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Beim Bezahlen meiner Zimmerrechnung stelle ich fest, dass die Besitzerin der Pension ebenfalls deutsch spricht - es scheint hier wirklich sehr viele zu geben, die schon in Deutschland ihren Lebensunterhalt verdient haben. Dann fahre ich zum hochgelegenen Denkmal für die Frauen der Zagória und verabschiede mich mit einem letzen Blick von den üppigen Wäldern dieser Gegend - wenige Meter vor mir springt ein Hirsch lebensfroh durch das Unterholz. Auf der Weiterfahrt fallen mir immer wieder große Plastikkannen auf, die überall am Straßenrand stehen: Ziegen- und Schafsmilch, die von den zahlreichen Klein- und Kleinstbetrieben produziert und später zu delikatem Féta verarbeitet wird.

Als ich wenig später Kónitsa erreiche, hängen schwere Wolken zwischen den Zweieinhalbtausendern fest, aber ich weiß ja inzwischen, wie schnell sich das wieder ändern kann. Am Fuße der Stadt wird der wasserreiche und rafting-geeignete Aóos von der Steinbrücke mit der größten Bogenweite überspannt - wenn man sie sieht, gerät man ins Staunen, dass die filigrane Konstruktion die Jahrhunderte unbeschadet überdauern konnte. Die Stadt selbst zieht sich weit den Berghang hoch - typischerweise befindet sich die Altstadt nicht am Fuße, sondern am hochgelegenen Rand der Stadt, so dass man einer Reihe von Serpentinen folgen muss, um in die Innenstadt zu gelangen. Diese überrascht mich dann mit sehr viel Charme und sehr wenig Touristen - genauer gesagt bin ich anscheinend der Einzige hier. Kleine, niedliche Geschäftshäuser reihen sich aneinander, liebevoll geschmückt, so wie das Modegeschäft, dass ich zuerst für einen Blumenladen gehalten hatte. Nach einem kleinen Stadtbummel bedauere ich, dass es noch so früh ist, selbst bei großzügigster Auslegung ist es wirklich noch nicht die Zeit für eine Mittagspause, so gerne ich auch die eine oder andere der einladenden Tavernen ausprobiert hätte.

Die weitere Fahrt, die mich im weiten Bogen um die nördlichen Gipfel des Píndos-Gebirges herum führt, lehrt mich dann, was Einsamkeit ist. Berge und Wälder, Wälder und Berge - eine großartige Naturlandschaft, wie man sie in Europa kaum noch erwartet, empfängt mich hier. Es ist erstaunlich, wie beruhigend die simple Tatsache sein kann, dass ausreichend Benzin im Tank ist. Im Angesicht der in weiten Teilen unberührten Natur hat man den Eindruck, dass die Straße, die eine Zeit lang dem wilden Tal des Sarandáporos folgt, von der Natur eher geduldet wird, als dass sie sie erschließt. Umso erstaunlicher ist es, als ich am Straßenrand auf Ziegenherden mit Schäfer und Hunden treffe - kaum vorstellbar, in welcher Abgeschiedenheit diese Menschen leben!

Zur Mittagszeit stoße ich bei Siátista wieder auf die Autobahn nach Thessaloníki, lege aber kurz vor der Auffahrt einen Stopp in einer Fernfahrertaverne ein. Ein uriger Laden! Das Publikum ist genau so, wie man sich das vorstellt: Massige, tätowierte Kerle aus allen Ländern Südosteuropas, die nur eines wollen: Essen - gut, schmackhaft und preiswert. Und genau das wird hier geboten. Zusammen mit zwei Italienern, die unmittelbar vor mir den riesigen Speiseraum betreten, werde ich direkt in die Küche beordert, um aus der unüberschaubaren Anzahl der riesigen Töpfe das Beste auszuwählen. Gar nicht so einfach, stehen doch Gerichte zur Auswahl, die man zwar in jedem Bericht über griechische Küche als typische Volksküche vorgestellt bekommt, in einer Taverne aber höchst selten sieht: deftige Suppen zum Beispiel, Eintöpfe aus Hülsenfrüchten, Kohlrouladen und solche Sachen. Meine Wahl fällt auf Lammgulasch mit gebackenen Kartoffeln - phantastisch! Für die großzügige Portion mit sehr viel zartem Lammfleisch will man mir nicht mehr als 5 € abnehmen - warum gibt es nicht mehr von solchen Läden?

Von dort aus geht es zügig weiter nach Osten. Die Landschaft bei Kozáni mit ihren beiden Braunkohlekraftwerken ist auch bei Sonnenschein nicht besonders reizvoll, ganz im Gegensatz zu dem neuen Autobahnteilstück bei Véria mit seinen 14 Tunneln. Nach kurzer Fahrt liegt bereits die Ebene von Thessaloníki vor mir, die nicht nur langweilig und heiß, sondern infolge der vielen überfluteten Reisfelder auch drückend schwül ist. Aber auch sie lasse ich hinter mir und fahre geradlinig ins Zentrum von Griechenlands zweitgrößter Stadt, wo ich Punkt 14:30 Uhr auf der Promenade Nikis, direkt gegenüber dem Platz des Aristoteles im Stau stecke. Einige Minuten später parke ich den Wagen unmittelbar unterhalb des Weißen Turms und spaziere die Promenade zurück.

Am Aristoteles-Platz (Platía Aristotélous), dem Herzen Thessaloníkis, setzte ich mich in eines der zahlreichen chicen Cafes und gönne mir einen Kafé frappé - dass er hier etwas teuerer ist, als im übrigen Land, habe ich ja erwartet, aber 3,90 € ist schon happig. Dafür sitzt man hier wirklich herrlich, bei der leichten Meerbrise könnte man hier den ganzen Tag verweilen und die Menschen auf dem großen Platz beobachten. Da ich bis zum Abflug noch fast einen ganzen Tag Zeit habe, nutze ich die Pause, um eine optimale Route für meine Stadtbesichtigung für heute und morgen zu planen. Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal Thessaloníki besuchte, war ich nicht darauf vorbereitet, eine so faszinierende, sehens- und liebenswerte Stadt zu erleben und deswegen etwas überfordert. Diesmal weiß ich, was mich erwartet und kann deswegen gezielt die Stätten für meinen Rundgang einplanen, die ich zu besichtigen wünsche.

"Wie vor Jahr und Tag liebe ich Dich, doch
vielleicht weiser nur und bewusster noch..."
(Reinhard Mey)

Als die Hitze der Mittagsstunden ein wenig nachzulassen beginnt, starte ich meinen Rundgang auf der Odós Aristotélous. Das Marktviertel lasse ich links liegen, um diese Uhrzeit ist ohnehin der Großteil der Stände bereits abgebaut und wende mich geradlinig dem Dikastirion-Platz zu, an dessen Ostseite sich das alte türkische Badehaus, das Hamam befindet. Von dort aus sind es nur ein paar Schritte die römische Agora entlang bis zur Ágios Dimítrios, der inoffiziellen Hauptkirche der Stadt. Vorher quartiere ich mich schräg gegenüber der Agora im Hotel Orestías Kastoriá ein, das mein Reiseführer wegen seines günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses besonders empfiehlt. Die ungewöhnliche, fünfschiffige Basilika Ágios Dimítrios beherbergt zwar unter anderem den silbernen Sarkophag mit den Gebeinen des Stadtheiligen Dimítrios, fasziniert aber vor allem durch zahlreiche kunstvolle Mosaike und das riesige Marienbildnis, das die gesamte Kuppel der Apsis umfasst. Das Resultat von eineinhalbtausend Jahren regelmäßigen Umbauten und Restaurierungen lässt sich am besten von der Rückseite der Kirche aus bewundern.

Auf dem Weg zur nächsten Station passiere ich die schwerbewachte türkische Botschaft, auf deren Gelände sich pikanterweise das Geburtshaus des türkischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk befindet, mache einen Bogen am Universitätsgelände vorbei, wo ich den chemischen Instituten einen Gruß zuwerfe und gelange dann zur Rotunda, jener faszinierenden Mixtur aus Tempel, Kirche, Moschee und Museum, deren Minarett nach der Restaurierung 2003 wieder ohne Gerüst im neuen Glanz erstrahlt. Von der Rotunda aus sind es nur ein paar Schritte bis zum Galerius-Bogen, in dessen kunstvollen Reliefs der römische Kaiser Galerius 303 n. Chr. seinen triumphalen Sieg über die Perser verewigen ließ. Hier, an diesem zentralen Platz an der verkehrsreichen Egnátia mache ich eine kleine Pause und beobachte die Menschen. Klar - Thessaloníki besitzt die größte Universität Griechenlands und die befindet sich mitten in der Stadt, trotzdem finde ich es erstaunlich, in welchem Maße das Straßenbild von jungen Leuten dominiert wird, die zu Abertausenden die enorm zahlreichen Cafes der Stadt bevölkern.

Auf dem Rückweg zum Hotel fällt mir auf dem Platz vor der Kirche Agía Sofía eine aufgebaute Bühne mit Ankündigungen für den heutigen Abend auf. Schließlich steht noch die Besichtigung der Panagía Achiropíetos an, einer der ältesten Kirchen Thessaloníkis aus dem fünften Jahrhundert, deren original erhaltene, 1500 Jahre alten Mosaike kunstvolle Ornamente mit Tier- und Pflanzenmotiven und christlichen Kreuzen zeigen, aber keinerlei Darstellung von Heiligen. Ein interessanter Hinweis für Religionswissenschaftler, dass der Personenkult der christlichen Kirchen in den Ursprüngen des Glaubens keinen Platz hatte.

Kurz bevor ich mein Hotel erreiche, fällt mir ein, dass sich mein Gepäck noch im Auto befindet, und das steht nach wie vor am Weißen Turm. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als quer durch die Stadt zurück zum Weißen Turm zu laufen, um mich dann mit dem Auto in die Rushhour zu stürzen und zu hoffen, irgendwo in akzeptabler Nähe zum Hotel einen Parkplatz aufzutreiben, was mir nach einer halben Stunde und einem knappen Dutzend Blockumrundungen schließlich auch gelingt. Mann - was tut die Dusche jetzt gut! Das Zimmer mit Bad und griechischem Frühstück (Kaffee und Kekse) ist wirklich OK und in dieser zentralen Lage die 36 € pro Nacht absolut wert. Vom Balkon aus habe ich sogar einen Blick auf die römische Agora.

Bevor ich zum Abendessen gehe, will ich noch sehen, was am Sofía-Platz los ist. Als ich dort eintreffe befinden sich ein paar tausend Menschen auf den Straßen und schwenken Fähnchen und Transparente - das sieht sehr nach einer politischen Demonstration aus. Während ich versuche, aus den Aufschriften der Plakate schlau zu werden, tritt ein älterer Mann auf mich zu und bietet mir an, mich über den Sinn der Veranstaltung aufzuklären. Es handelt sich um den Gedenktag zum 19. Mai, einer jährlich stattfindenden Veranstaltung zur Erinnerung an die "kleinasiatische Katastrophe", bei der 1923 fast 1,5 Millionen Griechen aus dem Gebiet der heutigen Türkei vertrieben wurden und Zehntausende umkamen. Der Alte, der in seiner eigenen Familie Opfer zu beklagen hatte, ist nicht gut auf die Türken zu sprechen und als sich kurz darauf ein weiterer älterer Mann, ein gebildeter kosmopolitischem Physiker, in das Gespräch einklingt, entwickelt sich eine lebhafte, spontane politische Diskussion, die vom Zweiten Weltkrieg bis zum EU-Beitritt der Türkei einen Zeitraum von 60 Jahren europäischer Geschichte umfasst. Herrlich!

Fast tut es mir leid, als ich mich schließlich verabschieden muss, aber der Hunger ruft. Zum Abschied bekomme ich noch diverse Tipps mit auf dem Weg, wo ich besonders gut essen könnte, aber so viel kann ich mir gar nicht merken. Da gerade die passende Zeit ist, mache ich vor dem Abendessen einen kurzen Schlenker zur Promenade Nikis, wo ich genau pünktlich eintreffe, um den stilvollen Untergang der Sonne über den Hafenanlagen zu beobachten.

Nachdem die Sonne im Meer versunken ist, gehe ich zurück ins Studentenviertel, wo ich in einer Straßentaverne die klassische "kölsche Kombination" aus Gyros, Pommes und Tsatsiki bestelle, dazu ein Heineken-Bier. Die riesige Portion ist von hervorragender Qualität und könnte mit den besten Gyros-Buden in Köln ohne weiteres konkurrieren. Anschließend setzte ich mich in eine Studentenkneipe, in der Bud angeboten wird und genieße den letzten Abend. Zum Bier wird eine Schale Salzgebäck serviert - hier bleibe ich länger! Nach dem Bud gönne ich mir noch ein Flasche Heineken. Das Flair von Studentenkneipen scheint überall auf der Welt das Gleiche zu sein, aber hier hat es zusätzlich den typisch griechischen Touch: Langhaarige Freaks spielen Backgammon, progressiv gestylte Typen klappern unbedarft mit dem Komboli, der Spielkette aller griechischen Männer. Später am Abend zieht eine kleine Studentendemo durch die Straßen und setzt so noch das i-Tüpfelchen auf die stimmungsvolle Atmosphäre. Einige Blitze zucken, ein paar dicke Tropfen fallen und verdunsten, kaum dass sie den warmen Asphalt berühren. Zum Abschied gönne ich mir ein letztes Heineken. Kurz bevor ich gehen will, serviert mir die (sehr charmante) Kellnerin ein weiteres Heineken "aufs Haus" - jetzt reicht es aber. Müde, angetrunken, aber in bester Laune gelange ich spät in der Nacht zum Hotel zurück. War das wieder mal ein toller Urlaub!