Als dieses Jahr jung war, habe ich Kreta zum ersten Male gesehen. [...] So werd' ich diese Insel, die
die älteste ist und gleichsam der Anbeginn alles Griechischen, in der Gestalt sehen, die ihr recht eigentlich
gebührt.
(Erhart Kästner)
Im äußersten Nordwesten Europas brodelt der Eyjafjallajökull, im äußersten Südosten Europas brodelt die griechische Finanzkrise. Vulkanasche und Generalstreikgefahr sorgen dafür, dass ich in diesem Jahr meine Reise mit gemischten Gefühlen antrete.
Es ist 2:30 Uhr. Ich stehe im Kölner Hauptbahnhof, der um diese Uhrzeit genauso verschlafen ist, wie die wenigen Menschen, die sich kurz darauf in der einzigen fahrenden S-Bahn, der Linie 13 zum Flughafen, einfinden. Nach dem routinierten Ritual des Check-in hebt der Flieger fast pünktlich ab. Die Fluggesellschaft, mit der ich in diesem Jahr unterwegs bin, serviert sogar ein kleines Frühstück, anschließend ist genug Zeit für ein Nickerchen. Als ich gegen 6:30 Uhr aufwache und aus dem Fenster schaue, erblicke ich unter mir die schneebedeckten Gipfel des Olymps - ein sehr gutes Timing! Minuten später erwacht mit dem Anblick des pagasitischen Golfs und dem dahinter liegenden Pílion-Gebirges die Urlaubsstimmung. Diese steigert sich ins Unermessliche, als bald darauf die Inselgruppe von Santorín und wenig später die kretische Küste ins Blickfeld kommen und wir unmittelbar danach auf dem Flugfeld von Iráklion aufsetzen.
Fremde, die hier landen, sind zunächst zwei Tage lang geblendet.
(Louis de Bernières)
Das Wetter ist zum Verrücktwerden schön. Der Himmel ist mindestens so blau, wie der Hyundai Getz den ich in der kommenden Woche fahren werde, und damit es nicht zu einfarbig wird, setzt der überall blühende Oleander farbliche Akzente. Das einzige, was negativ auffällt, ist der Benzinpreis, der im Vergleich zu den letzten Jahren um knapp 50% angestiegen, und damit jetzt sogar etwas höher als in Deutschland ist. Aber dafür bekommt man nun beim Tanken auch eine Quittung...
Am Morgen, einem wahren Gottesmorgen, [...] machten wir uns auf nach dem Kloster Arkadi, das weit
über Land gegen Rhethymnon liegt, also im Nordblick der Insel.
(Erhart Kästner)
Nach den Jahren 2007 und 2008 hat es schon eine gewisse Tradition, als erstes Etappenziel ein berühmtes Kloster anzusteuern. So auch in diesem Jahr. Kurz nach 11 Uhr erreiche ich Arkádi. Das Kloster ist so etwas wie das Nationalheiligtum der Kreter und im ganzen Land ein Symbol des griechischen Freiheitskampfes. Nach dem Vorbild von Messolóngi - lieber tot als unfrei - versammelten sich am 9.11.1866 über 700 Griechen im Pulvermagazin des Klosters und sprengten sich selbst und ungefähr die doppelte Anzahl der türkischen Besatzer in die Luft.
Das Kloster hat einen großen Namen aus Türkenzeiten. Es war damals ein Freiheitshort, und
eines der vielen Gemetzel, von denen die Inselgeschichte weiß, geschah hier.
(Erhart Kästner)
Ich vermute, ein Besuch hier ist ein Pflichtausflug für alle griechischen Schüler, denn mehrere Reisebusse voller Acht- bis Zehnklässler sind bereits eingetroffen. Vor dem eigentlichen Eingang befindet sich das Beinhaus, in dem die Überreste einiger kämpfenden Helden zu sehen sind. Der restaurierte Klosterbezirk hinter den burgartigen Mauern ist sehr interessant, vor allem, wenn man die geschichtlichen Hintergründe kennt. Die Kirche mit ihrer stilreinen kretisch-venezianischen Fassade ist innen ungewohnt schlicht gehalten, der sonnendurchflutete Hof ist erfüllt vom Duft blühender Rosen und vor den früheren Mönchszellen wird eine hölzerne Pergola von frischgrünem Wein überrankt. Lediglich das ehemalige Pulvermagazin wurde nie restauriert, um als Mahnmal erhalten zu bleiben.
Vom Kloster Arkádi ist es nicht weit bis Réthimnon. Ich parke meinen Wagen in der Neustadt und spaziere die lange Strandpromenade entlang. Bei dieser Gelegenheit quartiere ich mich für zwei Nächte im Hotel "Theo Beach" ein, wo ich ein großzügiges Appartement inklusive Balkon mit bestem Meerblick für 40 € beziehe. Auf dem weiteren Weg in Richtung Altstadt erstehe ich in einem Obstgeschäft einen halben Liter frisch gepressten Orangensaft (1,40 €) und verbringe die heißen Mittagsstunden auf der schattigen Terrasse eines Cafés an der Strandpromenade, wo ich den längst überfälligen ersten Kafé frappé dieses Urlaubs außerordentlich genieße.
Am Nachmittag mache ich einen ausgedehnten Stadtbummel. Obwohl Réthimnon aufgrund der Nähe zum Kloster Arkádi für meinen Geschmack etwas zu viel Heldenverehrung in Form von Denkmälern betreibt, werden gleichzeitig auch die kulturellen Andenken der ehemaligen Besatzungsmacht sorgsam gepflegt. Gerade jetzt wird das Minarett der großen Tis-Nerantzes-Moschee restauriert. Verschachtelte, blumenüberrankte enge Gassen voller Souvenir-Manufakturen (Stein- und Holzbildhauer, Maler, Töpfer), der alte Hafen, der Rimondi-Brunnen (beides Relikte der venezianischen Epoche) sowie viele nette Cafés und Tavernen machen die wunderschöne Altstadt zu einem rundum reizvollen Ort.
Ihre Substanz ist auch heute noch Venedig. Aus der langen türkischen Zeit blieben nur ein paar
Minarette; diese freilich, weißzarte Nadeln, versenden den Hauch einer Märchenwelt.
(Erhart Kästner)
Der Rundgang führt mich bis zur Festung Fortezza. Die Anlage, von den Venezianern begründet, später von den Türken ausgebaut, liegt in exponierter Lage, an drei Seiten vom Meer umgeben auf einer Anhöhe. Dadurch wird vom Eingangsbereich ein schöner Ausblick auf den Hafen und von den südlichen Bastionen über die gesamte Stadt ermöglicht. Die auf dem Gelände der Festung erhaltene, architektonisch interessante Ibrahim-Han-Moschee wird von einer Gewölbekuppel von immerhin elf Metern Durchmesser überdacht.
Obgleich schon etwas fußlahm, muss ich quer durch die Stadt zurück zum Auto, um das Gepäck ins Hotel zu bringen. Dort angekommen dusche ich Staub und Schweiß des langen Tages ab und mache vor dem Abendessen ein kurzes Nickerchen. Die Entscheidung für ein bestimmtes Lokal fällt mir schwer, die Auswahl ist riesig, markante Unterschiede sind nicht erkennbar. Schließlich kehre ich in eine Taverne in der Altstadt ein, deren überdachte Terrasse mir gefällt. Nebenan führt ein Töpfer sein Handwerk aus. Es gibt frittierte Zucchini, Biftéki mit Pilz-Sahne-Soße, dazu ein Mythos-Bier. Mir fällt auf, dass kein Wasser zum Essen gereicht wird, ein typisches Zeichen von zu viel Tourismus. Dafür wird ein sehr leckeres grünes Olivenmus zum Brot serviert. Die Qualität des Essens sowie die Portionsgröße sind über jeden Zweifel erhaben, aber billig ist die Stadt nicht. Mit einem zweiten Mythos komme ich auf fast 20 €, allerdings werden mit der Rechnung ein Tsikoudiá (aka Rakí, der kretische Tresterschnaps) und ein Stück Honigmelone serviert.
Zu satt und zu müde, einen längeren Spaziergang zu machen, gehe ich direkt zum Hotel zurück. Wie so oft fällt mir auf, wie viele einheimische junge Leute die Bars und Cafés bevölkern. Mit Blick aufs Meer lasse ich den Tag auf dem Balkon ausklingen. Das war ein toller Start!