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Von Réthimnon nach Chaniá ist es über die gut ausgebaute Schnellstraße nur ein Katzensprung. Am Kolokotroni-Platz stelle ich den Wagen ab und gehe in die - nach Marseiller Vorbild erbaute - Markthalle, um mich dort mit einer Spanakópita und einem griechischen Mokka für den Tag zu stärken. Ich hatte gehofft, dass schon mehr Betriebsamkeit herrscht, aber offensichtlich hat sich auch hier der Tagesablauf dem touristischen Rhythmus angepasst. Von dort gehe ich durch die Ledergasse, einem Sträßchen, in dem ausschließlich Lederwaren verkauft werden, zur Schiavo-Bastion, einer unscheinbaren Ruine, welche die einzige Erhebung ist, von der sich die Stadt überblicken lässt.

Chaniá und Réthimnon sind wie Schwestern. Chaniá ist etwas größer, ansonsten sind die beiden Städte sehr vergleichbar: Ihre von Venezianern und Türken dominierte Geschichte, die malerischen Gassen der Altstadt, die Reihe der Tavernen und Cafés am Ufer des alten, venezianischen Hafens - viele Ähnlichkeiten bestehen. Allerdings finde ich Chaniá etwas photogener als Réthimnon. Mitten auf der Hafenpromenade prunkt die Janitscharen-Moschee und hinter dem Uferpanorama erheben sich die Lefká Óri, die Weißen Berge, auf deren Gipfel die letzten Überbleibsel des Schnees glänzen.

Das Hafenbecken ist zweigeteilt. Westlich der Moschee gibt es keine Liegeplätze für Boote, nur Sitzplätze für Touristen, östlich davon befindet sich der eigentliche Hafen. Vor der Reihe der venezianischen Arsenale liegt eine Unmenge von Fischerbooten und Jachten und in einer der Hallen wird die "Minoa" ausgestellt, ein seetüchtiger Nachbau eines minoischen Ruderschiffs, bei dessen Bau ausschließlich Techniken und Materialien verwendet wurden, die schon in der Bronzezeit zur Verfügung standen. Das fasziniert mich, weil ich erst kurz zuvor eine TV-Reportage über dieses Projekt gesehen hatte. Von der langen Mole hat man einen schönen Blick und das Photographenherz freut sich über manch stimmungsvolles Detail.

Vom Hafen aus wende ich mich wieder in die Stadt. Mittendrin wachsen meine Lieblingsbäume - ich kann einen Feigenbaum mit geschlossenen Augen an seinem Duft erkennen! So gelange ich zur Kirche Ágios Nikólaos, deren Einzigartigkeit darin liegt, dass sie sowohl einen Glockenturm, als auch ein Minarett besitzt. Ein wunderbares Zeugnis vergangener Kulturwechsel!

Allmählich wird es Zeit für einen Kafé frappé. Zu Füßen der Kirche befindet sich die Platia 1821, ein Ortsplatz, so wie mein Herz ihn liebt: Mehrere Kafeníons haben sich den Platz unter schattenspendenden Platanen aufgeteilt, ausländische Touristen sind in der Minderheit. Hier wird ein Glas Wasser serviert, bevor ich überhaupt eine Bestellung aufgegeben habe, zum Kafé frappé werden zwei Kekse gereicht und dann - ich traue meinen Augen nicht - kommt die Rechnung: 1,- €! Ich erinnere mich nicht daran, dass ich dafür je weniger bezahlt habe.

"Huhu! [...] Herrlich! Ich geh' nie mehr weg!"
(René Goscinny, Albert Uderzo)

Geraume Zeit später mache ich mich ausgeruht wieder auf den Weg. Die Markthallen beleben sich allmählich mit Touristen, genauso die engen Strassen der Stadt. Zuerst fahre ich ein Stück in Richtung Réthimnon zurück, dann biege ich bei Vrísses in südliche Richtung ab. Die Straße, die östlich an den Weißen Bergen vorbei führt, ist eine 35 Kilometer lange Aneinanderreihung von Kurven, aber definitiv zu gut ausgebaut, um eine Bewertung in meiner persönlichen Gebirgsstraßen-Wertungsskala zu erhalten. Nur auf den letzten Kilometern, die den extrem steilen Südhang zum Meer hinab führen, kommt so richtig Kurvenstimmung auf.

Ich erreiche Chóra Sfakíon um 13:30 Uhr. Seit alters her ist das kleine Dorf der Hauptort der gesamten Umgebung, der so genannten Sfakiá. Das raue, unwegsame Bergland ist von keiner besetzenden Macht jemals wirklich beherrscht worden. Deswegen, und wegen ihres blutharten Ehrenkodexes, galten die Sfakioten als Inbegriff des freiheitsliebenden und unbeugsamen Kreters. Heute gelten sie vor allem als geschäftstüchtige Bootsführer, die vom Frühjahr bis zum Herbst die Heerscharen von wanderwütigen Mitteleuropäern vom bzw. zum Südausgang der weltberühmten Samariá-Schlucht chauffieren.

