geht wieder mal aufs Haus. Die nicht-diätetische Nachspeise erfordert eine weitere Flasche Vergína-Bier zur Verdünnung. Die Endsumme von 13,60 € ist ein lächerlicher Preis für dieses außergewöhnliche Essen.

Inzwischen hat es aufgehört, zu regnen. Zu satt, um direkt ins Hotel zu gehen, entschließe ich mich zu einem kurzen Spaziergang. Im unregelmäßigen Straßen- und Gassenlabyrinth der alten Innenstadt verliere ich jedoch ein wenig die Orientierung, so dass ich letztendlich eine volle Stunde benötige, bis ich wieder ins Hotel zurückfinde. Die Taverne lag ungefähr 100 Meter entfernt.

Véria:


Náoussa:


Pélla:


Brücke über den Aliákmonas:


Véria: