Am attischen Ufer, bei Sunions heiliger Spitze...
(Homer, Odyssee)
Endlich mal wieder ein Morgen, der mich mit strahlend blauem Himmel begrüßt. Zum Start meiner Attika-Rundreise steht Kap Sóunion auf dem Programm. Auf der äußersten Spitze der attischen Halbinsel stehen auf einer 60 Meter hohen Klippe die Überreste eines Poseidon-Tempels, der etwa zeitgleich mit dem Parthenon auf der Akropolis entstanden ist. Als ich gegen 9 Uhr die Anlage erreiche, bin ich alleine auf dem Kap, denn der Eingang wird erst eine halbe Stunde später geöffnet. Es bleibt mir also Zeit, um im benachbarten Café einen erwartungsgemäß viel zu teuren Kafé Ellenikó zu trinken und dabei den Tag zu planen. Überall laufen lustige Vögel umher, die keinen einzigen Flügelschlag tun und lieber wie ein Steinbock über die Felsen rennen, wenn man ihnen zu nahe kommt. Erst zu Hause kann ich sie als Chukarhühner identifizieren.
Von der antiken Festungsanlage sind nur Fundamente übrig geblieben. Lediglich vom Haupttempel, der dem Meeresgott geweiht war, stehen noch etwa die Hälfte der ursprünglich 34 dorischen Säulen. Diese reichen aus, um beim Besucher einen tiefe Eindruck zu hinterlassen. Die Harmonie der Proportionen ist genauso perfekt wie beim Parthenon, ohne dabei den Nachteil zu haben, von Gerüsten verbaut zu sein. Und jetzt am Morgen kommt hinzu, dass erst sehr wenige Touristen unterwegs sind, sodass ich die Anlage in Ruhe bewundern, die Farben im klaren Morgenlicht verzückt betrachten und die Aussicht begeistert genießen kann. Einfach schön ist es hier!
Und plötzlich [...] sah ich die weißen Säulen des Poseidon-Tempels und zwischen ihnen,
strahlend, dunkelblau, das heilige Meer. Meine Knie wankten, ich blieb stehen. Das ist die Schönheit, dachte ich
mir, [...] höher kann der Mensch nicht gelangen. Das ist Griechenland!
(Nikos Kazantzakis)
Von der antiken Pracht begeistert mache ich mich durch thymianblühende Hänge auf den Weg nach Peanía. Die Kleinstadt südlich von Athén wäre von dem ausufernden Moloch schon längst verschluckt worden, wenn nicht der mehr als 1000 Meter hohe Ymittós dem Wachstum der Hauptstadt in dieser Richtung einen natürlichen Riegel vorgeschoben hätte. Obwohl man sich alle Mühe gegeben hat, mögliche Besucher zu verwirren, finde ich die Attraktion von Peanía: Die Koutouki-Tropfsteinhöhle, die in halber Höhe im Südosthang des Berges liegt. Getreu dem Motto "Kein Urlaub ohne Höhle" warte ich vor dem Eingang auf den Beginn der nächsten Führung. Glücklicherweise gibt es am Rand der Plattform einen Baum, dessen Schatten die beginnende Mittagshitze erträglich macht. Von hier aus habe ich einen weiten Blick über Attika, den Ort Peanía und bis zum südlichen Stadtrand von Athén. Die Höhlenbesichtigung absolviere ich alleine mit zwei Führerinnen; der 20 Minuten dauernde Rundgang ist zwar gut gemacht, die Höhle insgesamt aber nicht so spektakulär, wie ich das von anderen Tropfsteinhöhlen in Griechenland kenne.
Inzwischen mahnt mich mein Magen, das Mittagessen nicht zu vergessen. Dazu fahre ich an die Ostküste nach Rafína, einem lebhaften Städtchen mit vergleichsweise großem Fährhafen. Direkt am Hafen, zwischen Speed-Fähre und Fischhändler finde ich eine urige Taverne, die sich in ein so enges und kleines Häuschen gequetscht hat, dass die Gäste beim Gang zur Toilette den Vorratsraum durchqueren und eine Art Speicherstiege zum Dach erklimmen müssen. Ich sitze kaum am Tisch, da bekomme ich schon einen großen Krug kaltes Wasser - ein solch traditionelles Zeichen griechischer Gastlichkeit hatte ich bisher in Attika nirgendwo gesehen. Die Bedienung ist herzlich, das Mythos gut gekühlt und die Portion frisch gegrillter Sardinen delikat. Der fahrende Obsthändler und die authentische Hafenatmosphäre tun ihr übriges, damit ich mich hier richtig wohl fühle.