An mir verdient hier jedenfalls nur der Tavernenbesitzer etwas, der mir einen großen griechischen Salat kredenzt, den ich mit Ausblick auf den idyllischen kleinen Hafen verzehre. Da die Hafenpromenade autofrei ist und die Wanderer noch nicht angekommen sind, ist es so ruhig, dass man hier die Welt vergessen kann. Ich mache eine große Pause und schreibe dabei die üblichen Postkarten.

In Sfakia [...] traf er auf einen Ort, der zeitlos im Raum zu schweben schien.
(Ioanna Karystiani)

Die Strasse nach Osten ist noch genauso archaisch, wie ich sie aus dem Jahr 2000 in Erinnerung habe. Äußerst kurvenreich und mit teilweise extrem engen Ortsdurchfahrten windet sie sich in einiger Höhe an den Hängen entlang. Auch die Bergdörfer hinken der touristischen Entwicklung hinterher. Die auf Kreta verbreitete Tradition, die Ortsschilder als Zielscheiben zu verwendet, wird hier jedenfalls weiterhin fleißig gelebt.

Bei Frangokástello lege ich einen kurzen Photostopp ein. Vor zehn Jahren hatten wir die Festung nicht besichtigt - jetzt weiß ich, nichts verpasst zu haben. Es gibt nämlich nichts zu besichtigen, die Ruine besteht nur aus den Außenmauern. Der unmittelbar benachbarte Sandstrand ist dagegen besonders zauberhaft, gerade jetzt im Frühling.

Gegen 16:30 Uhr nähere ich mich dem zweiten Hauptziel des Tages, dem Strand von Préveli. Noch ist mir die Sonne allerdings zu intensiv für meine zarte Haut, deshalb mache ich vorher einen Abstecher zum nahe gelegenen gleichnamigen Kloster. Die Faszination, die ich vor zehn Jahren für diesen Ort empfunden habe, ist sofort wieder da. Die große Anlage, abgelegen wie Klöster das nun mal gerne sind, empfängt einen so freundlich und gepflegt wie ein Wellness-Hotel. Die üppige Blumenpracht und der phantastische Panoramablick von der Klosterterrasse über das Libysche Meer verstärken diesen Eindruck. Nach einiger Zeit ruft ein Mönch seine wenigen Brüder mit dem eigentümlich rhythmischen Klopfen des Símantrons zum Gebet und kündigt um 17 Uhr mit Glockengeläut das baldige Schließen des Klosters an.

In ihrem Gang schwang ein undefinierbarer Rhythmus, von Hast genauso weit entfernt wie von Langsamkeit, ein Gehen, das zugleich wie ein Innehalten war.
(Klaus Modick, in "Der kretische Gast")

Jetzt ist Strand-Zeit. Vom Parkplatz aus hat man einen Blick hinunter, der einem das Herz höher schlagen lässt. Zwischen den unwirtlichen Felsen fließt der Megalopótamos, der sich hier zu einem lang gestreckten See verbreitet, seine Ufer mit Schilf, Palmen und anderen Bäumen üppig flankiert. Ein Strand aus grauem Sand schließt das Ganze zum Meer hin ab. Traumhaft schön! Doch vor- und vor allem hinterher haben die Götter den Schweiß gesetzt: Mehr als 400 unregelmäßig in den Fels gehauene Stufen führen vom Parkplatz hinunter zum Meer. Die Temperatur des Wassers ist überraschend angenehm, da wird einem bewusst, wie südlich man sich eigentlich befindet: Tunis, Algier und Antalya liegen weit nördlich von hier. Nach dem Baden kann ich mir das Salz im Fluss abspülen und dann in der Sonne dösen, bis diese hinter den Bergen versinkt. Gut, dass auf dem Rückweg die Treppen im Bergschatten liegen! Nach diesem Tageshöhepunkt gleite ich vollkommen entspannt zum Hotel zurück.

Bei dem überaus vollen und abwechslungsreichen Tagesprogramm ist es nicht verwunderlich, dass ich erst nach Sonnenuntergang zum Abendessen aufbreche. Am Nordufer der Stadt, etwas abseits vom Zentrum, finde ich eine Taverne mit Terrasse direkt am Meer und mit Blick auf die angestrahlte Burg. Ich nehme Tsatsíki und Kaninchen vom Holzkohle-Grill, dazu selbstverständlich ein Mythos. Auch heute ist es sehr gut und reichlich und sogar etwas preiswerter als gestern. Als Nachtisch gibt es ein Stück Grieß-Pistazien-Kuchen und eine Portion Tsikoudiá, die einen aus den Schuhen haut! Fast 100 ml, also beinahe fünf "Pinnekes" sind in der kleinen Glaskaraffe enthalten. Als ich danach am alten venezianischen Leuchtturm sitze und auf die Hafentavernen schaue, habe ich Angst, dass es eine Stichflamme gibt, wenn ich mir jetzt ein Zigarillo anzünde. Aber nichts passiert.

Was für ein Tag!

Man kann dem Leben nicht mehr Tage geben, aber dem Tag mehr Leben.
(Griechische Weisheit)

Chaniá:


Stadtpanorama:


Chaniá:


Fahrt zur Südküste:


Chóra Sfakíon:


Entlang der Südküste:


Frangokástello:


Kloster Préveli:


Préveli-Strand:


Réthimnon: