Zum ersten Mal in diesem Urlaub erwache ich bei Sonnenschein, dem passenden Wetter, um das Innere der Insel zu erkunden. Mein erstes Ziel ist Kariá, das größte Bergdorf der Insel mit einem schön gelegenen, von Platanen überschatteten Dorfplatz wie im Pílion. Mit frisch aufgefülltem Proviant fahre ich über Englouví weiter auf den Mt. Eláti. Rechts und links der Straße ziehen sich Weinberge bis über 1000 Meter hoch und ich wundere mich, warum die Straße in der abgelegenen Bergwelt so erstaunlich gut ausgebaut ist, als der Grund dafür plötzlich vor meinen Augen auftaucht: Ganz oben unterhält die griechische Air-Force einen Horchposten, der Gipfel ist militärisches Sperrgebiet, photographieren folglich strengstens verboten.
Ich kehre also um und besuche Ágios Patéres, ein kleines Kloster weiter im Osten. Sehr abgelegen liegt das Kloster der drei heiligen Brüder, hoch in den Bergen, einsam und still bis auf den Gesang der Vögel und das laute Summen zahlreicher wilder Bienen. Obwohl nicht mehr dauerhaft bewohnt, ist das Kloster sehr gut gepflegt, mit zahlreichen Wimpeln und Flaggen geschmückt und wird offensichtlich regelmäßig benutzt. Leider sind die Räumlichkeiten verschlossen, sogar die Kapelle, sodass ich nur den Ursprung der Einsiedelei, eine im Felsen ausgebaute Grotte besichtigen kann. Gerade als ich nach einer kleinen meditativen Pause wieder aufbrechen will, kommt ein Auto, dem ein Pope entsteigt, der alle Gebäude aufschließt. Da er kein Wort Englisch spricht, reduziert sich unsere Kommunikation auf das Allernotwendigste, aber immerhin kann ich nun die ganze Anlage anschauen: Schlaf- und Vorratsräume, Kapelle usw.
Vom Kloster aus ist es nicht weit zur Géni-Halbinsel. Dieser Teil Léfkas', der mir schon vorgestern so gut gefallen hat, ist mein nächstes Ziel. Die Straße, die am Ostufer der Vlichó-Bucht entlangführt, gewährt reichlich schöne Blicke auf die Bucht und die dahinter liegenden Berge. Vom Ausbau-Ende führt ein von Mastix und Myrte gesäumter Pfad weiter bis zur Nordspitze. Auf dem Weg dahin streift mein Blick zufällig einen wenige Meter abseits befindlichen Gedenkstein, der eine verwildert-verwunschene Gruft ziert. Es ist das Grab Wilhelm Dörpfelds, des neben Heinrich Schliemann berühmtesten deutschen Archäologen, der seinen guten Geschmack dadurch bewiesen hat, dass er hier seine letzten Lebensjahre verbrachte.
Kurze Zeit später endet der Weg an der kleinen Kapelle Agía Kyriakí. Von der Bootsanlege-Plattform vor der Kapelle hat man einen wunderbaren Blick auf das gegenüberliegende Nidrí. Ein paar umherstehende alte Stühle laden mich zu einer langen Pause ein, um das Panorama zu genießen und nebenbei weitere mögliche Ausflugsziele für den Nachmittag festzulegen. In der ganzen Zeit sind eine finnische Rucksacktouristin und die wunderschön gezeichnete Raupe eines Schwammspinners meine einzige Gesellschaft.
Hier legt der Krieger die Waffen nieder, spitzt das Ohr, horcht auf das samtene Rauschen des Laubs der
Olivenbäume und lacht die Welt an. Er war aufgebrochen, um die Welt zu erobern, aber er verhedderte sich in einer
blühenden Myrte und vergaß sich glücklich.