Von Rafína fahre ich weiter nach Marathónas, dem Ort der historischen Schlacht, dessen Siegesbotenlauf bis heute im Sport namengebend ist. Die 2500 Jahre, die seit der Schlacht vergangen sind, haben vielleicht nicht die Erinnerung, aber sonst alle Spuren ausgelöscht. Auf dem ehemaligen Schlachtfeld findet sich ein langweiliger, grasbewachsener Buckel, der "Grabhügel der Athéner", darüber hinaus gibt es hier nichts, was einen Verbleib rechtfertigen würde.
Was bleibt über vom Heldentum? Ein verfallener Hügel, bewachsen mit Unkraut.
(Konfuzius)
Ohne weiteren Aufenthalt fahre ich weiter nach Lávrion, der Stadt, in der ich am Vortag vergeblich ein Hotel gesucht hatte. Mit ihren Silberminen war Lávrion in der Antike der Grund für den Reichtum Athéns; die in der Gegenwart existierenden Steinbrüche sind der Grund, warum die Straßen der Stadt immer etwas staubig sind und den Ort auf den ersten Blick unattraktiv erscheinen lassen. Ich spaziere aus der Stadt hinaus, lasse den Hafen hinter mir und sitze eine Zeitlang am Meeresufer, unmittelbar gegenüber der kargen Insel Makrónissos, der während der Obristenherrschaft (1967 - 74) berüchtigten KZ-Insel der Junta.
Die Jachtbesatzungen und Fährentouristen bleiben am Hafen unter sich - kaum jemand von ihnen ist im Stadtzentrum zu sehen. Trotzdem sind die Tavernen gut besucht und der Duft von gegrilltem Fisch weht durch die Straßen. In der Taverne mit dem großen Grill, die mir gestern schon aufgefallen war, drehen sich heute zwei Lämmer und eine Reihe Spare-Ribs neben ein paar Hähnchen-, Kokorétsi- und Gyrosspießen. Es riecht noch besser, als es aussieht. Leider ist es mir zu früh zum Essen, deshalb mache ich eine lange Pause in einem Kafenion am Ortsplatz. Eine solch untouristische Atmosphäre ist wahrlich der passende Rahmen für den letzten Kafé frappé in diesem Urlaub - griechischer geht es kaum.
Am späten Nachmittag fahre ich gemütlich ins Hotel zurück und bereite mein Gepäck zur Rückreise vor. Der Anblick des Grills in Lávrion hat mir Appetit auf Fleisch gemacht und weil das Hotelrestaurant mich am Vortag nicht enttäuscht hatte, bestelle ich hier am Abend ein Rindersteak. Begleitet von Pommes, Tsatsíki und einem Fix-Bier wird daraus ein richtig gutes Mahl.
Da ich das Essen etwas früher als sonst eingenommen habe, ist im Anschluss genau die richtige Zeit, um vom nördlich des Hotels gelegenen Felsvorsprung den Sonnenuntergang zu beobachten. Als wolle das Schicksal mich in meinem Abschiedsschmerz trösten, zeigt sich die Sonne von ihrer allerschönsten Seite und versinkt langsam und stimmungsvoll im Meer. In der zunehmenden Dunkelheit sitze ich noch lange am Strand, genieße die letzte Urlaubszigarre und lausche dem leisen Flüstern der Wogen.
Es war an einem Sommerabend, als er so saß am Meer allein.
Die letzten schwachen Sonnenstrahlen wiegten in Wellen zum Schlaf sich ein.
Durch die Seiten seiner Brust weht ein warmer Sommerwind.
Das leise Flüstern der Meereswogen erlahmt seine Glieder geschwind.
(Novalis - Sommerabend)