Das Ziel der heutigen Etappe ist Nafplion am Argolischen Golf. Von Pýlos aus geht die Fahrt über gut ausgebaute Straßen bis Kalamáta und von dort weiter in Richtung Sparta. Östlich von Kalamáta steigt die Straße schnell an, so dass es noch einige schöne Aussichtspunkte über die große Stadt am Messenischen Golf gibt, bevor es richtig alpin wird. Am Anfang windet sich die Straße in Orgien von Serpentinen und folgt dann dem engen, teilweise fast cañonartigen Tal des Néthonas. Hinter Artemisía steigt sie weiter an, überquert den ca. 1500 Meter hohen Taÿgetos-Pass, folgt weiteren Schluchten und Tälern um schließlich die flache Ebene bei Sparta zu erreichen. Rückblickend bedauere ich es, dass diese phantastische Gebirgsfahrt so schnell zu Ende ist, obwohl ich wesentlich längere Zeit benötigt habe, als ich geplant hatte, da ich häufig kurz anhalten musste, um die wunderschöne Gebirgslandschaft gebührend zu genießen.
Die Stadt Spárta hat die Erblast ihrer großen Geschichte abgelegt. Es ist eine schnörkellose, moderne Stadt, die keine Touristen nötig hat, um voller Lebendigkeit zu sein. Hier existiert der typische kleine traditionelle Krämerladen, der vom Gartenschlauch bis zur Babykost alles hat, einträchtig direkt neben der hochglanzpolierten Benetton-Filiale, der Kiosk neben dem Supermarkt und die noch mit Olivenholz heizende Backstube neben dem McDonalds. Genauso vielfältig wie die Geschäfte sind die Menschen: Bauern und Yuppies, alte Witwen in Schwarz, junge Schönheiten im Minirock, die ganze Palette des Lebens und mittendrin - sie gehören einfach zum griechischen Stadtbild dazu - Popen in der traditionellen Kluft, aber ohne Berührungsängste mit der Moderne. Die Stadt ist mir auf Anhieb sympathisch. Und das schönste: Von jeder Ecke, von jedem Platz, von jedem Straßenzug fällt der Blick auf das noch mit Schneeresten bedeckte Taÿgetos-Massiv, dass sich wie eine mächtige Fassade im Hintergrund der Stadt erhebt.
Zwischen Spárta und Trípoli ist die Straße hervorragend ausgebaut, danach folgt der Weg wieder auf schmaleren Straßen in Richtung Osten. Gegen Mittag überquere ich den Mt. Parthénio und der Blick auf den von fruchtbaren Ebenen umschlossenen Argolischen Golf wird frei. Die Küstenstraße bei Míli und Nea Kíos ist gesäumt von Campingplätzen und Hotelanlagen, unterbrochen nur von Großdiskotheken und Clubs. Mir schwant übles...
Als ich schließlich Nafplion erreiche, habe ich nicht das Gefühl, schon mal hier gewesen zu sein. Die Stadt ist nicht wieder zu erkennen: Nach Norden hin hat sich der Ort bestimmt auf das Doppelte ausgedehnt, umfangreiche Neubausiedlungen inklusive Stadion, Freibad mit 50 Meter Bahn und einer nagelneuen, riesigen orthodoxen Kirche breiten sich vor dem Nafplion, das ich von früher kannte, aus. Der alte Stadtkern ist von der Bausubstanz her im Wesentlichen unverändert geblieben, aber durch und durch touristisch. Zugegeben - noch ist Vorsaison und von den tausenden Stühlen, die sich auf der herrlichen Uferpromenade aneinander reihen, sind vielleicht 20% besetzt, aber wie mag das hier im Sommer zugehen?
Bevor ich mir die Stadt näher betrachte, muss ich mich erst einmal stärken, aber selbst die Mesés-Platte hat sich hier dem mitteleuropäischen Geschmack angepasst:
Dazu gibt es Brot und lediglich ein kleines Fläschchen Wasser. Gut - dass das Wasser hier nicht mehr so verschwenderisch aus den Bergen quillt, wie im Westen, dafür können sie ja nichts, aber 4 € für diese Portion? Ich überlege mir ernsthaft, ob ich hier bleibe.
Natürlich ist die Altstadt genau so schön wie früher, schließlich muss es ja einen Grund für den starken Tourismus geben. Der Blick auf die Bourtzi-Festung in der Hafenbucht ist in der klaren Frühlingsluft noch wesentlich Postkarten-geeigneter als im Sommer, aber auch sonst gibt es malerische Winkel und der kakteengesäumte Fußweg um den Akronauplia-Felsen herum hat nichts von seinem Reiz verloren. Die Südseite mit dem Badestrand, dem einzigen Hotel und der alles beherrschenden Palamidi-Festung hat sich überhaupt nicht verändert.
Dagegen besteht die gesamte Altstadt am Nordhang des Akronauplia-Felsens ausschließlich aus Juwelier-, Modeschmuck- und Souvenirläden, Cafes, Restaurants und Hotels. Bei Letzteren erkundige ich mich hin und wieder nach den Preisen, aber selbst die einfachsten sind nicht unter 45 € pro Nacht zu haben. Nach einiger Zeit gebe ich auf und beschließe, mein Glück im zehn Kilometer entfernten Argos zu probieren, da entdecke ich am Stadtrand - zwischen Altstadt und Neubaugebieten - einige einfach aussehende Hotels. Für 35 € kann man im Hotel "Elena" ein wirklich schönes Zimmer bekommen - von meinem Balkon aus kann ich sogar die Palamidi-Festung sehen - also bleibe ich doch hier.
Als nächstes mache ich einen ausgedehnten Spaziergang durch die Neustadt und versuche dabei die Jugendherberge, in der wir vor 18 Jahren einige Nächte zugebracht haben, wieder zu finden. Obwohl ich mich sonst auf meinen Orientierungssinn bedingungslos verlassen kann und mich in einer Stadt, die ich einmal zu Fuß erkundet habe, immer wieder zurecht finde, gelingt es mir nicht, die Jugendherberge zu entdecken, so sehr hat sich das Stadtbild verändert!
Nach einer kurzen Erfrischungspause im Hotel bummele ich über die Uferpromenade und erfreue mich, wie die tiefstehende Sonne die Stadt in ein warmes, goldenes Licht taucht. Der Sonnenuntergang gibt sein Bestes, was bei der Kulisse aus Bergen, Burgen und Booten allerdings auch nicht schwer fällt. Selbst der Einbruch der Dunkelheit vermag die Schönheit des Ortes nicht zu schmälern. Da ich keine Lust auf eine lange Suche habe, gehe ich entgegen meinen sonstigen Gewohnheiten zum Abendessen in die Odos Staikopoulou, die Restaurantmeile der Stadt. Überraschenderweise sind die Preise hier kaum teurer als andernorts und die Speisefolge aus Tsatsiki, in Wein geschmorten Lammrippchen mit Pommes und Kräuterreis, dazu eine Flasche Heineken erhält meine ungeteilte Zustimmung und ist die 11 € durchaus wert. Anschließend spaziere ich um den Akronauplia-Felsen herum und genieße die Zigarre in einer milden, sternenklaren und windstillen Nacht. So wird doch noch alles gut.