(Nikos Kazantzakis)
Auf dem Rückweg zum Auto meldet sich der kleine Hunger. Bei der Anfahrt waren mir im Örtchen Géni einige Tavernenschilder aufgefallen, an die ich mich nun erinnere. Drei Tavernen existieren hier direkt nebeneinander, alle unmittelbar am Ufer der Vlichó-Bucht gelegen. Ich weiß nicht, was ich in der nächsten Stunde mehr genieße: Das große Omelett mit Schinken, begleitet von einer Flasche Mythos, oder die Lage der blumengeschmückten Terrasse mit herrlichem Blick, keinen Meter vom Wasser entfernt. Egal was - hier sitze ich phantastisch und bekomme obendrein als kostenlose Nachspeise einen Teller Apfelscheiben mit Honig. Perfekt!
Auf der Weiterfahrt werfe ich einen letzten Blick auf die malerische Bucht und steuere dann die Karoucha-Höhle an, die sich nahe dem Örtchen Sívros befindet. Die Höhle selbst ist unspektakulär (jedenfalls der Teil, den man ohne spezielle Ausrüstung betreten kann), aber die sonnenwarmen Berghänge im Umkreis duften wunderbar nach Kamille. Nach kurzem Aufenthalt geht es weiter zur nahe gelegenen Kerasiá-Quelle. Die schmale Straße zur Quelle ist so steil, dass ich den kleinen Nissan im ersten Gang hochquälen muss und erreiche nach wenigen hundert Metern einen schattigen Platz, an dessen Rand eine alte Zisterne von einer langen Nutzung der Quelle zeugt. Überall tropft und plätschert hier das Wasser aus dem Berghang. An einer Stelle ist ein kleiner Brunnen gemauert, an dem man sich das wunderbar kalte saubere Nass abfüllen und sich beliebig verschwenderisch damit erfrischen kann.
Auf dem Rückweg lege ich zwecks Souvenirkaufs einen Zwischenaufenthalt in Vasilikí ein. Ein kleiner Spaziergang an der Promenade darf natürlich nicht fehlen, taucht doch die Sonne den kleinen Hafen in ein postkartenschönes Licht.
Genau wie gestern fahre ich am späten Nachmittag nach Pórto Katsíki, wo erstaunlicherweise trotz des makellosen Wetters heute noch etwas weniger Badegäste als gestern sind. Bis zum frühen Abend genieße ich das Wasser und die wohltuende Sonne - ein vorzüglicher Strand und wundervoll erholsam!
Für einen Fremden aber kann die Reise nach Griechenland zum hinreißenden Rausch der
Schönheit werden. Ruhig kann für ihn der Zauber der griechischen Erde und des griechischen Meeres
emporquellen. Eine tiefe mediterrane Freude des Auges.
(Nikos Kazantzakis)
Abends serviert mir Thomas erneut eine Flasche Mythos, ohne dass ich lange darauf warten oder mir die Mühe machen müsste, sie erst zu bestellen. Zur Feier des letzten Abends auf Léfkas nehme ich dazu Tsatsíki und eine Portion Lammkoteletts - fast ½ Kilogramm superb gegrilltes Fleisch. Da ich den Tsatsíki wegen der längeren Wartezeit ausnahmsweise bereits vorher verspeist habe und Thomas wohl der Meinung ist, dass Lammkoteletts ohne Tsatsíki nur halb so gut schmecken, bringt er mir eine zweite Portion als Nachschlag. Unnötig zu erwähnen, dass ich alles, was ich nicht explizit ordere, auch nicht bezahlen muss (mit Ausnahme des Bieres). Nach dem Essen hilft ein Oúzo meiner Verdauung auf die Sprünge, sodass später am Abend Platz für die große Portion Joghurt mit Honig ist.
Während die männliche Hälfte des Dorfes in den benachbarten Kafenions beim live aus Athén übertragenen Champions League Endspiel dem AC Mailand die Daumen drückt, sitze ich noch lange auf der Panorama-Terrasse und schwelge in Gedanken und blauem Dunst. Da ich morgen zeitig aufbrechen will und Thomas in der Früh nicht unbedingt erreichbar ist, zahle ich bereits heute meine lächerlich niedrige Rechnung von 60 € für die vier Nächte und bekomme zum Abschied noch ein Glas Honig aus der familieneigenen Produktion mit auf den Weg.